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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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der Künstler hat gefehlt; nur die Verwendung seiner Schöpfung in einem ihrem
Zwecke widersprechenden Sinne war verfehlt.

Die nächste Stufe zeigte uns ein Porträt. In der Entwicklung der bildenden
Kunst nimmt das Porträt eine eigenthümliche Stellung ein; es bildet die Brücke
von der Idealität der Formen, wie sie sich aus der dem Subjecte entspringenden
Gesetzmäßigkeit ergiebt, zur Naturwahrheit, und zwar tritt hier das eigenthümliche
Verhältniß hervor, daß streng sich geltend machende Idealität und frappante, ja
bis zum Peinlichen getriebene Naturwahrheit neben einander hergehen, zugleich
ein Beweis dafür, daß die streng stilisirten Darstellungen der älteren Kunst¬
entwicklung keineswegs nur im formalen Unvermögen, sondern auch in einem
bewußten Streben ihren Grund hatten, das nur noch nicht dazu gekommen war,
die beiden Gegensätze auszugleichen. Daß neben der idealen Kunst die realistische,
ja man kann wohl sagen die naturalistische bestehen konnte, hat seinen Grund
im Wesen des Porträts: das Porträt soll gerade dieses einzelne Wesen wieder¬
geben, und mit je genauerer Beobachtung aller Zufälligkeiten der Erscheinung
dies geschieht, um so größer scheint der Triumph der Kunst und des Künstlers
zu sein. Erst allmählich taucht die Erkenntniß auf, daß das Porträt mehr
geben kann als die zufällige, momentane, bis zum Verwechseln ähnliche Er¬
scheinung, daß vielmehr seine höchste Aufgabe die ist, das bleibende Wesen des
Menschen darzustellen und aus den mancherlei momentanen Aeußerungen der
Formen diejenigen wiederzugeben, welche einen Blick in den Charakter des
Menschen gestatten, so daß der Porträtist der schärfste Charakteristiker ist und
die zufälligen Formen nur das Substrat für die Darstellung des seelischen und
geistigen Lebens sind. So macht das Porträt den Weg von stupender Realität
zur idealen Auffassung von Seiten des Subjectes und kommt so jener anderen
Entwicklung der übrigen von der idealen zur naturwahren Auffassung hinstre-
benden Kunst entgegen. Dies äußert sich in der Praxis, abgesehen von dem
allgemeinen Gange, besonders darin, daß die Künstler allmählich immer mehr
das Porträt in ihre Darstellungen aufnehmen, von der Sonderdarstellung der
Stifter heiliger Bilder bis zur Aufnahme in den unmittelbaren Verkehr mit
den Heiligen und schließlich bis zur Verwendung des Porträts für die Charakter¬
köpfe in der Darstellung selbst, wodurch die letztere, ihrem idealen Gehalte und
Gepräge zum Trotz, gerade deu Vorzug der Naturwahrheit gewinnt und sich so
auf dem Wege zur endlichen Verschmelzung der beiden Gegensätze befindet. Wenn
nun ein großer Maler zur Zeit der vollständigen Entwicklung des Porträts
ein solches Werk schafft, so liegt dessen Werth außer in der eigentlich malerischen
Behandlung, wie sie gerade diesen bestimmten Künstler charcckterisirt, besonders
in jener Vertiefung des Charakters, die uns immer und immer wieder zur Be¬
trachtung reizt, obschon das persönliche Interesse ganz verschwunden ist oder


der Künstler hat gefehlt; nur die Verwendung seiner Schöpfung in einem ihrem
Zwecke widersprechenden Sinne war verfehlt.

