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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ist das Stellen "lebender Bilder". Es würde auffällig sein, daß ein so lange
Vorbereitungen kostendes und in schroffem Gegensatz dazu so kurz dauerndes
Vergnügen immer wieder so großen Beifall und zwar in erster Linie bei den
Ausführenden selbst findet, wenn nicht die sehr begreifliche Freude, die eigene
liebe Persönlichkeit in vortheilhafter Weise zur Geltung zu bringen, sich als
leichte Erklärung darböte. Hieran ethische Betrachtungen, die etwa gar moralische
Wendung nehmen könnten, zu knüpfen, ist nicht unsere Absicht. Wir wollen
nur die ästhetische Seite der Frage hervorkehren, die schon der Name an die
Hand giebt. Das Bild ist nicht lebendig im natürlichen Sinne des Wortes;
das Leben gestaltet sich nur selten und dann nur in einzelnen Momenten zum
Bilde, wenn wir diesen uneigentlichen Ausdruck dann überhaupt gebrauchen
dürfen. Inwiefern ist nun eine Verbindung dieser beiden sich ursprünglich aus¬
schließenden Begriffe denkbar, und welche Stellung ist der Verkörperung dieser
Verbindung von Seiten der ästhetischen Betrachtung anzuweisen?

Der in mancherlei Bedeutung gebrauchte Ausdruck "Bild" kann hier nur
in der ästhetischen Auffassung genommen werden, wie er sich am leichtesten aus
dem Gegensatze zu dem oft mit ihm verwechselten Ausdruck "Abbildung" ergiebt.
Die Abbildung ist eine durch irgend ein technisches Verfahren hervorgebrachte
Wiedergabe irgend eines sichtbaren Gegenstandes, mag dieser der Natur oder
der Kunst angehören; das Bild dagegen schließt den Begriff der ästhetischen
Auffassung und Verarbeitung des Gegenstandes in sich, wie er sich am deut¬
lichsten in der künstlerischen Wiedergabe eines sichtbaren Gegenstandes kundgiebt,
wie er aber auch schon in einer nach dieser Richtung hin sich vollziehenden
subjectiven und im Subject bleibenden Auffassungsweise hervortreten kann. Das
Wesen der ästhetischen Auffassung beruht aber darauf, daß eine Reihe von
Einzelerscheinungen unter einem bestimmten, der Eigenart des Individuums
entspringenden Gesichtspunkte zusammengefaßt und zu einem neuen Ganzen mit
einheitlicher Wirkung auf die Empfindung verbunden werden. Zu diesem Zwecke
müssen sie aus ihrer sonstigen Verbindung abgelöst und, als ob sie sonst mit der
übrigen Welt keinen realen Zusammenhang hätten, zu einer neuen, selbständigen
Existenz erhoben werden. Fassen wir eine Landschaft ästhetisch auf, fo lassen
wir alle Beziehungen auf Bodenbeschaffenheit, Ertragsfähigkeit, Nährwert!) der
Pflanzen, ihre Erhaltungs- und Fortpflanzungsbedingungen, die landwirtschaft¬
liche Bedeutung von Wasser und Wald, Berg und Thal und alle anderen, je
nach der Art der Betrachtung möglichen Erkenntnisse und Beziehungen der
Einzelerscheinungen bei Seite und beschränken uns darauf, ihre Formen und
Farben in uns aufzunehmen. Sind diese zufällig so günstig gestaltet, daß sie in
Beziehung zu einander zu treten scheinen, ja daß es vielleicht so aussieht, als
seien steigernde so vertheilt, um den ganz bestimmten Eindruck der Zusammen-


ist das Stellen „lebender Bilder". Es würde auffällig sein, daß ein so lange
Vorbereitungen kostendes und in schroffem Gegensatz dazu so kurz dauerndes
Vergnügen immer wieder so großen Beifall und zwar in erster Linie bei den
Ausführenden selbst findet, wenn nicht die sehr begreifliche Freude, die eigene
liebe Persönlichkeit in vortheilhafter Weise zur Geltung zu bringen, sich als
leichte Erklärung darböte. Hieran ethische Betrachtungen, die etwa gar moralische
Wendung nehmen könnten, zu knüpfen, ist nicht unsere Absicht. Wir wollen
nur die ästhetische Seite der Frage hervorkehren, die schon der Name an die
Hand giebt. Das Bild ist nicht lebendig im natürlichen Sinne des Wortes;
das Leben gestaltet sich nur selten und dann nur in einzelnen Momenten zum
Bilde, wenn wir diesen uneigentlichen Ausdruck dann überhaupt gebrauchen
dürfen. Inwiefern ist nun eine Verbindung dieser beiden sich ursprünglich aus¬
schließenden Begriffe denkbar, und welche Stellung ist der Verkörperung dieser
Verbindung von Seiten der ästhetischen Betrachtung anzuweisen?

Der in mancherlei Bedeutung gebrauchte Ausdruck „Bild" kann hier nur
in der ästhetischen Auffassung genommen werden, wie er sich am leichtesten aus
dem Gegensatze zu dem oft mit ihm verwechselten Ausdruck „Abbildung" ergiebt.
Die Abbildung ist eine durch irgend ein technisches Verfahren hervorgebrachte
Wiedergabe irgend eines sichtbaren Gegenstandes, mag dieser der Natur oder
der Kunst angehören; das Bild dagegen schließt den Begriff der ästhetischen
Auffassung und Verarbeitung des Gegenstandes in sich, wie er sich am deut¬
lichsten in der künstlerischen Wiedergabe eines sichtbaren Gegenstandes kundgiebt,
wie er aber auch schon in einer nach dieser Richtung hin sich vollziehenden
subjectiven und im Subject bleibenden Auffassungsweise hervortreten kann. Das
Wesen der ästhetischen Auffassung beruht aber darauf, daß eine Reihe von
Einzelerscheinungen unter einem bestimmten, der Eigenart des Individuums
entspringenden Gesichtspunkte zusammengefaßt und zu einem neuen Ganzen mit
einheitlicher Wirkung auf die Empfindung verbunden werden. Zu diesem Zwecke
müssen sie aus ihrer sonstigen Verbindung abgelöst und, als ob sie sonst mit der
übrigen Welt keinen realen Zusammenhang hätten, zu einer neuen, selbständigen
Existenz erhoben werden. Fassen wir eine Landschaft ästhetisch auf, fo lassen
wir alle Beziehungen auf Bodenbeschaffenheit, Ertragsfähigkeit, Nährwert!) der
Pflanzen, ihre Erhaltungs- und Fortpflanzungsbedingungen, die landwirtschaft¬
liche Bedeutung von Wasser und Wald, Berg und Thal und alle anderen, je
nach der Art der Betrachtung möglichen Erkenntnisse und Beziehungen der
Einzelerscheinungen bei Seite und beschränken uns darauf, ihre Formen und
Farben in uns aufzunehmen. Sind diese zufällig so günstig gestaltet, daß sie in
Beziehung zu einander zu treten scheinen, ja daß es vielleicht so aussieht, als
seien steigernde so vertheilt, um den ganz bestimmten Eindruck der Zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/189>, abgerufen am 23.07.2024.