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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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dem steht. Uebrigens ist noch nichts davon bekannt, daß unsere Regierung jetzt
in ähnlicher Weise, wie sie dem Sultan einige von ihren Civilbeamten zu über¬
lassen gewillt ist, auch sich bereit erklärt habe, ihn: Offiziere abzutreten, ge¬
schweige denn, daß sie geneigt sei, ihm "Generalstabs - Offiziere" zu leihen oder
sonstwie zu überlassen. Denn so viel Wohlwollen sie auch der Pforte entgegen¬
trägt, und wie sehr sie auch im Einvernehmen mit Oesterreich-Ungarn ein bal¬
diges Erstarken derselben wünschen muß, die Haltung der Türken ist gegenwärtig
nicht dazu geeignet, ihnen irgend welche militärische Unterstützung direct oder
indireet angedeihen zu lasse".

Das erste und oberste Bestreben des Reichskanzlers ist Erhaltung des Welt¬
friedens. Derselbe sollte durch den Berliner Congreß, der den Vertrag von
San Stefano in eine für Europa erträgliche Form brachte, auf feste Füße ge¬
stellt werdeu. Die Conferenz, welche die türkisch-griechische Grenze regelte,
diente dem gleichen Zwecke. Die Pforte verlor dadurch an Land und Leuten,
gewann aber, wenn sie sich fügte, den guten Willen der Mächte, sie bei Erhaltung
des immerhin noch sehr ansehnlichen und lebensfähigen Restes nach Möglichkeit
zu unterstützen. Sie fügte sich nicht, versuchte in Albanien Montenegro ge¬
genüber Winkelzttge und wird vermuthlich ans die Collectivnote in Betreff
Griechenlands ausweichend oder, falls sie in die ihr empfohlene Abtretung willigt,
mit dem Hintergedanken antworten, den sich zur Occupation des ihnen zuge¬
sprochenen Gebietes cmschickeuden Griechen durch die von ihr aufgestachelter und
bewaffneten Arnauten entgegen treten zu lassen, also gegen den Beschluß der
Großmächte indireet Krieg zu führen. Jedenfalls wird sie die Angelegenheit
mit der Hoffnung: intsrim alicMd tit, vielleicht Habens die übrigen Mächte
nicht >nig, vielleicht trennen sie sich demnächst in ihren Anschauungen und
Entschlüssen, und wir kommen um die Sache herum, zu verschleppen trachten.
Das würde aber sehr unklug sein. Nicht bloß Herr Gladstone, sondern alle
Mächte wünschen die endliche Ausführung der Berliner Beschlüsse von 1878
und 1880, und alle verlangen, daß die Pforte im Interesse des Friedens die
ihr zugemutheten Opfer bald und vollständig bringe. Das Recht Europas auf
Friede" geht unter allen Umstünden dem Rechte der Türken auf einige epiroti-
sche und thessalische Städte und Landschaften vor, zumal die Griechen keine
Slaven sind und den Velleitäten des Slaventhums auf der Balkanhalbinsel
diametral entgegengesetzte Interessen haben. Die Türkei wird demzufolge preu¬
ßische Offiziere so lange nicht bekommen, als sie sich den Wünschen der Mächte
nicht willfährig zeigt.

Damit hängt die Stellung zusammen, welche die deutsche Regierung, immer
im Einklang mit der ihr verbündeten österreichisch-ungarischen, den Vorschlägen
gegenüber einnimmt, die Pforte zur Erfüllung der griechischen Ansprüche im


dem steht. Uebrigens ist noch nichts davon bekannt, daß unsere Regierung jetzt
in ähnlicher Weise, wie sie dem Sultan einige von ihren Civilbeamten zu über¬
lassen gewillt ist, auch sich bereit erklärt habe, ihn: Offiziere abzutreten, ge¬
schweige denn, daß sie geneigt sei, ihm „Generalstabs - Offiziere" zu leihen oder
sonstwie zu überlassen. Denn so viel Wohlwollen sie auch der Pforte entgegen¬
trägt, und wie sehr sie auch im Einvernehmen mit Oesterreich-Ungarn ein bal¬
diges Erstarken derselben wünschen muß, die Haltung der Türken ist gegenwärtig
nicht dazu geeignet, ihnen irgend welche militärische Unterstützung direct oder
indireet angedeihen zu lasse«.

Das erste und oberste Bestreben des Reichskanzlers ist Erhaltung des Welt¬
friedens. Derselbe sollte durch den Berliner Congreß, der den Vertrag von
San Stefano in eine für Europa erträgliche Form brachte, auf feste Füße ge¬
stellt werdeu. Die Conferenz, welche die türkisch-griechische Grenze regelte,
diente dem gleichen Zwecke. Die Pforte verlor dadurch an Land und Leuten,
gewann aber, wenn sie sich fügte, den guten Willen der Mächte, sie bei Erhaltung
des immerhin noch sehr ansehnlichen und lebensfähigen Restes nach Möglichkeit
zu unterstützen. Sie fügte sich nicht, versuchte in Albanien Montenegro ge¬
genüber Winkelzttge und wird vermuthlich ans die Collectivnote in Betreff
Griechenlands ausweichend oder, falls sie in die ihr empfohlene Abtretung willigt,
mit dem Hintergedanken antworten, den sich zur Occupation des ihnen zuge¬
sprochenen Gebietes cmschickeuden Griechen durch die von ihr aufgestachelter und
bewaffneten Arnauten entgegen treten zu lassen, also gegen den Beschluß der
Großmächte indireet Krieg zu führen. Jedenfalls wird sie die Angelegenheit
mit der Hoffnung: intsrim alicMd tit, vielleicht Habens die übrigen Mächte
nicht >nig, vielleicht trennen sie sich demnächst in ihren Anschauungen und
Entschlüssen, und wir kommen um die Sache herum, zu verschleppen trachten.
Das würde aber sehr unklug sein. Nicht bloß Herr Gladstone, sondern alle
Mächte wünschen die endliche Ausführung der Berliner Beschlüsse von 1878
und 1880, und alle verlangen, daß die Pforte im Interesse des Friedens die
ihr zugemutheten Opfer bald und vollständig bringe. Das Recht Europas auf
Friede» geht unter allen Umstünden dem Rechte der Türken auf einige epiroti-
sche und thessalische Städte und Landschaften vor, zumal die Griechen keine
Slaven sind und den Velleitäten des Slaventhums auf der Balkanhalbinsel
diametral entgegengesetzte Interessen haben. Die Türkei wird demzufolge preu¬
ßische Offiziere so lange nicht bekommen, als sie sich den Wünschen der Mächte
nicht willfährig zeigt.

Damit hängt die Stellung zusammen, welche die deutsche Regierung, immer
im Einklang mit der ihr verbündeten österreichisch-ungarischen, den Vorschlägen
gegenüber einnimmt, die Pforte zur Erfüllung der griechischen Ansprüche im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/207>, abgerufen am 23.07.2024.