Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

buhlerischen Ansprüche auf Achtung und Furcht durch ganz Mittel- und Süd¬
asien, die England und Nußland erheben, würden sofort für Rußland entschieden
sein, wenn es Peking einnähme, und das nächste große Ereigniß in der Welt¬
geschichte würde ein allgemeiner Aufstand in ganz Indien sein."

Der van^ ?6l<ZArax>k aber läßt sich an verschiedenen Stellen über den
Gegenstand vernehmen und, wie uns scheint, mit viel Verstand und Sachkunde.
Er sagt u. a.: "Es ist nicht zu errathen, wie weit der gegenwärtig zwischen
Rußland und China heraufziehende Kriegssturm sich ausbreiten wird. Er wird
große Nachtheile für die britischen Interessen im Gefolge haben, wenn man
der Petersburger Politik gestattet, in Gestalt einer Blockade und Handelssperre
Repressalien zu ergreifen. In der That, Rußland konnte durch Schließung der
chinesischen Häfen die indischen Finanzen lahm legen und eine große Anzahl
englischer Kaufmaunshäuser zu Grunde richten, und London wird bei dem
Kampfe zwischen China und Rußland fast ebenso sehr als Peking in Mitleiden¬
schaft gezogen werden." Und in einer ausführlicheren Betrachtung dieser Ver¬
hältnisse bemerkt das genannte Tory-Blatt, dem wir mit dem Bemerken, daß in
Schanghai, Hongkong und anderen chinesischen Häfen auch deutsche Firmen unter
einer Blockade schwer leiden müßten, und daß aus einer solchen den Hamburger
nud Bremer Rhedern, deren Schiffe einen sehr bedeutenden Theil des Verkehrs
zwischen jenen Häfen unter einander und mit Deutschland vermitteln, großer
Schaden und Verlust erwachsen würde, in allem wesentlichen beipflichten: "Ein
Krieg zwischen Rußland und China würde die englischen Interessen an vielen
Punkten der Erde berühren. Daß uns die mittelbaren Folgen eines solchen
nicht in allen Fällen unwillkommen sein möchten, können wir aus den neuesten
Gerüchten schließen, die uns aus Se. Petersburg zukommen. Nach denselben
ist der Feldzug gegen die Telle-Turkmenen aufgeschoben worden, und man hat
den General Skobeleff zurückberufen und ihn nach dem Gebiete von Kuldscha
gesandt, wo er den ersten Grundstein zu dem glänzenden Rufe legte, dessen er
sich erfreut. So ist denn die allmähliche Annäherung einer moskowitischen
Streitmacht an die Grenzen Afghanistans wenigstens für einige Zeit abgewendet
und ein Element der Ruhestörung aus der Politik dieses von Parteien zerris¬
senen Landes beseitigt. Auch in einer anderen Richtung muß die russische Thä¬
tigkeit sich durch einen Krieg mit China vermindern, wenn nicht zeitweilig ganz
aufhören. Die Staatsmänner des Zaren sind zu klug, um sich auf zwei Zu¬
sammenstöße zu gleicher Zeit einzulassen. Die Balkanhalbinsel und Armenien
werden deshalb wahrscheinlich für eine geraume Frist Ruhe vor russischen Dro¬
hungen, wenn auch nicht vor russischen Ränken haben. Ein ziemlich deutlicher
Beweis für diese neue Haltung der Se. Petersburger Politik in Betreff der
Türkei ist in der Nachricht enthalten, daß der Sultan ersucht worden ist, russi-


Grenzboten III- 1880. 1"

buhlerischen Ansprüche auf Achtung und Furcht durch ganz Mittel- und Süd¬
asien, die England und Nußland erheben, würden sofort für Rußland entschieden
sein, wenn es Peking einnähme, und das nächste große Ereigniß in der Welt¬
geschichte würde ein allgemeiner Aufstand in ganz Indien sein."

