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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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zu beschränken und neue zu gewähren; auf diesem Boden bewegten sich Peters
Reformen nnr in wenigen Fällen. Wohl machte er die Masse unzufrieden, weil
er sie uicht zu Athem kommen ließ, neue Steuern, neue Dienste, unablässige
Arbeit forderte; wohl erbitterte er die vornehmen Familien, deren Sohne er
zwang auf Jahre ins Ausland zu gehen und im Schweiße ihres Angesichts
Dinge zu lernen, von denen doch ihre Väter nichts gewußt hatten. Immer er¬
scheint er in erster Linie als der Erzieher seines Volkes. Leider fand dieser
Erzieher keine Zeit, sich um seinen eigenen Sohn zu kümmern, er ließ ihn in
geistig unbedeutender aber seinen Neuerungen abgewandter Umgebung aufwach-
sen; so fiel der schwachbegabte Mensch wieder ins Altrussenthum zurück. Der
Conflict mit den: Vater, die Flucht und die Rückkehr, die Katastrophe machen
einen überaus peinliche" Eindruck; Sympathie mit Alexei können sie nicht er¬
wecken, aber sie lassen auch deu Vater gefühllos, barbarisch erscheinen. Von
einem tragischen Kampfe zwischen Vaterliebe und Regentenpflicht ist keine Rede.
Im Herzen war der Sohn längst abgethan, ehe er gestürzt wurde. Die wahr¬
scheinlichste Annahme über sein Ende ist die, daß er an den Folgen der Folte¬
rung noch an demselben Tage, wo er zum Tode verurtheilt wurde, gestorben
ist. Eigentlich eonspiratorische Handlungen haben ihm nicht nachgewiesen werden
können. Seine rebellische Handlungsweise gipfelte in der Desertion, in den
gegen Peter bei Kaiser Karl VI. geführten Klagen, in einigen an die Senatoren
und Kirchenfürsten gerichteten Schreiben.

Wie der Zar über sein Volk den Sieg davon trug, so blieb ihm derselbe
auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik über seine Feinde. In seinen
langen Kriegen sind die Haupteigenschaften, die ihn auszeichnen, seine unermüd¬
liche Thätigkeit, die durch keine Mißerfolge gelähmt wurde, der Glaube an seine
Kraft, den eine Niederlage nur zu erhöhter Anstrengung anspornte, die Zähig¬
keit im Festhalten einmal gefaßter Pläne, die bis zur persönlichen Heuchelei sich
steigernde Verschlagenheit. Feldherrngenie zeichnete ihn uicht aus. Was ihm
!u Gute kam, war, daß die Nachbarreiche, die bisher dem Aufkommen der russi¬
schen Macht im Wege gestanden hatten, die Türkei, Schweden und Polen im
Niedergange begriffen waren. Erst nach Beendigung des nordischen Krieges
nahm er den Kaisertitel an. Seine politische Stellung zu den anderen Mächten
lst deutlich erkennbar, zu Preußen freundschaftlich, zu England feindlich, zum
Kaiser unentschieden, zu Polen und Schweden herrisch, auch gegen Dänemark
van Theil so, zu Frankreich und Spanien im Ganzen günstig.

Rußland hat sich in der Richtung, die Peter ihn: augewiesen, trotz einzelner
Schwankungen weiter bewegt; die Genossen, die ihn überlebten, die Regenten,
die ihm folgten, haben nie ernstlich daran gedacht, diese Richtung wieder fallen
Z>u lassen, der beste Beweis, daß nicht Willkür sondern die geniale Erkenntniß


zu beschränken und neue zu gewähren; auf diesem Boden bewegten sich Peters
Reformen nnr in wenigen Fällen. Wohl machte er die Masse unzufrieden, weil
er sie uicht zu Athem kommen ließ, neue Steuern, neue Dienste, unablässige
Arbeit forderte; wohl erbitterte er die vornehmen Familien, deren Sohne er
zwang auf Jahre ins Ausland zu gehen und im Schweiße ihres Angesichts
Dinge zu lernen, von denen doch ihre Väter nichts gewußt hatten. Immer er¬
scheint er in erster Linie als der Erzieher seines Volkes. Leider fand dieser
Erzieher keine Zeit, sich um seinen eigenen Sohn zu kümmern, er ließ ihn in
geistig unbedeutender aber seinen Neuerungen abgewandter Umgebung aufwach-
sen; so fiel der schwachbegabte Mensch wieder ins Altrussenthum zurück. Der
Conflict mit den: Vater, die Flucht und die Rückkehr, die Katastrophe machen
einen überaus peinliche» Eindruck; Sympathie mit Alexei können sie nicht er¬
wecken, aber sie lassen auch deu Vater gefühllos, barbarisch erscheinen. Von
einem tragischen Kampfe zwischen Vaterliebe und Regentenpflicht ist keine Rede.
Im Herzen war der Sohn längst abgethan, ehe er gestürzt wurde. Die wahr¬
scheinlichste Annahme über sein Ende ist die, daß er an den Folgen der Folte¬
rung noch an demselben Tage, wo er zum Tode verurtheilt wurde, gestorben
ist. Eigentlich eonspiratorische Handlungen haben ihm nicht nachgewiesen werden
können. Seine rebellische Handlungsweise gipfelte in der Desertion, in den
gegen Peter bei Kaiser Karl VI. geführten Klagen, in einigen an die Senatoren
und Kirchenfürsten gerichteten Schreiben.

