Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.aus einer calvinistischen Familie stammend, hatte zu Zürich Theologie studirt Der Leser erräth leicht, welche Vortheile solcher Stoff und solche Gestalt Grenzboten III, 1880. Is
aus einer calvinistischen Familie stammend, hatte zu Zürich Theologie studirt Der Leser erräth leicht, welche Vortheile solcher Stoff und solche Gestalt Grenzboten III, 1880. Is
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147240"/> <p xml:id="ID_403" prev="#ID_402"> aus einer calvinistischen Familie stammend, hatte zu Zürich Theologie studirt<lb/> und war dann in seiner rhätischen Heimat ins Pfarramt getreten. Er erscheint<lb/> hier um 1618 unter jenen protestantischen Fanatikern, welche durch das „Straf¬<lb/> gericht von Thusis", die Umtriebe der spanisch-jesuitischen Partei zu beseitigen<lb/> suchten, damit aber nur die Erhebung derselben förderten. Nach den Siegen der<lb/> katholischen Partei geächtet, mußte Jenatsch seine Pfarrstelle verlassen, irrte unter<lb/> den Geächteten umher und war bei dem Morde des Hauptes der rhätischen<lb/> Katholiken, des Pompejus von Planta auf Schloß Rietberg, einer der Haupt¬<lb/> thäler. Dann suchte er Zuflucht in den Heerlagern der Protestanten, vertauschte<lb/> die Bibel völlig mit dem Schwert und machte unter den Schaaren, die Peter<lb/> Ernst von Mansfeld im Namen des flüchtigen Winterkönigs von Böhmen be¬<lb/> fehligte, eine schlimme Schule rücksichtsloser Gewaltthat und ehrgeiziger Bestre¬<lb/> bungen durch. Er wurde in verschiedenen fremden Diensten ein gewaltiger und<lb/> gefürchteter Kriegsoberst, der aber die rhätische Republik und ihre Wirren fort¬<lb/> gesetzt im Auge behielt und im geeigneten Augenblick in die Heimat zurückkehrend<lb/> in deren wilden Bürgerkriegen eine immer hervorragendere Stellung errang, so<lb/> daß es eine Zeitlang den Anschein gewann als werde er der Dictator der drei<lb/> Bünde werden. Um solches Ziel zu erreichen, wechselte er fort und fort seine<lb/> Fahne und Losung, trat, der einst so fanatisch verfochtenen Confession innerlich<lb/> längst entfremdet, 1635 zur katholischen Kirche über und drängte, nachdem er die<lb/> Franzosen hatte ins Land rufen helfen, um Beistand gegen Spanien zu erlangen,<lb/> schließlich mit spanisch-österreichischer Hilfe den französischen Heerführer, den<lb/> Herzog von Rohan, wieder aus Graubünden hinaus. Beim Mailänder Frieden<lb/> von 1637 war er die eigentliche Seele der Verhandlungen, und auch nach dem¬<lb/> selben behauptete er sich gebietend und gewaltthätig, in einer Ausnahmestellung.<lb/> Es war der dramatisch correcte Schluß solchen Lebens, daß er am 24. Januar<lb/> 1639 zu Chur von einer Anzahl politischer Gegner — an deren Spitze Katharina<lb/> und Rudolf von Planta, die Kinder des dereinst ermordeten Pompejus von<lb/> Planta standen — in einer Fastnachtslustbarkeit überfallen und mit Axtschlägen<lb/> meuchlerisch niedergestreckt wurde.</p><lb/> <p xml:id="ID_404" next="#ID_405"> Der Leser erräth leicht, welche Vortheile solcher Stoff und solche Gestalt<lb/> dem Dichter boten, welche Schwierigkeiten andererseits mit demselben verknüpft<lb/> sein mußten. Zur Farbeuentfaltuug war hier reiche Gelegenheit. Die wechsel¬<lb/> volle Landschaft Graubündens — rauhe, mächtige Alpenhöhen, Thäler, mit allem<lb/> Zauber des Südens geschmückt, und wilde wasserreiche Schluchten, darin einsam<lb/> liegende Schlösser und Höfe — dies alles steht deutlich vor unseren Blicken.<lb/> Und was mehr ist, auch jene Schilderung inmitten der Handlung, die mit ein¬<lb/> zelnen Zügen und Strichen jede Situation anschaulicher und wirksamer macht,<lb/> steht dem Verfasser zu Gebote. Er ist bemüht Hintergrund und Vordergrund</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III, 1880. Is</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0153]
