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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Weinberg, an: liebsten z. B. auf ein Schlachtfeld, oder auch nur in die Werk¬
stätte eines Schusters zu treten oder sonst wohin, weil es nothwendig ihnen
überall viel besser gefällt als zwischen den kahlen Schulwänden -- sobald der
Lehrer selbst im Geiste dort ist, und dem muß es doch dort auch besser ge¬
fallen als im dumpfen Schulzimmer, das er alle Tage nur zu lange sehen muß!"
Dergleichen, sollte man meinen, müßte alle Langweile verscheuchen, die so oft
lebentödtend die jugendlichen Geister leider grade aus diesen Unterrichtsstunden
anhaucht! Der Vorwurf trifft hart, ist aber berechtigt, daß es "bei manchen
Lehrern wirklich ist, als ließen sie den lebendigen inneren Menschen, der die
wahre Lebensquelle für die Klasse ist, nicht das Buch, einfach zu Hause oder
auf dem Corridor oder im Sprechzimmer bei den College" und brächten in die
Klasse nur ein Stückchen davon mit, den trocknen Verstand, mit dem Gedächtniß,
seinem gleich trocknen Diener." Welches Leben dagegen, das reichste und reinste,
quillt trotz der dumpfen Schulzimmer in die jungen Seelen, sie selber mit
Hellem, farbigem Lichte anfüllend, in Hildebrands Weise:

"Da kommt z. B. in der Stunde ein Berg vor. Was ist einem Schüler
ein Berg! Dein im Flachlande reine Romantik, ein Stück der ersehnten Zauber¬
welt, wofür die Seele Flügel hat, ihr über alle Hindernisse hinweg zuzufliegen;
aber auch dem im Berglande ist er ein Stück Romantik, den er denkt dabei
an einen bestimmten Berg, der ihn unter allen ihm bekannten der bedeutendste
geworden ist als der Schauplatz der Knabenspiele und kleiner oder vielmehr
großer Abenteuer. Solche Gedanken sind ja aber Contrebande in der Schule!
d. h. so lange der Lehrer sie nicht gleichsam in die Hand nimmt, als Lehrstoff,
sie gleichsam amtlich macht und adelt, daß nun daran das Lernen beginnt,
Lernen und Leben in eins übergehen. Spricht nun freilich der Lehrer von
dem Berge in demselben Tone wie von einem Lineal, einer Stahlfeder, fo
zieht sich die kleine Seele, die schon anschwellen wollte, wieder zusammen, und
wenn sie es nicht vorzieht ihrem wirklichen Berge nachzufliegen, also dem Schul¬
kerker zu entrinnen, sich zu zerstreuen, sondern getreulich mit ihren Gedanken
beim Lehrer aushart, so bleibt ihr jener Berg weit weit draußen stehen außer
dem Schulgesichtskreise, etwa in Form eines Maulwurfshügels, größer nicht,
und farb- und leblos, während er dem Lehrer wohl nicht einmal so, nur in
Form eines sogenannten Begriffs erscheint im Begriff- und Wortgedächtnisse,
dieser Vorrathskammer des bloßen Verstandes. Ja aber so ein "Begriff" füllt
die kleine Seele, wenn sie einigermaßen selbständig und lebhaft ist, nicht genug
aus, ein Drittel oder zwei Drittel von ihr brauchen weitere Beschäftigung, und
finden sie auch leicht, aus einem Zwist in der Zwischenstunde her, oder gar aus
einem ganz andern Gebiete, das in der Zwischenstunde so gern von Aelteren oder
schlimmeren in Witzworten und Neckereien gegen Reinere gepflegt wird. Die


Weinberg, an: liebsten z. B. auf ein Schlachtfeld, oder auch nur in die Werk¬
stätte eines Schusters zu treten oder sonst wohin, weil es nothwendig ihnen
überall viel besser gefällt als zwischen den kahlen Schulwänden — sobald der
Lehrer selbst im Geiste dort ist, und dem muß es doch dort auch besser ge¬
fallen als im dumpfen Schulzimmer, das er alle Tage nur zu lange sehen muß!"
Dergleichen, sollte man meinen, müßte alle Langweile verscheuchen, die so oft
lebentödtend die jugendlichen Geister leider grade aus diesen Unterrichtsstunden
anhaucht! Der Vorwurf trifft hart, ist aber berechtigt, daß es „bei manchen
Lehrern wirklich ist, als ließen sie den lebendigen inneren Menschen, der die
wahre Lebensquelle für die Klasse ist, nicht das Buch, einfach zu Hause oder
auf dem Corridor oder im Sprechzimmer bei den College» und brächten in die
Klasse nur ein Stückchen davon mit, den trocknen Verstand, mit dem Gedächtniß,
seinem gleich trocknen Diener." Welches Leben dagegen, das reichste und reinste,
quillt trotz der dumpfen Schulzimmer in die jungen Seelen, sie selber mit
Hellem, farbigem Lichte anfüllend, in Hildebrands Weise:

