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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Gleichmäßigen und Ruhigen und eben darin auch Beruhigung verbürgender eng
verbundenen Gesetzmäßigkeit sich in entschiedenen Gegensatz gegen die unablässige
Unstetigkeit des irdischen Treibens stellt. Jene heiligen Conversationen und die
mit ihnen in Verbindung stehenden Weitergestaltungen möchten wohl die dank¬
barsten Vorwürfe sür lebende Bilder sein, zumal gerade bei ihnen die Pracht
der Gewandung in großartiger Form- und Farbenwirkung sehr wirkungs¬
voll zur Geltung kommt, also ein Gesichtspunkt, der gerade sür das
lebende Bild von Wichtigkeit ist. So stehen uns von einer früheren Dar¬
stellung her namentlich Rafaels "Heilige Cäcilie" und Philipp Veith "Ein¬
führung der Religion durch die Künste" als besonders stimmungsvoll in der
Erinnerung. Geht man über diese Stufe hinaus zu der in der Kunstentwick-
lung folgenden Stufe der historischen Malerei, so tritt mit der freieren Bewe¬
gung die mehr verhüllte Gesetzmäßigkeit in der Gruppirung ein, welche die
Darstellung sowohl wie die rasche Auffassung -- und diese muß wegen der
Kürze der Darstellung wesentlich in Berechnung gezogen werden -- erschweren.
Diese Schwierigkeit kann jedoch durch die vorausgehende Bekanntschaft mit dem
Bilde verringert werden. An Darstellungen dieser Art hatte man sich diesmal
mit zwei Werken gewagt, mit Kaulbachs "Otto III. in der Gruft Kaiser
Karls des Großen" (Germanisches Museum) und mit Paul Veroneses "Familie
des Darms vor Alexander dem Großen" nach der Skizze in der Kasseler Galerie,
die auch auf Scipio gedeutet wird. Das erstere der beiden Bilder gestaltete
sich weniger günstig, weil die überwältigende Großartigkeit des todten Kaisers
nicht genügend zum Ausdrucke kam, und weil das kalte Licht, von dein er umflossen
ist, in allzu unvermitteltem Gegensatz zu dem warmen Fackellichte stand. Dazu
hatte man noch natürliche, unruhig flackernde Fackeln benutzt und dadurch in
die Beleuchtung eine Zufälligkeit der Wirkung gebracht, die der Künstler wohl
zu beherrschen verstand, da er zwar flackernde Fackeln malen, aber doch ruhiges
Licht wirken lassen konnte, so daß sich der Schein der Naturwahrheit und die
unter dem Gesetze des künstlerischen Willens stehende ästhetische Wirkung be¬
rühren, aber nicht widersprechen, wie es durch die Zurückübersetzung in wirkliches
Fackellicht unfehlbar eintreten muß. Weit wirkungsvoller trat das andere
Bild hervor, welchem die Repräsentationstendenz, die gleichsam ins Weltliche
übersetzte heilige Conversation, sowie die venetianische Farbenpracht, neben welcher
die Handlung Nebensache bleibt, außerordentlich zu Statten kam.

Ist ein historisches Bild wirklich als solches groß gedacht und ausgeführt,
so wird es freilich mit seiner Darstellung als lebendes Bild wohl meist so
gehen wie mit der Aufführung großer historischer Drama auf der Bühne: die
Leistungen werden hinter den Erwartungen zurückbleiben. Es ist, als ob die
Menschen zu klein, zu alltäglich dazu wären, weshalb die Hellenen mit ihrem


Gleichmäßigen und Ruhigen und eben darin auch Beruhigung verbürgender eng
verbundenen Gesetzmäßigkeit sich in entschiedenen Gegensatz gegen die unablässige
Unstetigkeit des irdischen Treibens stellt. Jene heiligen Conversationen und die
mit ihnen in Verbindung stehenden Weitergestaltungen möchten wohl die dank¬
barsten Vorwürfe sür lebende Bilder sein, zumal gerade bei ihnen die Pracht
der Gewandung in großartiger Form- und Farbenwirkung sehr wirkungs¬
voll zur Geltung kommt, also ein Gesichtspunkt, der gerade sür das
lebende Bild von Wichtigkeit ist. So stehen uns von einer früheren Dar¬
stellung her namentlich Rafaels „Heilige Cäcilie" und Philipp Veith „Ein¬
führung der Religion durch die Künste" als besonders stimmungsvoll in der
Erinnerung. Geht man über diese Stufe hinaus zu der in der Kunstentwick-
lung folgenden Stufe der historischen Malerei, so tritt mit der freieren Bewe¬
gung die mehr verhüllte Gesetzmäßigkeit in der Gruppirung ein, welche die
Darstellung sowohl wie die rasche Auffassung — und diese muß wegen der
Kürze der Darstellung wesentlich in Berechnung gezogen werden — erschweren.
Diese Schwierigkeit kann jedoch durch die vorausgehende Bekanntschaft mit dem
Bilde verringert werden. An Darstellungen dieser Art hatte man sich diesmal
mit zwei Werken gewagt, mit Kaulbachs „Otto III. in der Gruft Kaiser
Karls des Großen" (Germanisches Museum) und mit Paul Veroneses „Familie
des Darms vor Alexander dem Großen" nach der Skizze in der Kasseler Galerie,
die auch auf Scipio gedeutet wird. Das erstere der beiden Bilder gestaltete
sich weniger günstig, weil die überwältigende Großartigkeit des todten Kaisers
nicht genügend zum Ausdrucke kam, und weil das kalte Licht, von dein er umflossen
ist, in allzu unvermitteltem Gegensatz zu dem warmen Fackellichte stand. Dazu
hatte man noch natürliche, unruhig flackernde Fackeln benutzt und dadurch in
die Beleuchtung eine Zufälligkeit der Wirkung gebracht, die der Künstler wohl
zu beherrschen verstand, da er zwar flackernde Fackeln malen, aber doch ruhiges
Licht wirken lassen konnte, so daß sich der Schein der Naturwahrheit und die
unter dem Gesetze des künstlerischen Willens stehende ästhetische Wirkung be¬
rühren, aber nicht widersprechen, wie es durch die Zurückübersetzung in wirkliches
Fackellicht unfehlbar eintreten muß. Weit wirkungsvoller trat das andere
Bild hervor, welchem die Repräsentationstendenz, die gleichsam ins Weltliche
übersetzte heilige Conversation, sowie die venetianische Farbenpracht, neben welcher
die Handlung Nebensache bleibt, außerordentlich zu Statten kam.

