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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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gleich liebevoll auszuführen. Aber es hieße den Hauptvorzug desselben verkennen,
wollte mau lediglich die landschaftliche Schilderung und die Schilderung der
Sitten der Zeit rühmen. C. F. Meyer zeigt das ernstlichste Bestreben, uns die
Gestalt seines finsteren und bedenklichen Helden so nahe als nur immer möglich
zu bringen. Wenn ihm dies nicht vollständig gelingt, so liegt dies daran, daß
er den gewaltthätig kühnen Abenteurer, den blutigen Prädicanten und Kriegs¬
knecht mit Eigenschaften ausstattet, die mit seinein Verhalten und Thun in
Widerspruch stehen, ihm Wirkungen auf andere Naturen beilegt, welche dunkel
bleiben. Die Anlage der einzelne!: Gestalten wie der einzelnen Conflicte erscheint
überall vorzüglicher, als ihre nachmalige Durchführung. Auch hat die Länge
des zu schildernden Zeitraums, die übermüßige Breite des Hintergrundes gewisse
Lücken und Sprünge veranlaßt, die der psychologischen Folgerichtigkeit und der
Wirkung der Charakteristik Abbruch thun. Die ganze Einheit des Romans beruht
in der Gestalt des Jenatsch, und diese wird nicht völlig deutlich und überzeugend,
obschon einzelne Momente, in denen sie handelnd eingreift, von hinreißender
Kraft und Schönheit find. Jeder Leser des Romans aber wird zugeben, daß
die Vollendung der Situationsmalerei die der Anlage, Verknüpfung und der
Gestaltenzeichnung weit überragt. Inwieweit dies für den Romandichter und
Erzähler ein Mangel ist, darüber können verschiedene Meinungen laut werden,
wir verkeimen keineswegs, daß, wie überhaupt bei der Richtung der Erzählungs¬
kunst eine Mitwirkung der jeweiligen Geschmacksbedürfnisse des Publikums statt¬
findet, die Neigung der Gegenwart zum Genrebild mit starkem und vor allein
mit fremdartigen leuchtenden Farbenauftrag, an der bezeichneten Eigenthümlich¬
keit des Poeten eine Art Antheil hat.

Die Novelle "Das Amulet" erzählt uach einer der oben berührten, bei
unserem Autor beliebten Einleitungen die Geschichte zweier junger Schweizer, des
katholischen Wilhelm Bvceard von Freiburg und des ealviuistischeu Hans Schaden
vou Bern, die in das Unheil der Bartholomäusnacht verflochten werden. Schadan
(der in seinem Alter die Erinnerungen an jene schwülen Tage aufzeichnet) ent¬
rinnt durch die aufopfernde Landsmannschaft Boceards, welcher unter den
königlichen Schweizern dient, dem todtbringenden Paris und kauu sein junges
Weib Gasparde, die er gewonnen, sicher in der heimatlichen Schweiz bergen,
während der brave Boecard, trotz seines Amnlets der allerheiligsten Jungfrau
von Einsiedeln, im Getümmel der Mordscenen den Tod findet. Die Erfindung
ist hier von großer Sicherheit und einem natürlichen freien Zug, die Scenen
folgen eine aus der anderen mit feiner Verknüpfung, die Erzählung erscheint
dadurch ans einem Guß, daß ihr letzter Ausgang geschickt in den ersten Er¬
lebnissen Schadau's vorbereitet ist. Einzelne Momente: das prächtige Zusammen¬
treffen der beiden jungen Schweizer mit dem Parlamentsrath von Chatillon


gleich liebevoll auszuführen. Aber es hieße den Hauptvorzug desselben verkennen,
wollte mau lediglich die landschaftliche Schilderung und die Schilderung der
Sitten der Zeit rühmen. C. F. Meyer zeigt das ernstlichste Bestreben, uns die
Gestalt seines finsteren und bedenklichen Helden so nahe als nur immer möglich
zu bringen. Wenn ihm dies nicht vollständig gelingt, so liegt dies daran, daß
er den gewaltthätig kühnen Abenteurer, den blutigen Prädicanten und Kriegs¬
knecht mit Eigenschaften ausstattet, die mit seinein Verhalten und Thun in
Widerspruch stehen, ihm Wirkungen auf andere Naturen beilegt, welche dunkel
bleiben. Die Anlage der einzelne!: Gestalten wie der einzelnen Conflicte erscheint
überall vorzüglicher, als ihre nachmalige Durchführung. Auch hat die Länge
des zu schildernden Zeitraums, die übermüßige Breite des Hintergrundes gewisse
Lücken und Sprünge veranlaßt, die der psychologischen Folgerichtigkeit und der
Wirkung der Charakteristik Abbruch thun. Die ganze Einheit des Romans beruht
in der Gestalt des Jenatsch, und diese wird nicht völlig deutlich und überzeugend,
obschon einzelne Momente, in denen sie handelnd eingreift, von hinreißender
Kraft und Schönheit find. Jeder Leser des Romans aber wird zugeben, daß
die Vollendung der Situationsmalerei die der Anlage, Verknüpfung und der
Gestaltenzeichnung weit überragt. Inwieweit dies für den Romandichter und
Erzähler ein Mangel ist, darüber können verschiedene Meinungen laut werden,
wir verkeimen keineswegs, daß, wie überhaupt bei der Richtung der Erzählungs¬
kunst eine Mitwirkung der jeweiligen Geschmacksbedürfnisse des Publikums statt¬
findet, die Neigung der Gegenwart zum Genrebild mit starkem und vor allein
mit fremdartigen leuchtenden Farbenauftrag, an der bezeichneten Eigenthümlich¬
keit des Poeten eine Art Antheil hat.

Die Novelle „Das Amulet" erzählt uach einer der oben berührten, bei
unserem Autor beliebten Einleitungen die Geschichte zweier junger Schweizer, des
katholischen Wilhelm Bvceard von Freiburg und des ealviuistischeu Hans Schaden
vou Bern, die in das Unheil der Bartholomäusnacht verflochten werden. Schadan
(der in seinem Alter die Erinnerungen an jene schwülen Tage aufzeichnet) ent¬
rinnt durch die aufopfernde Landsmannschaft Boceards, welcher unter den
königlichen Schweizern dient, dem todtbringenden Paris und kauu sein junges
Weib Gasparde, die er gewonnen, sicher in der heimatlichen Schweiz bergen,
während der brave Boecard, trotz seines Amnlets der allerheiligsten Jungfrau
von Einsiedeln, im Getümmel der Mordscenen den Tod findet. Die Erfindung
ist hier von großer Sicherheit und einem natürlichen freien Zug, die Scenen
folgen eine aus der anderen mit feiner Verknüpfung, die Erzählung erscheint
dadurch ans einem Guß, daß ihr letzter Ausgang geschickt in den ersten Er¬
lebnissen Schadau's vorbereitet ist. Einzelne Momente: das prächtige Zusammen¬
treffen der beiden jungen Schweizer mit dem Parlamentsrath von Chatillon


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/154>, abgerufen am 23.07.2024.