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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Zum großen Verdruß sahen die Russen ihren Zaren gegen alles Herkommen
mit diesen Fremden wie mit seinesgleichen verkehren und den Sinn für das
orientalisch-feierliche, beschaulich-träge altrussische Hofleben für immer verlieren.

Hier lernte Peter 1689 den katholisch-royalistischen, ernsten, ihm an Lebens¬
jahren weit überlegenen Schotten Patrick Gordon und den protestantischen,
lebenslustigen, hingebenden, ihm im Alter näherstehenden Genfer Franz Lefort
kennen. Der erste wurde sein Mentor, der andere sein Freund. Sie haben
Jahre lang den größten Einfluß auf ihn gehabt, aber doch nicht in der Art,
daß sie sein politisches Handeln bestimmten. Bis zu seiner großen Reise über¬
ließ er die Regierung überhaupt seinen altrussischen Ministern. In den Kriegen
gegen die Türken, um Asow und den Zugang zum Schwarzen Meere, die noch
vor die Reise fallen, zeigt er weder persönlichen Heroismus noch militärisches
Genie. Eine heldenhafte Natur war er überhaupt nicht. Auch tritt er im Kriege
trotz aufreibender persönlicher Thätigkeit nicht als der eigentlich leitende Geist
auf, er wollte nicht einmal dem Volke als solcher erscheinen, daher die für seine
Stellung unpassend bescheidene Rolle, die er sich selbst beim Siegeseinzug in
Moskau nach Asows Eroberung anwies.

Die große Reise Peters nach dem Westen in den Jahren 1697 und 1698
hatte zum Zwecke nicht sowohl die Staatseinrichtungen kennen zu lernen, xoru-
nüöux röMsr, wie Voltaire sagt --, sie sollte ihn hauptsächlich im Seewesen
vervollkommnen und ihm die Gelegenheit verschaffen, Techniker aller Art zur
Uebersiedlung nach Rußland zu gewinnen. Das Petschaft, dessen er sich auf
der Reise bediente, stellte ihn dar umgeben von allerlei Werkzeugen wie Zirkel,
Hammer, Beile u. s. w>, und die Umschrift lautete: "Ich bin im Zustande des
Lernens und begehre der Lehrenden." Das Inkognito, das er mit seltenen
Unterbrechungen während der ganzen Reise bewahrte, gab ihm die Freiheit zu
ungestörtem Lernen und Arbeiten. Er befand sich im Verkehr mit Handwerkern
und Technikern ganz wohl, für die feineren Umgangsformen der höfischen Salons
hatte er wenig Interesse und konnte seinerseits nicht durch Herrscheranstand
imponiren. Die officiellen Festlichkeiten waren ihm verhaßt, weil sie ihn genir-
ten, dagegen an der lauten, harmlosen Fröhlichkeit der Volksbelustigungen nahm
er vergnügten Antheil. Seine Genialität und seine hohe Stellung, deren Pflich¬
ten er auch im Auslande nicht vergaß, hinderten ihn dabei im Banausischeu
aufzugehen. Beiläufig hat er in Zaandam von den anderthalb Monaten der
Reisezeit nur acht Tage zugebracht, dagegen hat er in Amsterdam 4^ Monate
auf den Werften der ostindischen Compagnie die Schiffsbaukunst betrieben;
übrigens befriedigte ihn die bloße Routine der holländischen Schiffsbaumeister
durchaus nicht, erst bei den Engländern fand er, daß sie die Regeln der Schiffs¬
baukunst auf wissenschaftliche Grundsätze zurückführten. Von England wollte er


Grenzboten III. 1880. 26

Zum großen Verdruß sahen die Russen ihren Zaren gegen alles Herkommen
mit diesen Fremden wie mit seinesgleichen verkehren und den Sinn für das
orientalisch-feierliche, beschaulich-träge altrussische Hofleben für immer verlieren.

Hier lernte Peter 1689 den katholisch-royalistischen, ernsten, ihm an Lebens¬
jahren weit überlegenen Schotten Patrick Gordon und den protestantischen,
lebenslustigen, hingebenden, ihm im Alter näherstehenden Genfer Franz Lefort
kennen. Der erste wurde sein Mentor, der andere sein Freund. Sie haben
Jahre lang den größten Einfluß auf ihn gehabt, aber doch nicht in der Art,
daß sie sein politisches Handeln bestimmten. Bis zu seiner großen Reise über¬
ließ er die Regierung überhaupt seinen altrussischen Ministern. In den Kriegen
gegen die Türken, um Asow und den Zugang zum Schwarzen Meere, die noch
vor die Reise fallen, zeigt er weder persönlichen Heroismus noch militärisches
Genie. Eine heldenhafte Natur war er überhaupt nicht. Auch tritt er im Kriege
trotz aufreibender persönlicher Thätigkeit nicht als der eigentlich leitende Geist
auf, er wollte nicht einmal dem Volke als solcher erscheinen, daher die für seine
Stellung unpassend bescheidene Rolle, die er sich selbst beim Siegeseinzug in
Moskau nach Asows Eroberung anwies.