„Da kommt z. B. in der Stunde ein Berg vor. Was ist einem Schüler
ein Berg! Dein im Flachlande reine Romantik, ein Stück der ersehnten Zauber¬
welt, wofür die Seele Flügel hat, ihr über alle Hindernisse hinweg zuzufliegen;
aber auch dem im Berglande ist er ein Stück Romantik, den er denkt dabei
an einen bestimmten Berg, der ihn unter allen ihm bekannten der bedeutendste
geworden ist als der Schauplatz der Knabenspiele und kleiner oder vielmehr
großer Abenteuer. Solche Gedanken sind ja aber Contrebande in der Schule!
d. h. so lange der Lehrer sie nicht gleichsam in die Hand nimmt, als Lehrstoff,
sie gleichsam amtlich macht und adelt, daß nun daran das Lernen beginnt,
Lernen und Leben in eins übergehen. Spricht nun freilich der Lehrer von
dem Berge in demselben Tone wie von einem Lineal, einer Stahlfeder, fo
zieht sich die kleine Seele, die schon anschwellen wollte, wieder zusammen, und
wenn sie es nicht vorzieht ihrem wirklichen Berge nachzufliegen, also dem Schul¬
kerker zu entrinnen, sich zu zerstreuen, sondern getreulich mit ihren Gedanken
beim Lehrer aushart, so bleibt ihr jener Berg weit weit draußen stehen außer
dem Schulgesichtskreise, etwa in Form eines Maulwurfshügels, größer nicht,
und farb- und leblos, während er dem Lehrer wohl nicht einmal so, nur in
Form eines sogenannten Begriffs erscheint im Begriff- und Wortgedächtnisse,
dieser Vorrathskammer des bloßen Verstandes. Ja aber so ein „Begriff" füllt
die kleine Seele, wenn sie einigermaßen selbständig und lebhaft ist, nicht genug
aus, ein Drittel oder zwei Drittel von ihr brauchen weitere Beschäftigung, und
finden sie auch leicht, aus einem Zwist in der Zwischenstunde her, oder gar aus
einem ganz andern Gebiete, das in der Zwischenstunde so gern von Aelteren oder
schlimmeren in Witzworten und Neckereien gegen Reinere gepflegt wird. Die


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[0184] Weinberg, an: liebsten z. B. auf ein Schlachtfeld, oder auch nur in die Werk¬ stätte eines Schusters zu treten oder sonst wohin, weil es nothwendig ihnen überall viel besser gefällt als zwischen den kahlen Schulwänden — sobald der Lehrer selbst im Geiste dort ist, und dem muß es doch dort auch besser ge¬ fallen als im dumpfen Schulzimmer, das er alle Tage nur zu lange sehen muß!" Dergleichen, sollte man meinen, müßte alle Langweile verscheuchen, die so oft lebentödtend die jugendlichen Geister leider grade aus diesen Unterrichtsstunden anhaucht! Der Vorwurf trifft hart, ist aber berechtigt, daß es „bei manchen Lehrern wirklich ist, als ließen sie den lebendigen inneren Menschen, der die wahre Lebensquelle für die Klasse ist, nicht das Buch, einfach zu Hause oder auf dem Corridor oder im Sprechzimmer bei den College» und brächten in die Klasse nur ein Stückchen davon mit, den trocknen Verstand, mit dem Gedächtniß, seinem gleich trocknen Diener." Welches Leben dagegen, das reichste und reinste, quillt trotz der dumpfen Schulzimmer in die jungen Seelen, sie selber mit Hellem, farbigem Lichte anfüllend, in Hildebrands Weise: „Da kommt z. B. in der Stunde ein Berg vor. Was ist einem Schüler ein Berg! Dein im Flachlande reine Romantik, ein Stück der ersehnten Zauber¬ welt, wofür die Seele Flügel hat, ihr über alle Hindernisse hinweg zuzufliegen; aber auch dem im Berglande ist er ein Stück Romantik, den er denkt dabei an einen bestimmten Berg, der ihn unter allen ihm bekannten der bedeutendste geworden ist als der Schauplatz der Knabenspiele und kleiner oder vielmehr großer Abenteuer. Solche Gedanken sind ja aber Contrebande in der Schule! d. h. so lange der Lehrer sie nicht gleichsam in die Hand nimmt, als Lehrstoff, sie gleichsam amtlich macht und adelt, daß nun daran das Lernen beginnt, Lernen und Leben in eins übergehen. Spricht nun freilich der Lehrer von dem Berge in demselben Tone wie von einem Lineal, einer Stahlfeder, fo zieht sich die kleine Seele, die schon anschwellen wollte, wieder zusammen, und wenn sie es nicht vorzieht ihrem wirklichen Berge nachzufliegen, also dem Schul¬ kerker zu entrinnen, sich zu zerstreuen, sondern getreulich mit ihren Gedanken beim Lehrer aushart, so bleibt ihr jener Berg weit weit draußen stehen außer dem Schulgesichtskreise, etwa in Form eines Maulwurfshügels, größer nicht, und farb- und leblos, während er dem Lehrer wohl nicht einmal so, nur in Form eines sogenannten Begriffs erscheint im Begriff- und Wortgedächtnisse, dieser Vorrathskammer des bloßen Verstandes. Ja aber so ein „Begriff" füllt die kleine Seele, wenn sie einigermaßen selbständig und lebhaft ist, nicht genug aus, ein Drittel oder zwei Drittel von ihr brauchen weitere Beschäftigung, und finden sie auch leicht, aus einem Zwist in der Zwischenstunde her, oder gar aus einem ganz andern Gebiete, das in der Zwischenstunde so gern von Aelteren oder schlimmeren in Witzworten und Neckereien gegen Reinere gepflegt wird. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/184>, abgerufen am 25.08.2024.