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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Carricaturenmaler, der auch nach der formalen Seite in bedenkliche Uebertrei¬
bungen gerieth.

Grützners coloristischer Vortrag ist von großer Virtuosität. Wie die alten
Niederländer zeichnet er seine Figuren gleichsam mit spitzigem Pinsel, und
namentlich in die Köpfe trägt er eine Menge scharf individualisirender Züge
hinein, die den Gesichtern stets etwas schneidiges geben. Ist das Seelenleben,
das sich in ihnen spiegelt, auch kein besonders tiefes, so ist die äußere Charak¬
teristik doch meist eine so prägnante und naturwahre, daß man einen Grützner-
schen Kopf nicht leicht wieder vergißt. Was wir hier sagen, gilt nicht so sehr
von den Mönchsphysiognomien, als von den liebenswürdigen Figuren der rein
humoristischen Genrebilder aus dem Volksleben. Welch' eine Musterkarte vor¬
trefflich beobachteter und mit schlagendem Humor wiedergegebener Typen ent¬
hält allein das populäre "Jägerlatein"! Der Pfarrer, der Wirth, die Wirthin,
die Kellnerin und der schmunzelnde Aufschneider selbst, der nur ein wenig zu
lang gerathen ist! Welch' ein Schatz von Schelmerei und poetischer Empfindung
ruht in der "schweren Wahl", einer Concurrenz zweier Forstadjunkten um die
Gunst einer Kellnerin, die verlegen darüber nachsinnt, welchen von beiden sie
die dargereichte Blume abnehmen soll! In diesen Bildern erhob sich der beste
Humorist der Pilotyschnle zu unanfechtbarer Höhe, selbst über Defregger, dessen
schweres, mühsames Colorit die freien Schwingen des Humors fesselt. Es ist
sür Grützner und seine ganze Art zu schaffen charakteristisch, daß er die franken,
klaren, entschlossenen Loealtöne dem unbestimmten Spiel des Helldunkels vor¬
zieht, wenn er gelegentlich auch, namentlich in seinen Klosterstuben, die Reize
des Clair-obscur nicht verschmäht. In der Absicht, alles recht deutlich und
präcis zu geben, alles recht klar und bestimmt abzurunden, begegnet es ihm
freilich, daß er bei der Carnation der Gesichter in einen gläsernen, porzellan¬
artigen oder lederfarbenen Ton geräth, und oft kommt auch durch die scharfe
Betonung der Localtöne die Gesammthaltuug des Colorits in Schwanken. End¬
lich verleitet, um hier mit den Schattenseiten abzurechnen, die große Sicherheit
in der Zeichnung den Künstler bisweilen zu einer gewissen Sorglosigkeit, und
es entstehen Figuren, welche anatomisch zu rechtfertigen dem Maler schwer
fallen dürfte.

Schon im Beginn seiner Laufbahn zeigte Grützner eine große Vorliebe sür
das Theater. Der Kneipenhnmor der Shakespeareschen Clowns reizte ihn,
namentlich Falstaff und seine Gesellen ins Auge zufassen, und so entstand noch
in den sechziger Jahren ein Cyclus solcher Falstaffiaden, der später in seinen
einzelnen Motiven mehrfach verwerthet wurde und am Ende in einer Folge von
sieben Cartons unter den Titel "Sir John Fallstaff", für die photographische
Vervielfältigung bestimmt, ihren Abschluß fand. Diese Illustrationen sind nicht


Carricaturenmaler, der auch nach der formalen Seite in bedenkliche Uebertrei¬
bungen gerieth.