Der van^ ?6l<ZArax>k aber läßt sich an verschiedenen Stellen über den
Gegenstand vernehmen und, wie uns scheint, mit viel Verstand und Sachkunde.
Er sagt u. a.: „Es ist nicht zu errathen, wie weit der gegenwärtig zwischen
Rußland und China heraufziehende Kriegssturm sich ausbreiten wird. Er wird
große Nachtheile für die britischen Interessen im Gefolge haben, wenn man
der Petersburger Politik gestattet, in Gestalt einer Blockade und Handelssperre
Repressalien zu ergreifen. In der That, Rußland konnte durch Schließung der
chinesischen Häfen die indischen Finanzen lahm legen und eine große Anzahl
englischer Kaufmaunshäuser zu Grunde richten, und London wird bei dem
Kampfe zwischen China und Rußland fast ebenso sehr als Peking in Mitleiden¬
schaft gezogen werden." Und in einer ausführlicheren Betrachtung dieser Ver¬
hältnisse bemerkt das genannte Tory-Blatt, dem wir mit dem Bemerken, daß in
Schanghai, Hongkong und anderen chinesischen Häfen auch deutsche Firmen unter
einer Blockade schwer leiden müßten, und daß aus einer solchen den Hamburger
nud Bremer Rhedern, deren Schiffe einen sehr bedeutenden Theil des Verkehrs
zwischen jenen Häfen unter einander und mit Deutschland vermitteln, großer
Schaden und Verlust erwachsen würde, in allem wesentlichen beipflichten: „Ein
Krieg zwischen Rußland und China würde die englischen Interessen an vielen
Punkten der Erde berühren. Daß uns die mittelbaren Folgen eines solchen
nicht in allen Fällen unwillkommen sein möchten, können wir aus den neuesten
Gerüchten schließen, die uns aus Se. Petersburg zukommen. Nach denselben
ist der Feldzug gegen die Telle-Turkmenen aufgeschoben worden, und man hat
den General Skobeleff zurückberufen und ihn nach dem Gebiete von Kuldscha
gesandt, wo er den ersten Grundstein zu dem glänzenden Rufe legte, dessen er
sich erfreut. So ist denn die allmähliche Annäherung einer moskowitischen
Streitmacht an die Grenzen Afghanistans wenigstens für einige Zeit abgewendet
und ein Element der Ruhestörung aus der Politik dieses von Parteien zerris¬
senen Landes beseitigt. Auch in einer anderen Richtung muß die russische Thä¬
tigkeit sich durch einen Krieg mit China vermindern, wenn nicht zeitweilig ganz
aufhören. Die Staatsmänner des Zaren sind zu klug, um sich auf zwei Zu¬
sammenstöße zu gleicher Zeit einzulassen. Die Balkanhalbinsel und Armenien
werden deshalb wahrscheinlich für eine geraume Frist Ruhe vor russischen Dro¬
hungen, wenn auch nicht vor russischen Ränken haben. Ein ziemlich deutlicher
Beweis für diese neue Haltung der Se. Petersburger Politik in Betreff der
Türkei ist in der Nachricht enthalten, daß der Sultan ersucht worden ist, russi-


