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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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zur Hand damit, die Schuld an solchen Zuständen auf den Branntwein zu
schieben. Der Branntwein ist nicht die Ursache, er ist vielmehr die Folge dieser
Zustände, weil er, wenigstens auf Augenblicke, es vermag die Bejammernswer-
then über ihr Elend hinwegzutäuschen. Die Sünden der Väter werden hier
gestraft an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Die Waldverwüstung
rächt sich am Menschengeschlechte. Was kann es nützen, daß man die aus den
herrlichen Waldungen entstandenen Hütnngen jetzt stückweise den armen Bewoh¬
nern vorübergehend zum Kartoffelbau übergiebt? Solche Mittel befördern nur
die Armuth und das Proletariat, denn aus jeder Scholle Kartoffelland entsteht
eine neue Familie, die nichts hat als ihr erbärmliches Dasein und mit ihrer
ganzen Nachkommenschaft von dem Capital der Volkswohlfahrt zehrt. Man
verbanne das I^issW Kurs, schiebe energisch und rücksichtslos dem Eigennutze
kurzsichtiger und gewissenloser Spemlanten einen Riegel vor, denn bei der emi¬
nenten Bedeutung, welche der Wald für das allgemeine Wohl hat, darf derselbe
schlechterdings nicht länger als ein Gegenstand gewöhnlicher Production und
Speculation augesehen werden. In den Staatswaldnngen ist freilich von eigent¬
lichen Verwüstungen schon lange nicht mehr die Rede, aber das stetig wachsende
Geldbedürfniß veranlaßt doch auch viele Regierungen, die technische Haubarkeit
der Bäume nicht mehr abzuwarten, sondern mehr finanzielle Grundsätze bei
Aufstellung der Fvrstwirthschaftspläne gelten zu lassen, welche in einigen deut¬
schen Staaten bereits den Charakter der reinen Geldwirthschaft angenommen
haben unter dem schonen Titel der "rationellen Forstwirthschaft". Da, wo
solche Verhältnisse noch nicht bestehen, sollte man den Verkauf vou Staatsforstm
auf das allerengste Maß beschränken und sich nicht damit begnügen, den Erlös
aus dem Verkauf vou Staatsforsten zur Abtragung von Staatsschulden zu ver¬
wenden, wie das in Preußen sehr gewissenhaft geschieht, sondern der ganze Erlös
sollte zum Ankauf und zur Wiederaufforstung kahler Flächen bestimmt und ver¬
wendet werden. In dieser Richtung sind nicht allein Prohibitiv-Gesetze noth¬
wendig und gerechtfertigt, sondern selbst Expropriationen. Es ist eben die Auf¬
gabe des Staates, da wo es das Gemeinwohl erfordert, die zu weit ausartende
Freiheit des Privateigenthumcs am Grund und Boden zu beschränken. Dieser
seiner Aufgabe des Waldschutzes aber hat der Staat bis heute so gut wie noch
gar nicht entsprochen. Ungehindert hat er es geschehen lassen, daß die Thei¬
lungen der Gemeindewaldungen fast ausnahmslos massenhafte EntHolzungen
und die Umwandlungen des Forstbodens in Ackerland zur Folge gehabt haben,
gleichviel ob das rentabel war oder nicht. Der Privatbesitzer, der gewöhnlich
mir ans den nächsten Vortheil sieht, versucht es eben, ohne an die Folgen zu
denken. Was kann es helfen, wenn beispielsweise unsere reichen industriellen
Gesellschaften alljährlich viele Tausende opfern und zur Aufforstung der kahlen


zur Hand damit, die Schuld an solchen Zuständen auf den Branntwein zu
schieben. Der Branntwein ist nicht die Ursache, er ist vielmehr die Folge dieser
Zustände, weil er, wenigstens auf Augenblicke, es vermag die Bejammernswer-
then über ihr Elend hinwegzutäuschen. Die Sünden der Väter werden hier
gestraft an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied. Die Waldverwüstung
rächt sich am Menschengeschlechte. Was kann es nützen, daß man die aus den
herrlichen Waldungen entstandenen Hütnngen jetzt stückweise den armen Bewoh¬
nern vorübergehend zum Kartoffelbau übergiebt? Solche Mittel befördern nur
die Armuth und das Proletariat, denn aus jeder Scholle Kartoffelland entsteht
eine neue Familie, die nichts hat als ihr erbärmliches Dasein und mit ihrer
ganzen Nachkommenschaft von dem Capital der Volkswohlfahrt zehrt. Man
verbanne das I^issW Kurs, schiebe energisch und rücksichtslos dem Eigennutze
kurzsichtiger und gewissenloser Spemlanten einen Riegel vor, denn bei der emi¬
nenten Bedeutung, welche der Wald für das allgemeine Wohl hat, darf derselbe
schlechterdings nicht länger als ein Gegenstand gewöhnlicher Production und
Speculation augesehen werden. In den Staatswaldnngen ist freilich von eigent¬
lichen Verwüstungen schon lange nicht mehr die Rede, aber das stetig wachsende
Geldbedürfniß veranlaßt doch auch viele Regierungen, die technische Haubarkeit
der Bäume nicht mehr abzuwarten, sondern mehr finanzielle Grundsätze bei
Aufstellung der Fvrstwirthschaftspläne gelten zu lassen, welche in einigen deut¬
schen Staaten bereits den Charakter der reinen Geldwirthschaft angenommen
haben unter dem schonen Titel der „rationellen Forstwirthschaft". Da, wo
solche Verhältnisse noch nicht bestehen, sollte man den Verkauf vou Staatsforstm
auf das allerengste Maß beschränken und sich nicht damit begnügen, den Erlös
aus dem Verkauf vou Staatsforsten zur Abtragung von Staatsschulden zu ver¬
wenden, wie das in Preußen sehr gewissenhaft geschieht, sondern der ganze Erlös
sollte zum Ankauf und zur Wiederaufforstung kahler Flächen bestimmt und ver¬
wendet werden. In dieser Richtung sind nicht allein Prohibitiv-Gesetze noth¬
wendig und gerechtfertigt, sondern selbst Expropriationen. Es ist eben die Auf¬
gabe des Staates, da wo es das Gemeinwohl erfordert, die zu weit ausartende
Freiheit des Privateigenthumcs am Grund und Boden zu beschränken. Dieser
seiner Aufgabe des Waldschutzes aber hat der Staat bis heute so gut wie noch
gar nicht entsprochen. Ungehindert hat er es geschehen lassen, daß die Thei¬
lungen der Gemeindewaldungen fast ausnahmslos massenhafte EntHolzungen
und die Umwandlungen des Forstbodens in Ackerland zur Folge gehabt haben,
gleichviel ob das rentabel war oder nicht. Der Privatbesitzer, der gewöhnlich
mir ans den nächsten Vortheil sieht, versucht es eben, ohne an die Folgen zu
denken. Was kann es helfen, wenn beispielsweise unsere reichen industriellen
Gesellschaften alljährlich viele Tausende opfern und zur Aufforstung der kahlen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/159>, abgerufen am 23.07.2024.