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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Schlag- und Kampfwort - auch im engeren Sinne gefaßt -- richtig verstanden,
viel Wahres. Nur das Verfahren derjenigen, "welche die alten tief aufgefah¬
renen Geleise für die einzig möglichen Wege halten", ist ein verfehltes und be¬
ruht wohl zum großen Theil auf dem Irrthum, als sei jeder Stoff gleich gut
oder schlecht, um diese formale Bildung an ihm zu erzielen. Nachdem Jacob
Grimm und seine Jünger das Leben der Muttersprache als ein so reiches er¬
wiesen und uns in einer Weise erschlossen haben, wie das Leben einer fremden
Sprache uns gar nicht erschlossen werden kann, ist es hohe Zeit geworden,
die patriotische Mahnung des alten Stieler (in seinem "Deutschen Sprachschatze",
1691), zu befolgen, "daß man erst den teutschen Busch wol ausklopfe und die
Brunnquellen prüfe, ehe man dißfalls verspielet gebe und vor fremden Thüren
Brot suchen gehe".

Wissenschaftlich hat die vergleichende Sprachforschung das Monopol des
Lateins gebrochen; auch nach der praktisch-pädagogischen Seite hin wird es ge¬
schehen, sobald der einfachen Wahrheit der Zugang geöffnet sein wird, daß die¬
jenige formale Bildung die höhere und werthvollere sei, die an einem leben¬
digeren, gehaltvolleren Stoffe gewonnen wird. Es begreift sich leicht, wie zu
einer Zeit, da man in der Schule "fürs Lernen das Hauptgewicht legte auf
Klarheit im Verstehen, anf klaren Verstand, für sittliche Dinge auf das Pflicht¬
gefühl, besser auf den Pflichtbegriff", wie damals das Latein, welches zudem
das geschichtliche Recht für sich hatte, als die Jdealsprache angesehen wurde, mit
deren Hilfe allein eines der wichtigsten Bildungsziele, logische Schulung des
jugendlichen Geistes, erreicht werden könnte. Seitdem man aber erkannt, wenn¬
gleich in der Schule wie anderwärts noch lange nicht allgemein anerkannt hat,
daß "Gefühl und Phantasie unentbehrliche Helfer des Verstandes sind und der
Bildung, Ausbildung eben so sehr bedürfen, wie der Verstand, und gerade in
der Schule", da ist es schwer eine vernünftige Erklärung dafür zu finden, daß
man sich in der Volksschule aus begreiflichen Gründen nicht -- so hartnäckig
gegen die Anerkennung des Satzes sträubt, daß kein anderer Lehrstoff so wie
der deutsche sich zu echter Bildung eigne, "wenigstens nicht in der Mannigfal¬
tigkeit und -- so nahe rührend an das allgemein Menschliche".

Daß "der deutsche Unterricht der wichtigste ist, da diese Wichtig¬
keit, so groß oder klein sie auch einer ansetzen mag, mit der höchsten Auf¬
gabe der deutschen Schule als deutscher zusammenhängt", das ist in
seiner Bedeutung für die heiligsten Interessen der Nation kürzlich in einer
schönen Schrift Rudolf Hildebrands*) erörtert worden, desselben Ge-



*) Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher
Erziehung und Bildung überhaupt. Mit einem Anhange über die Fremdwörter
und ihre Behandlung in der Schule, Leipzig, Klinckhcirdt, 187".

Schlag- und Kampfwort - auch im engeren Sinne gefaßt — richtig verstanden,
viel Wahres. Nur das Verfahren derjenigen, „welche die alten tief aufgefah¬
renen Geleise für die einzig möglichen Wege halten", ist ein verfehltes und be¬
ruht wohl zum großen Theil auf dem Irrthum, als sei jeder Stoff gleich gut
oder schlecht, um diese formale Bildung an ihm zu erzielen. Nachdem Jacob
Grimm und seine Jünger das Leben der Muttersprache als ein so reiches er¬
wiesen und uns in einer Weise erschlossen haben, wie das Leben einer fremden
Sprache uns gar nicht erschlossen werden kann, ist es hohe Zeit geworden,
die patriotische Mahnung des alten Stieler (in seinem „Deutschen Sprachschatze",
1691), zu befolgen, „daß man erst den teutschen Busch wol ausklopfe und die
Brunnquellen prüfe, ehe man dißfalls verspielet gebe und vor fremden Thüren
Brot suchen gehe".

Wissenschaftlich hat die vergleichende Sprachforschung das Monopol des
Lateins gebrochen; auch nach der praktisch-pädagogischen Seite hin wird es ge¬
schehen, sobald der einfachen Wahrheit der Zugang geöffnet sein wird, daß die¬
jenige formale Bildung die höhere und werthvollere sei, die an einem leben¬
digeren, gehaltvolleren Stoffe gewonnen wird. Es begreift sich leicht, wie zu
einer Zeit, da man in der Schule „fürs Lernen das Hauptgewicht legte auf
Klarheit im Verstehen, anf klaren Verstand, für sittliche Dinge auf das Pflicht¬
gefühl, besser auf den Pflichtbegriff", wie damals das Latein, welches zudem
das geschichtliche Recht für sich hatte, als die Jdealsprache angesehen wurde, mit
deren Hilfe allein eines der wichtigsten Bildungsziele, logische Schulung des
jugendlichen Geistes, erreicht werden könnte. Seitdem man aber erkannt, wenn¬
gleich in der Schule wie anderwärts noch lange nicht allgemein anerkannt hat,
daß „Gefühl und Phantasie unentbehrliche Helfer des Verstandes sind und der
Bildung, Ausbildung eben so sehr bedürfen, wie der Verstand, und gerade in
der Schule", da ist es schwer eine vernünftige Erklärung dafür zu finden, daß
man sich in der Volksschule aus begreiflichen Gründen nicht — so hartnäckig
gegen die Anerkennung des Satzes sträubt, daß kein anderer Lehrstoff so wie
der deutsche sich zu echter Bildung eigne, „wenigstens nicht in der Mannigfal¬
tigkeit und — so nahe rührend an das allgemein Menschliche".

Daß „der deutsche Unterricht der wichtigste ist, da diese Wichtig¬
keit, so groß oder klein sie auch einer ansetzen mag, mit der höchsten Auf¬
gabe der deutschen Schule als deutscher zusammenhängt", das ist in
seiner Bedeutung für die heiligsten Interessen der Nation kürzlich in einer
schönen Schrift Rudolf Hildebrands*) erörtert worden, desselben Ge-



*) Vom deutschen Sprachunterricht in der Schule und von deutscher
Erziehung und Bildung überhaupt. Mit einem Anhange über die Fremdwörter
und ihre Behandlung in der Schule, Leipzig, Klinckhcirdt, 187».
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/179>, abgerufen am 23.07.2024.