Die nächste Stufe zeigte uns ein Porträt. In der Entwicklung der bildenden
Kunst nimmt das Porträt eine eigenthümliche Stellung ein; es bildet die Brücke
von der Idealität der Formen, wie sie sich aus der dem Subjecte entspringenden
Gesetzmäßigkeit ergiebt, zur Naturwahrheit, und zwar tritt hier das eigenthümliche
Verhältniß hervor, daß streng sich geltend machende Idealität und frappante, ja
bis zum Peinlichen getriebene Naturwahrheit neben einander hergehen, zugleich
ein Beweis dafür, daß die streng stilisirten Darstellungen der älteren Kunst¬
entwicklung keineswegs nur im formalen Unvermögen, sondern auch in einem
bewußten Streben ihren Grund hatten, das nur noch nicht dazu gekommen war,
die beiden Gegensätze auszugleichen. Daß neben der idealen Kunst die realistische,
ja man kann wohl sagen die naturalistische bestehen konnte, hat seinen Grund
im Wesen des Porträts: das Porträt soll gerade dieses einzelne Wesen wieder¬
geben, und mit je genauerer Beobachtung aller Zufälligkeiten der Erscheinung
dies geschieht, um so größer scheint der Triumph der Kunst und des Künstlers
zu sein. Erst allmählich taucht die Erkenntniß auf, daß das Porträt mehr
geben kann als die zufällige, momentane, bis zum Verwechseln ähnliche Er¬
scheinung, daß vielmehr seine höchste Aufgabe die ist, das bleibende Wesen des
Menschen darzustellen und aus den mancherlei momentanen Aeußerungen der
Formen diejenigen wiederzugeben, welche einen Blick in den Charakter des
Menschen gestatten, so daß der Porträtist der schärfste Charakteristiker ist und
die zufälligen Formen nur das Substrat für die Darstellung des seelischen und
geistigen Lebens sind. So macht das Porträt den Weg von stupender Realität
zur idealen Auffassung von Seiten des Subjectes und kommt so jener anderen
Entwicklung der übrigen von der idealen zur naturwahren Auffassung hinstre-
benden Kunst entgegen. Dies äußert sich in der Praxis, abgesehen von dem
allgemeinen Gange, besonders darin, daß die Künstler allmählich immer mehr
das Porträt in ihre Darstellungen aufnehmen, von der Sonderdarstellung der
Stifter heiliger Bilder bis zur Aufnahme in den unmittelbaren Verkehr mit
den Heiligen und schließlich bis zur Verwendung des Porträts für die Charakter¬
köpfe in der Darstellung selbst, wodurch die letztere, ihrem idealen Gehalte und
Gepräge zum Trotz, gerade deu Vorzug der Naturwahrheit gewinnt und sich so
auf dem Wege zur endlichen Verschmelzung der beiden Gegensätze befindet. Wenn
nun ein großer Maler zur Zeit der vollständigen Entwicklung des Porträts
ein solches Werk schafft, so liegt dessen Werth außer in der eigentlich malerischen
Behandlung, wie sie gerade diesen bestimmten Künstler charcckterisirt, besonders
in jener Vertiefung des Charakters, die uns immer und immer wieder zur Be¬
trachtung reizt, obschon das persönliche Interesse ganz verschwunden ist oder


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[0195] der Künstler hat gefehlt; nur die Verwendung seiner Schöpfung in einem ihrem Zwecke widersprechenden Sinne war verfehlt. Die nächste Stufe zeigte uns ein Porträt. In der Entwicklung der bildenden Kunst nimmt das Porträt eine eigenthümliche Stellung ein; es bildet die Brücke von der Idealität der Formen, wie sie sich aus der dem Subjecte entspringenden Gesetzmäßigkeit ergiebt, zur Naturwahrheit, und zwar tritt hier das eigenthümliche Verhältniß hervor, daß streng sich geltend machende Idealität und frappante, ja bis zum Peinlichen getriebene Naturwahrheit neben einander hergehen, zugleich ein Beweis dafür, daß die streng stilisirten Darstellungen der älteren Kunst¬ entwicklung keineswegs nur im formalen Unvermögen, sondern auch in einem bewußten Streben ihren Grund hatten, das nur noch nicht dazu gekommen war, die beiden Gegensätze auszugleichen. Daß neben der idealen Kunst die realistische, ja man kann wohl sagen die naturalistische bestehen konnte, hat seinen Grund im Wesen des Porträts: das Porträt soll gerade dieses einzelne Wesen wieder¬ geben, und mit je genauerer Beobachtung aller Zufälligkeiten der Erscheinung dies geschieht, um so größer scheint der Triumph der Kunst und des Künstlers zu sein. Erst allmählich taucht die Erkenntniß auf, daß das Porträt mehr geben kann als die zufällige, momentane, bis zum Verwechseln ähnliche Er¬ scheinung, daß vielmehr seine höchste Aufgabe die ist, das bleibende Wesen des Menschen darzustellen und aus den mancherlei momentanen Aeußerungen der Formen diejenigen wiederzugeben, welche einen Blick in den Charakter des Menschen gestatten, so daß der Porträtist der schärfste Charakteristiker ist und die zufälligen Formen nur das Substrat für die Darstellung des seelischen und geistigen Lebens sind. So macht das Porträt den Weg von stupender Realität zur idealen Auffassung von Seiten des Subjectes und kommt so jener anderen Entwicklung der übrigen von der idealen zur naturwahren Auffassung hinstre- benden Kunst entgegen. Dies äußert sich in der Praxis, abgesehen von dem allgemeinen Gange, besonders darin, daß die Künstler allmählich immer mehr das Porträt in ihre Darstellungen aufnehmen, von der Sonderdarstellung der Stifter heiliger Bilder bis zur Aufnahme in den unmittelbaren Verkehr mit den Heiligen und schließlich bis zur Verwendung des Porträts für die Charakter¬ köpfe in der Darstellung selbst, wodurch die letztere, ihrem idealen Gehalte und Gepräge zum Trotz, gerade deu Vorzug der Naturwahrheit gewinnt und sich so auf dem Wege zur endlichen Verschmelzung der beiden Gegensätze befindet. Wenn nun ein großer Maler zur Zeit der vollständigen Entwicklung des Porträts ein solches Werk schafft, so liegt dessen Werth außer in der eigentlich malerischen Behandlung, wie sie gerade diesen bestimmten Künstler charcckterisirt, besonders in jener Vertiefung des Charakters, die uns immer und immer wieder zur Be¬ trachtung reizt, obschon das persönliche Interesse ganz verschwunden ist oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/195>, abgerufen am 23.07.2024.