Grenzboten III- 1880. 1»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0145" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147232"/>
          <p xml:id="ID_383" prev="#ID_382"> buhlerischen Ansprüche auf Achtung und Furcht durch ganz Mittel- und Süd¬<lb/>
asien, die England und Nußland erheben, würden sofort für Rußland entschieden<lb/>
sein, wenn es Peking einnähme, und das nächste große Ereigniß in der Welt¬<lb/>
geschichte würde ein allgemeiner Aufstand in ganz Indien sein."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_384" next="#ID_385"> Der van^ ?6l&lt;ZArax&gt;k aber läßt sich an verschiedenen Stellen über den<lb/>
Gegenstand vernehmen und, wie uns scheint, mit viel Verstand und Sachkunde.<lb/>
Er sagt u. a.: &#x201E;Es ist nicht zu errathen, wie weit der gegenwärtig zwischen<lb/>
Rußland und China heraufziehende Kriegssturm sich ausbreiten wird. Er wird<lb/>
große Nachtheile für die britischen Interessen im Gefolge haben, wenn man<lb/>
der Petersburger Politik gestattet, in Gestalt einer Blockade und Handelssperre<lb/>
Repressalien zu ergreifen. In der That, Rußland konnte durch Schließung der<lb/>
chinesischen Häfen die indischen Finanzen lahm legen und eine große Anzahl<lb/>
englischer Kaufmaunshäuser zu Grunde richten, und London wird bei dem<lb/>
Kampfe zwischen China und Rußland fast ebenso sehr als Peking in Mitleiden¬<lb/>
schaft gezogen werden." Und in einer ausführlicheren Betrachtung dieser Ver¬<lb/>
hältnisse bemerkt das genannte Tory-Blatt, dem wir mit dem Bemerken, daß in<lb/>
Schanghai, Hongkong und anderen chinesischen Häfen auch deutsche Firmen unter<lb/>
einer Blockade schwer leiden müßten, und daß aus einer solchen den Hamburger<lb/>
nud Bremer Rhedern, deren Schiffe einen sehr bedeutenden Theil des Verkehrs<lb/>
zwischen jenen Häfen unter einander und mit Deutschland vermitteln, großer<lb/>
Schaden und Verlust erwachsen würde, in allem wesentlichen beipflichten: &#x201E;Ein<lb/>
Krieg zwischen Rußland und China würde die englischen Interessen an vielen<lb/>
Punkten der Erde berühren. Daß uns die mittelbaren Folgen eines solchen<lb/>
nicht in allen Fällen unwillkommen sein möchten, können wir aus den neuesten<lb/>
Gerüchten schließen, die uns aus Se. Petersburg zukommen. Nach denselben<lb/>
ist der Feldzug gegen die Telle-Turkmenen aufgeschoben worden, und man hat<lb/>
den General Skobeleff zurückberufen und ihn nach dem Gebiete von Kuldscha<lb/>
gesandt, wo er den ersten Grundstein zu dem glänzenden Rufe legte, dessen er<lb/>
sich erfreut. So ist denn die allmähliche Annäherung einer moskowitischen<lb/>
Streitmacht an die Grenzen Afghanistans wenigstens für einige Zeit abgewendet<lb/>
und ein Element der Ruhestörung aus der Politik dieses von Parteien zerris¬<lb/>
senen Landes beseitigt. Auch in einer anderen Richtung muß die russische Thä¬<lb/>
tigkeit sich durch einen Krieg mit China vermindern, wenn nicht zeitweilig ganz<lb/>
aufhören. Die Staatsmänner des Zaren sind zu klug, um sich auf zwei Zu¬<lb/>
sammenstöße zu gleicher Zeit einzulassen. Die Balkanhalbinsel und Armenien<lb/>
werden deshalb wahrscheinlich für eine geraume Frist Ruhe vor russischen Dro¬<lb/>
hungen, wenn auch nicht vor russischen Ränken haben. Ein ziemlich deutlicher<lb/>
Beweis für diese neue Haltung der Se. Petersburger Politik in Betreff der<lb/>
Türkei ist in der Nachricht enthalten, daß der Sultan ersucht worden ist, russi-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III- 1880. 1»</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145] buhlerischen Ansprüche auf Achtung und Furcht durch ganz Mittel- und Süd¬ asien, die England und Nußland erheben, würden sofort für Rußland entschieden sein, wenn es Peking einnähme, und das nächste große Ereigniß in der Welt¬ geschichte würde ein allgemeiner Aufstand in ganz Indien sein." Der van^ ?6l<ZArax>k aber läßt sich an verschiedenen Stellen über den Gegenstand vernehmen und, wie uns scheint, mit viel Verstand und Sachkunde. Er sagt u. a.: „Es ist nicht zu errathen, wie weit der gegenwärtig zwischen Rußland und China heraufziehende Kriegssturm sich ausbreiten wird. Er wird große Nachtheile für die britischen Interessen im Gefolge haben, wenn man der Petersburger Politik gestattet, in Gestalt einer Blockade und Handelssperre Repressalien zu ergreifen. In der That, Rußland konnte durch Schließung der chinesischen Häfen die indischen Finanzen lahm legen und eine große Anzahl englischer Kaufmaunshäuser zu Grunde richten, und London wird bei dem Kampfe zwischen China und Rußland fast ebenso sehr als Peking in Mitleiden¬ schaft gezogen werden." Und in einer ausführlicheren Betrachtung dieser Ver¬ hältnisse bemerkt das genannte Tory-Blatt, dem wir mit dem Bemerken, daß in Schanghai, Hongkong und anderen chinesischen Häfen auch deutsche Firmen unter einer Blockade schwer leiden müßten, und daß aus einer solchen den Hamburger nud Bremer Rhedern, deren Schiffe einen sehr bedeutenden Theil des Verkehrs zwischen jenen Häfen unter einander und mit Deutschland vermitteln, großer Schaden und Verlust erwachsen würde, in allem wesentlichen beipflichten: „Ein Krieg zwischen Rußland und China würde die englischen Interessen an vielen Punkten der Erde berühren. Daß uns die mittelbaren Folgen eines solchen nicht in allen Fällen unwillkommen sein möchten, können wir aus den neuesten Gerüchten schließen, die uns aus Se. Petersburg zukommen. Nach denselben ist der Feldzug gegen die Telle-Turkmenen aufgeschoben worden, und man hat den General Skobeleff zurückberufen und ihn nach dem Gebiete von Kuldscha gesandt, wo er den ersten Grundstein zu dem glänzenden Rufe legte, dessen er sich erfreut. So ist denn die allmähliche Annäherung einer moskowitischen Streitmacht an die Grenzen Afghanistans wenigstens für einige Zeit abgewendet und ein Element der Ruhestörung aus der Politik dieses von Parteien zerris¬ senen Landes beseitigt. Auch in einer anderen Richtung muß die russische Thä¬ tigkeit sich durch einen Krieg mit China vermindern, wenn nicht zeitweilig ganz aufhören. Die Staatsmänner des Zaren sind zu klug, um sich auf zwei Zu¬ sammenstöße zu gleicher Zeit einzulassen. Die Balkanhalbinsel und Armenien werden deshalb wahrscheinlich für eine geraume Frist Ruhe vor russischen Dro¬ hungen, wenn auch nicht vor russischen Ränken haben. Ein ziemlich deutlicher Beweis für diese neue Haltung der Se. Petersburger Politik in Betreff der Türkei ist in der Nachricht enthalten, daß der Sultan ersucht worden ist, russi- Grenzboten III- 1880. 1»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/145
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/145>, abgerufen am 25.08.2024.