Die große Reise Peters nach dem Westen in den Jahren 1697 und 1698
hatte zum Zwecke nicht sowohl die Staatseinrichtungen kennen zu lernen, xoru-
nüöux röMsr, wie Voltaire sagt —, sie sollte ihn hauptsächlich im Seewesen
vervollkommnen und ihm die Gelegenheit verschaffen, Techniker aller Art zur
Uebersiedlung nach Rußland zu gewinnen. Das Petschaft, dessen er sich auf
der Reise bediente, stellte ihn dar umgeben von allerlei Werkzeugen wie Zirkel,
Hammer, Beile u. s. w>, und die Umschrift lautete: „Ich bin im Zustande des
Lernens und begehre der Lehrenden." Das Inkognito, das er mit seltenen
Unterbrechungen während der ganzen Reise bewahrte, gab ihm die Freiheit zu
ungestörtem Lernen und Arbeiten. Er befand sich im Verkehr mit Handwerkern
und Technikern ganz wohl, für die feineren Umgangsformen der höfischen Salons
hatte er wenig Interesse und konnte seinerseits nicht durch Herrscheranstand
imponiren. Die officiellen Festlichkeiten waren ihm verhaßt, weil sie ihn genir-
ten, dagegen an der lauten, harmlosen Fröhlichkeit der Volksbelustigungen nahm
er vergnügten Antheil. Seine Genialität und seine hohe Stellung, deren Pflich¬
ten er auch im Auslande nicht vergaß, hinderten ihn dabei im Banausischeu
aufzugehen. Beiläufig hat er in Zaandam von den anderthalb Monaten der
Reisezeit nur acht Tage zugebracht, dagegen hat er in Amsterdam 4^ Monate
auf den Werften der ostindischen Compagnie die Schiffsbaukunst betrieben;
übrigens befriedigte ihn die bloße Routine der holländischen Schiffsbaumeister
durchaus nicht, erst bei den Engländern fand er, daß sie die Regeln der Schiffs¬
baukunst auf wissenschaftliche Grundsätze zurückführten. Von England wollte er


Grenzboten III. 1880. 26
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[0202] Zum großen Verdruß sahen die Russen ihren Zaren gegen alles Herkommen mit diesen Fremden wie mit seinesgleichen verkehren und den Sinn für das orientalisch-feierliche, beschaulich-träge altrussische Hofleben für immer verlieren. Hier lernte Peter 1689 den katholisch-royalistischen, ernsten, ihm an Lebens¬ jahren weit überlegenen Schotten Patrick Gordon und den protestantischen, lebenslustigen, hingebenden, ihm im Alter näherstehenden Genfer Franz Lefort kennen. Der erste wurde sein Mentor, der andere sein Freund. Sie haben Jahre lang den größten Einfluß auf ihn gehabt, aber doch nicht in der Art, daß sie sein politisches Handeln bestimmten. Bis zu seiner großen Reise über¬ ließ er die Regierung überhaupt seinen altrussischen Ministern. In den Kriegen gegen die Türken, um Asow und den Zugang zum Schwarzen Meere, die noch vor die Reise fallen, zeigt er weder persönlichen Heroismus noch militärisches Genie. Eine heldenhafte Natur war er überhaupt nicht. Auch tritt er im Kriege trotz aufreibender persönlicher Thätigkeit nicht als der eigentlich leitende Geist auf, er wollte nicht einmal dem Volke als solcher erscheinen, daher die für seine Stellung unpassend bescheidene Rolle, die er sich selbst beim Siegeseinzug in Moskau nach Asows Eroberung anwies. Die große Reise Peters nach dem Westen in den Jahren 1697 und 1698 hatte zum Zwecke nicht sowohl die Staatseinrichtungen kennen zu lernen, xoru- nüöux röMsr, wie Voltaire sagt —, sie sollte ihn hauptsächlich im Seewesen vervollkommnen und ihm die Gelegenheit verschaffen, Techniker aller Art zur Uebersiedlung nach Rußland zu gewinnen. Das Petschaft, dessen er sich auf der Reise bediente, stellte ihn dar umgeben von allerlei Werkzeugen wie Zirkel, Hammer, Beile u. s. w>, und die Umschrift lautete: „Ich bin im Zustande des Lernens und begehre der Lehrenden." Das Inkognito, das er mit seltenen Unterbrechungen während der ganzen Reise bewahrte, gab ihm die Freiheit zu ungestörtem Lernen und Arbeiten. Er befand sich im Verkehr mit Handwerkern und Technikern ganz wohl, für die feineren Umgangsformen der höfischen Salons hatte er wenig Interesse und konnte seinerseits nicht durch Herrscheranstand imponiren. Die officiellen Festlichkeiten waren ihm verhaßt, weil sie ihn genir- ten, dagegen an der lauten, harmlosen Fröhlichkeit der Volksbelustigungen nahm er vergnügten Antheil. Seine Genialität und seine hohe Stellung, deren Pflich¬ ten er auch im Auslande nicht vergaß, hinderten ihn dabei im Banausischeu aufzugehen. Beiläufig hat er in Zaandam von den anderthalb Monaten der Reisezeit nur acht Tage zugebracht, dagegen hat er in Amsterdam 4^ Monate auf den Werften der ostindischen Compagnie die Schiffsbaukunst betrieben; übrigens befriedigte ihn die bloße Routine der holländischen Schiffsbaumeister durchaus nicht, erst bei den Engländern fand er, daß sie die Regeln der Schiffs¬ baukunst auf wissenschaftliche Grundsätze zurückführten. Von England wollte er Grenzboten III. 1880. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/202>, abgerufen am 23.07.2024.