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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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folgen und die Occupation vollenden. Das aber wäre eine schwere Niederlage
für das Ansehen Rußlands bei den Fürsten und Völkern Centralasiens, und
der Glaube an die russische Allmacht erlitte eine starke Erschiitternng; daher
wird man in Petersburg alles aufbieten müssen, um Kuldscha gegen die Chine¬
sen zu halten, oder, falls es wirklich schon ganz oder theilweise verloren sein
sollte, neu zu erobern. Das aber wird sehr erhebliche Rüstungen und viel Geld
erfordern.

Man lächelte bisher vielfach über die bezopften, ungenügend bewaffneten
und schlecht geführten Heere der Chinesen, man erinnerte sich, wie leicht die
Lorbeern zu pflücken gewesen waren, welche von den Engländern und Fran¬
zosen vor etwa zwanzig Jahren aus dem Kriege mit den Himmlischen heimge¬
bracht wurden. Aber diese Zeiten sind vorüber, und die Chinesen haben seit¬
dem von deu Europäern viel gelernt, namentlich in militärischen Angelegenheiten.
Ein Correspondent der "Nowoje Wremja", die doch keine Ursache hat, die Gegner
Rußlands stärker erscheinen zu lassen, als sie wirklich sind, berichtet aus Schan¬
ghai: "Die chinesische Armee besteht aus zwei großen Theilen, von denen der
eine sich aus Mongolen oder Mandschuren, der andere aus Chinesen zusammen¬
setzt. Erstere bilden die Hauptmacht und die Stütze der Dynastie. Sie sind
in acht Corps eingetheilt. Die gesammte Armee soll 85000V Mann zählen,
und zwar 678 Rotten Mandschuren und 211 Rotten chinesische Miliz. Die
Reiterei ist 120000 Pferde stark. Die Armee ist übrigens nicht in Lagern oder
Kasernen vereinigt, sondern die Soldaten leben in eigenen Häusern und betreiben
im Frieden bürgerliche Beschäftigungen- Die Kriegsflotte besteht grvsztentheils
aus Kanonenbooten und hat circa 5700 Matrosen und 200 Geschütze. Jedes
der Boote, die beiläufig die Namen der Buchstaben des griechische" Alphabets
tragen, führt elfzvllige Geschütze, zwei zwölfpfüudige Armstrong- und vier Gatt-
ung-Kanonen (Mitrailleusen) an Bord." Die größeren Kriegsfahrzeuge, die mau
in England angekauft hat, sollen vortrefflich und den russischen Fregatten und
Corvetten überlegen sein.

Den letzteren lächelte das Glück bei ihrer Abfahrt von Kronstäbe nach
dem Stillen Meere nicht. Die Panzerfregatte "Kreml", das Flaggschiff des
Admirals Lesvwski, welcher das Geschwader commandiren soll, stieß beim Ver¬
lassen der Rhede vor der Newamündung mit einem dänischen Fahrzeuge zusammen
und erlitt so starke Beschädigung, daß sie umkehren mußte, um sich ausbessern
zu lassen. Die Fregatte "Swetlana" dagegen und die "Russija" sind nach den
neuesten Nachrichten auf dem Wege nach dem Suez-Canal, und die neuen
Kcmouenboote "Grcisa" und "Burja" werden ihnen demnächst folgen. Die bereits
an der sibirischen Küste befindlichen russischen Schiffe siud meist alt und ge¬
brechlich, so daß auf ihre Dienste nicht viel zu zählen ist. Da aber eine Blockade


folgen und die Occupation vollenden. Das aber wäre eine schwere Niederlage
für das Ansehen Rußlands bei den Fürsten und Völkern Centralasiens, und
der Glaube an die russische Allmacht erlitte eine starke Erschiitternng; daher
wird man in Petersburg alles aufbieten müssen, um Kuldscha gegen die Chine¬
sen zu halten, oder, falls es wirklich schon ganz oder theilweise verloren sein
sollte, neu zu erobern. Das aber wird sehr erhebliche Rüstungen und viel Geld
erfordern.

Man lächelte bisher vielfach über die bezopften, ungenügend bewaffneten
und schlecht geführten Heere der Chinesen, man erinnerte sich, wie leicht die
Lorbeern zu pflücken gewesen waren, welche von den Engländern und Fran¬
zosen vor etwa zwanzig Jahren aus dem Kriege mit den Himmlischen heimge¬
bracht wurden. Aber diese Zeiten sind vorüber, und die Chinesen haben seit¬
dem von deu Europäern viel gelernt, namentlich in militärischen Angelegenheiten.
Ein Correspondent der „Nowoje Wremja", die doch keine Ursache hat, die Gegner
Rußlands stärker erscheinen zu lassen, als sie wirklich sind, berichtet aus Schan¬
ghai: „Die chinesische Armee besteht aus zwei großen Theilen, von denen der
eine sich aus Mongolen oder Mandschuren, der andere aus Chinesen zusammen¬
setzt. Erstere bilden die Hauptmacht und die Stütze der Dynastie. Sie sind
in acht Corps eingetheilt. Die gesammte Armee soll 85000V Mann zählen,
und zwar 678 Rotten Mandschuren und 211 Rotten chinesische Miliz. Die
Reiterei ist 120000 Pferde stark. Die Armee ist übrigens nicht in Lagern oder
Kasernen vereinigt, sondern die Soldaten leben in eigenen Häusern und betreiben
im Frieden bürgerliche Beschäftigungen- Die Kriegsflotte besteht grvsztentheils
aus Kanonenbooten und hat circa 5700 Matrosen und 200 Geschütze. Jedes
der Boote, die beiläufig die Namen der Buchstaben des griechische« Alphabets
tragen, führt elfzvllige Geschütze, zwei zwölfpfüudige Armstrong- und vier Gatt-
ung-Kanonen (Mitrailleusen) an Bord." Die größeren Kriegsfahrzeuge, die mau
in England angekauft hat, sollen vortrefflich und den russischen Fregatten und
Corvetten überlegen sein.

Den letzteren lächelte das Glück bei ihrer Abfahrt von Kronstäbe nach
dem Stillen Meere nicht. Die Panzerfregatte „Kreml", das Flaggschiff des
Admirals Lesvwski, welcher das Geschwader commandiren soll, stieß beim Ver¬
lassen der Rhede vor der Newamündung mit einem dänischen Fahrzeuge zusammen
und erlitt so starke Beschädigung, daß sie umkehren mußte, um sich ausbessern
zu lassen. Die Fregatte „Swetlana" dagegen und die „Russija" sind nach den
neuesten Nachrichten auf dem Wege nach dem Suez-Canal, und die neuen
Kcmouenboote „Grcisa" und „Burja" werden ihnen demnächst folgen. Die bereits
an der sibirischen Küste befindlichen russischen Schiffe siud meist alt und ge¬
brechlich, so daß auf ihre Dienste nicht viel zu zählen ist. Da aber eine Blockade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/142>, abgerufen am 23.07.2024.