Ist ein historisches Bild wirklich als solches groß gedacht und ausgeführt,
so wird es freilich mit seiner Darstellung als lebendes Bild wohl meist so
gehen wie mit der Aufführung großer historischer Drama auf der Bühne: die
Leistungen werden hinter den Erwartungen zurückbleiben. Es ist, als ob die
Menschen zu klein, zu alltäglich dazu wären, weshalb die Hellenen mit ihrem


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[0197] Gleichmäßigen und Ruhigen und eben darin auch Beruhigung verbürgender eng verbundenen Gesetzmäßigkeit sich in entschiedenen Gegensatz gegen die unablässige Unstetigkeit des irdischen Treibens stellt. Jene heiligen Conversationen und die mit ihnen in Verbindung stehenden Weitergestaltungen möchten wohl die dank¬ barsten Vorwürfe sür lebende Bilder sein, zumal gerade bei ihnen die Pracht der Gewandung in großartiger Form- und Farbenwirkung sehr wirkungs¬ voll zur Geltung kommt, also ein Gesichtspunkt, der gerade sür das lebende Bild von Wichtigkeit ist. So stehen uns von einer früheren Dar¬ stellung her namentlich Rafaels „Heilige Cäcilie" und Philipp Veith „Ein¬ führung der Religion durch die Künste" als besonders stimmungsvoll in der Erinnerung. Geht man über diese Stufe hinaus zu der in der Kunstentwick- lung folgenden Stufe der historischen Malerei, so tritt mit der freieren Bewe¬ gung die mehr verhüllte Gesetzmäßigkeit in der Gruppirung ein, welche die Darstellung sowohl wie die rasche Auffassung — und diese muß wegen der Kürze der Darstellung wesentlich in Berechnung gezogen werden — erschweren. Diese Schwierigkeit kann jedoch durch die vorausgehende Bekanntschaft mit dem Bilde verringert werden. An Darstellungen dieser Art hatte man sich diesmal mit zwei Werken gewagt, mit Kaulbachs „Otto III. in der Gruft Kaiser Karls des Großen" (Germanisches Museum) und mit Paul Veroneses „Familie des Darms vor Alexander dem Großen" nach der Skizze in der Kasseler Galerie, die auch auf Scipio gedeutet wird. Das erstere der beiden Bilder gestaltete sich weniger günstig, weil die überwältigende Großartigkeit des todten Kaisers nicht genügend zum Ausdrucke kam, und weil das kalte Licht, von dein er umflossen ist, in allzu unvermitteltem Gegensatz zu dem warmen Fackellichte stand. Dazu hatte man noch natürliche, unruhig flackernde Fackeln benutzt und dadurch in die Beleuchtung eine Zufälligkeit der Wirkung gebracht, die der Künstler wohl zu beherrschen verstand, da er zwar flackernde Fackeln malen, aber doch ruhiges Licht wirken lassen konnte, so daß sich der Schein der Naturwahrheit und die unter dem Gesetze des künstlerischen Willens stehende ästhetische Wirkung be¬ rühren, aber nicht widersprechen, wie es durch die Zurückübersetzung in wirkliches Fackellicht unfehlbar eintreten muß. Weit wirkungsvoller trat das andere Bild hervor, welchem die Repräsentationstendenz, die gleichsam ins Weltliche übersetzte heilige Conversation, sowie die venetianische Farbenpracht, neben welcher die Handlung Nebensache bleibt, außerordentlich zu Statten kam. Ist ein historisches Bild wirklich als solches groß gedacht und ausgeführt, so wird es freilich mit seiner Darstellung als lebendes Bild wohl meist so gehen wie mit der Aufführung großer historischer Drama auf der Bühne: die Leistungen werden hinter den Erwartungen zurückbleiben. Es ist, als ob die Menschen zu klein, zu alltäglich dazu wären, weshalb die Hellenen mit ihrem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/197>, abgerufen am 25.08.2024.