Wie der Zar über sein Volk den Sieg davon trug, so blieb ihm derselbe
auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik über seine Feinde. In seinen
langen Kriegen sind die Haupteigenschaften, die ihn auszeichnen, seine unermüd¬
liche Thätigkeit, die durch keine Mißerfolge gelähmt wurde, der Glaube an seine
Kraft, den eine Niederlage nur zu erhöhter Anstrengung anspornte, die Zähig¬
keit im Festhalten einmal gefaßter Pläne, die bis zur persönlichen Heuchelei sich
steigernde Verschlagenheit. Feldherrngenie zeichnete ihn uicht aus. Was ihm
!u Gute kam, war, daß die Nachbarreiche, die bisher dem Aufkommen der russi¬
schen Macht im Wege gestanden hatten, die Türkei, Schweden und Polen im
Niedergange begriffen waren. Erst nach Beendigung des nordischen Krieges
nahm er den Kaisertitel an. Seine politische Stellung zu den anderen Mächten
lst deutlich erkennbar, zu Preußen freundschaftlich, zu England feindlich, zum
Kaiser unentschieden, zu Polen und Schweden herrisch, auch gegen Dänemark
van Theil so, zu Frankreich und Spanien im Ganzen günstig.

Rußland hat sich in der Richtung, die Peter ihn: augewiesen, trotz einzelner
Schwankungen weiter bewegt; die Genossen, die ihn überlebten, die Regenten,
die ihm folgten, haben nie ernstlich daran gedacht, diese Richtung wieder fallen
Z>u lassen, der beste Beweis, daß nicht Willkür sondern die geniale Erkenntniß


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[0204] zu beschränken und neue zu gewähren; auf diesem Boden bewegten sich Peters Reformen nnr in wenigen Fällen. Wohl machte er die Masse unzufrieden, weil er sie uicht zu Athem kommen ließ, neue Steuern, neue Dienste, unablässige Arbeit forderte; wohl erbitterte er die vornehmen Familien, deren Sohne er zwang auf Jahre ins Ausland zu gehen und im Schweiße ihres Angesichts Dinge zu lernen, von denen doch ihre Väter nichts gewußt hatten. Immer er¬ scheint er in erster Linie als der Erzieher seines Volkes. Leider fand dieser Erzieher keine Zeit, sich um seinen eigenen Sohn zu kümmern, er ließ ihn in geistig unbedeutender aber seinen Neuerungen abgewandter Umgebung aufwach- sen; so fiel der schwachbegabte Mensch wieder ins Altrussenthum zurück. Der Conflict mit den: Vater, die Flucht und die Rückkehr, die Katastrophe machen einen überaus peinliche» Eindruck; Sympathie mit Alexei können sie nicht er¬ wecken, aber sie lassen auch deu Vater gefühllos, barbarisch erscheinen. Von einem tragischen Kampfe zwischen Vaterliebe und Regentenpflicht ist keine Rede. Im Herzen war der Sohn längst abgethan, ehe er gestürzt wurde. Die wahr¬ scheinlichste Annahme über sein Ende ist die, daß er an den Folgen der Folte¬ rung noch an demselben Tage, wo er zum Tode verurtheilt wurde, gestorben ist. Eigentlich eonspiratorische Handlungen haben ihm nicht nachgewiesen werden können. Seine rebellische Handlungsweise gipfelte in der Desertion, in den gegen Peter bei Kaiser Karl VI. geführten Klagen, in einigen an die Senatoren und Kirchenfürsten gerichteten Schreiben. Wie der Zar über sein Volk den Sieg davon trug, so blieb ihm derselbe auch auf dem Gebiete der auswärtigen Politik über seine Feinde. In seinen langen Kriegen sind die Haupteigenschaften, die ihn auszeichnen, seine unermüd¬ liche Thätigkeit, die durch keine Mißerfolge gelähmt wurde, der Glaube an seine Kraft, den eine Niederlage nur zu erhöhter Anstrengung anspornte, die Zähig¬ keit im Festhalten einmal gefaßter Pläne, die bis zur persönlichen Heuchelei sich steigernde Verschlagenheit. Feldherrngenie zeichnete ihn uicht aus. Was ihm !u Gute kam, war, daß die Nachbarreiche, die bisher dem Aufkommen der russi¬ schen Macht im Wege gestanden hatten, die Türkei, Schweden und Polen im Niedergange begriffen waren. Erst nach Beendigung des nordischen Krieges nahm er den Kaisertitel an. Seine politische Stellung zu den anderen Mächten lst deutlich erkennbar, zu Preußen freundschaftlich, zu England feindlich, zum Kaiser unentschieden, zu Polen und Schweden herrisch, auch gegen Dänemark van Theil so, zu Frankreich und Spanien im Ganzen günstig. Rußland hat sich in der Richtung, die Peter ihn: augewiesen, trotz einzelner Schwankungen weiter bewegt; die Genossen, die ihn überlebten, die Regenten, die ihm folgten, haben nie ernstlich daran gedacht, diese Richtung wieder fallen Z>u lassen, der beste Beweis, daß nicht Willkür sondern die geniale Erkenntniß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/204>, abgerufen am 23.07.2024.