aus einer calvinistischen Familie stammend, hatte zu Zürich Theologie studirt
und war dann in seiner rhätischen Heimat ins Pfarramt getreten. Er erscheint
hier um 1618 unter jenen protestantischen Fanatikern, welche durch das „Straf¬
gericht von Thusis", die Umtriebe der spanisch-jesuitischen Partei zu beseitigen
suchten, damit aber nur die Erhebung derselben förderten. Nach den Siegen der
katholischen Partei geächtet, mußte Jenatsch seine Pfarrstelle verlassen, irrte unter
den Geächteten umher und war bei dem Morde des Hauptes der rhätischen
Katholiken, des Pompejus von Planta auf Schloß Rietberg, einer der Haupt¬
thäler. Dann suchte er Zuflucht in den Heerlagern der Protestanten, vertauschte
die Bibel völlig mit dem Schwert und machte unter den Schaaren, die Peter
Ernst von Mansfeld im Namen des flüchtigen Winterkönigs von Böhmen be¬
fehligte, eine schlimme Schule rücksichtsloser Gewaltthat und ehrgeiziger Bestre¬
bungen durch. Er wurde in verschiedenen fremden Diensten ein gewaltiger und
gefürchteter Kriegsoberst, der aber die rhätische Republik und ihre Wirren fort¬
gesetzt im Auge behielt und im geeigneten Augenblick in die Heimat zurückkehrend
in deren wilden Bürgerkriegen eine immer hervorragendere Stellung errang, so
daß es eine Zeitlang den Anschein gewann als werde er der Dictator der drei
Bünde werden. Um solches Ziel zu erreichen, wechselte er fort und fort seine
Fahne und Losung, trat, der einst so fanatisch verfochtenen Confession innerlich
längst entfremdet, 1635 zur katholischen Kirche über und drängte, nachdem er die
Franzosen hatte ins Land rufen helfen, um Beistand gegen Spanien zu erlangen,
schließlich mit spanisch-österreichischer Hilfe den französischen Heerführer, den
Herzog von Rohan, wieder aus Graubünden hinaus. Beim Mailänder Frieden
von 1637 war er die eigentliche Seele der Verhandlungen, und auch nach dem¬
selben behauptete er sich gebietend und gewaltthätig, in einer Ausnahmestellung.
Es war der dramatisch correcte Schluß solchen Lebens, daß er am 24. Januar
1639 zu Chur von einer Anzahl politischer Gegner — an deren Spitze Katharina
und Rudolf von Planta, die Kinder des dereinst ermordeten Pompejus von
Planta standen — in einer Fastnachtslustbarkeit überfallen und mit Axtschlägen
meuchlerisch niedergestreckt wurde.
Der Leser erräth leicht, welche Vortheile solcher Stoff und solche Gestalt
dem Dichter boten, welche Schwierigkeiten andererseits mit demselben verknüpft
sein mußten. Zur Farbeuentfaltuug war hier reiche Gelegenheit. Die wechsel¬
volle Landschaft Graubündens — rauhe, mächtige Alpenhöhen, Thäler, mit allem
Zauber des Südens geschmückt, und wilde wasserreiche Schluchten, darin einsam
liegende Schlösser und Höfe — dies alles steht deutlich vor unseren Blicken.
Und was mehr ist, auch jene Schilderung inmitten der Handlung, die mit ein¬
zelnen Zügen und Strichen jede Situation anschaulicher und wirksamer macht,
steht dem Verfasser zu Gebote. Er ist bemüht Hintergrund und Vordergrund
Grenzboten III, 1880. Is
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