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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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karische Tüchtigkeit besitzt. Derselbe begiebt sich nach Konstantinopel, stellt sich
vor, gefällt und wird mit einem stattlichen Gehalt und einer schönen Wohnung
im kaiserlichen Schlosse Dvlmabagdsche -- wie es scheint -- als Unterstaats-
secretär im türkischen Finanzministerium engagirt. Er kehrt nach Deutschland
zurück, hält sich ein paar Tage in Berlin auf und begiebt sich dann, ohne den
Reichskanzler gesprochen zu haben, nach der Rheinprovinz, um sich unter den
dortigen Beamten seines Faches einige Gehilfen zur Erfüllung seiner Aufgabe
zu suchen.

Wenn die Engländer diese einfachen Vorgänge mit Mißtrauen betrachteten,
und wenn ihre Presse davon so viel Aufhebens machte, daß Lord Granville ge¬
nöthigt war, im Parlamente darüber beruhigende Versicherungen zu geben, so
ist das einigermaßen erklärlich. Man betrachtet nun einmal in England die
Beihilfe von britischen Kräften bei der Neugestaltung des osmanischen Reiches
als Monopol. Wenn man auch in Deutschland Wunder was in der Angele¬
genheit erblicken oder ahnen wollte, so war das die reine Thorheit. Die Ab¬
tretung des Herrn Wettendorf und anderer Beamten war nichts als ein Zeichen
des Wohlwollens der deutschen Regierung gegenüber der türkischen, welches auch
die österreichisch-ungarische beseelt, und des Wunsches, die Pforte nach den letzten
Prüfungen und Verlusten mit der Zeit wieder erstarke" und so zu eiuer der
Bürgschaften des Weltfriedens heranwachsen zu sehen, dessen Sicherung gegen
das auf der Balkanhalbinsel gefährlich um sich greifende Slaventhum das ein¬
zige Ziel und Interesse der deutscheu und der österreichischen Politik ist. Die
Verhandlungen über jene Abtretungen fanden in Konstantinopel keineswegs in:
Geheimen statt. Die Nachricht, daß die Pforte auch einen deutschen Unter-
staatssecretär für ihre auswärtigen Angelegenheiten zu erhalten wünsche, der
natürlich aus der Umgebung des Reichskanzlers zu nehmen wäre, war Lächer¬
lichkeit hundstäglichen Kalibers. Der Eintritt deutscher Beamten und Offiziere
in türkische Dienste war ebenso wenig etwas Ungewöhnliches wie die Erschei¬
nung, daß englische, französische und italienische Offiziere und Administrativ -
Beamten seit Jahrzehnten schon der Pforte ihre Fähigkeiten zur Verfügung
stellten. Schon vor mehr als dreißig Jahren begab sich eine Anzahl preußischer
Offiziere und Unteroffiziere mit Erlaubniß ihrer Regierung in türkische Dienste,
und die gute Organisation des Heeres der Pforte nach preußischem Muster ist
größtentheils ihr Werk. Wir nennen von ihnen nur Blum Pascha, der gegen¬
wärtig als Chef der türkischen Genietruppen fungirt. Seitdem sind wiederholt
preußische Offiziere, theils für immer, theils provisorisch, in die türkische Armee
eingetreten. Nicht minder ist dies von Seiten englischer geschehen, wobei wir
nur an Baker Pascha und den Admiral Hobart Pascha, sowie daran erinnern,
daß ein Theil der Gendarmerie in Kleinasien unter den Befehlen von Englar-


karische Tüchtigkeit besitzt. Derselbe begiebt sich nach Konstantinopel, stellt sich
vor, gefällt und wird mit einem stattlichen Gehalt und einer schönen Wohnung
im kaiserlichen Schlosse Dvlmabagdsche — wie es scheint — als Unterstaats-
secretär im türkischen Finanzministerium engagirt. Er kehrt nach Deutschland
zurück, hält sich ein paar Tage in Berlin auf und begiebt sich dann, ohne den
Reichskanzler gesprochen zu haben, nach der Rheinprovinz, um sich unter den
dortigen Beamten seines Faches einige Gehilfen zur Erfüllung seiner Aufgabe
zu suchen.

Wenn die Engländer diese einfachen Vorgänge mit Mißtrauen betrachteten,
und wenn ihre Presse davon so viel Aufhebens machte, daß Lord Granville ge¬
nöthigt war, im Parlamente darüber beruhigende Versicherungen zu geben, so
ist das einigermaßen erklärlich. Man betrachtet nun einmal in England die
Beihilfe von britischen Kräften bei der Neugestaltung des osmanischen Reiches
als Monopol. Wenn man auch in Deutschland Wunder was in der Angele¬
genheit erblicken oder ahnen wollte, so war das die reine Thorheit. Die Ab¬
tretung des Herrn Wettendorf und anderer Beamten war nichts als ein Zeichen
des Wohlwollens der deutschen Regierung gegenüber der türkischen, welches auch
die österreichisch-ungarische beseelt, und des Wunsches, die Pforte nach den letzten
Prüfungen und Verlusten mit der Zeit wieder erstarke» und so zu eiuer der
Bürgschaften des Weltfriedens heranwachsen zu sehen, dessen Sicherung gegen
das auf der Balkanhalbinsel gefährlich um sich greifende Slaventhum das ein¬
zige Ziel und Interesse der deutscheu und der österreichischen Politik ist. Die
Verhandlungen über jene Abtretungen fanden in Konstantinopel keineswegs in:
Geheimen statt. Die Nachricht, daß die Pforte auch einen deutschen Unter-
staatssecretär für ihre auswärtigen Angelegenheiten zu erhalten wünsche, der
natürlich aus der Umgebung des Reichskanzlers zu nehmen wäre, war Lächer¬
lichkeit hundstäglichen Kalibers. Der Eintritt deutscher Beamten und Offiziere
in türkische Dienste war ebenso wenig etwas Ungewöhnliches wie die Erschei¬
nung, daß englische, französische und italienische Offiziere und Administrativ -
Beamten seit Jahrzehnten schon der Pforte ihre Fähigkeiten zur Verfügung
stellten. Schon vor mehr als dreißig Jahren begab sich eine Anzahl preußischer
Offiziere und Unteroffiziere mit Erlaubniß ihrer Regierung in türkische Dienste,
und die gute Organisation des Heeres der Pforte nach preußischem Muster ist
größtentheils ihr Werk. Wir nennen von ihnen nur Blum Pascha, der gegen¬
wärtig als Chef der türkischen Genietruppen fungirt. Seitdem sind wiederholt
preußische Offiziere, theils für immer, theils provisorisch, in die türkische Armee
eingetreten. Nicht minder ist dies von Seiten englischer geschehen, wobei wir
nur an Baker Pascha und den Admiral Hobart Pascha, sowie daran erinnern,
daß ein Theil der Gendarmerie in Kleinasien unter den Befehlen von Englar-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/206>, abgerufen am 23.07.2024.