Grützners coloristischer Vortrag ist von großer Virtuosität. Wie die alten
Niederländer zeichnet er seine Figuren gleichsam mit spitzigem Pinsel, und
namentlich in die Köpfe trägt er eine Menge scharf individualisirender Züge
hinein, die den Gesichtern stets etwas schneidiges geben. Ist das Seelenleben,
das sich in ihnen spiegelt, auch kein besonders tiefes, so ist die äußere Charak¬
teristik doch meist eine so prägnante und naturwahre, daß man einen Grützner-
schen Kopf nicht leicht wieder vergißt. Was wir hier sagen, gilt nicht so sehr
von den Mönchsphysiognomien, als von den liebenswürdigen Figuren der rein
humoristischen Genrebilder aus dem Volksleben. Welch' eine Musterkarte vor¬
trefflich beobachteter und mit schlagendem Humor wiedergegebener Typen ent¬
hält allein das populäre „Jägerlatein"! Der Pfarrer, der Wirth, die Wirthin,
die Kellnerin und der schmunzelnde Aufschneider selbst, der nur ein wenig zu
lang gerathen ist! Welch' ein Schatz von Schelmerei und poetischer Empfindung
ruht in der „schweren Wahl", einer Concurrenz zweier Forstadjunkten um die
Gunst einer Kellnerin, die verlegen darüber nachsinnt, welchen von beiden sie
die dargereichte Blume abnehmen soll! In diesen Bildern erhob sich der beste
Humorist der Pilotyschnle zu unanfechtbarer Höhe, selbst über Defregger, dessen
schweres, mühsames Colorit die freien Schwingen des Humors fesselt. Es ist
sür Grützner und seine ganze Art zu schaffen charakteristisch, daß er die franken,
klaren, entschlossenen Loealtöne dem unbestimmten Spiel des Helldunkels vor¬
zieht, wenn er gelegentlich auch, namentlich in seinen Klosterstuben, die Reize
des Clair-obscur nicht verschmäht. In der Absicht, alles recht deutlich und
präcis zu geben, alles recht klar und bestimmt abzurunden, begegnet es ihm
freilich, daß er bei der Carnation der Gesichter in einen gläsernen, porzellan¬
artigen oder lederfarbenen Ton geräth, und oft kommt auch durch die scharfe
Betonung der Localtöne die Gesammthaltuug des Colorits in Schwanken. End¬
lich verleitet, um hier mit den Schattenseiten abzurechnen, die große Sicherheit
in der Zeichnung den Künstler bisweilen zu einer gewissen Sorglosigkeit, und
es entstehen Figuren, welche anatomisch zu rechtfertigen dem Maler schwer
fallen dürfte.

Schon im Beginn seiner Laufbahn zeigte Grützner eine große Vorliebe sür
das Theater. Der Kneipenhnmor der Shakespeareschen Clowns reizte ihn,
namentlich Falstaff und seine Gesellen ins Auge zufassen, und so entstand noch
in den sechziger Jahren ein Cyclus solcher Falstaffiaden, der später in seinen
einzelnen Motiven mehrfach verwerthet wurde und am Ende in einer Folge von
sieben Cartons unter den Titel „Sir John Fallstaff", für die photographische
Vervielfältigung bestimmt, ihren Abschluß fand. Diese Illustrationen sind nicht


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[0130] Carricaturenmaler, der auch nach der formalen Seite in bedenkliche Uebertrei¬ bungen gerieth. Grützners coloristischer Vortrag ist von großer Virtuosität. Wie die alten Niederländer zeichnet er seine Figuren gleichsam mit spitzigem Pinsel, und namentlich in die Köpfe trägt er eine Menge scharf individualisirender Züge hinein, die den Gesichtern stets etwas schneidiges geben. Ist das Seelenleben, das sich in ihnen spiegelt, auch kein besonders tiefes, so ist die äußere Charak¬ teristik doch meist eine so prägnante und naturwahre, daß man einen Grützner- schen Kopf nicht leicht wieder vergißt. Was wir hier sagen, gilt nicht so sehr von den Mönchsphysiognomien, als von den liebenswürdigen Figuren der rein humoristischen Genrebilder aus dem Volksleben. Welch' eine Musterkarte vor¬ trefflich beobachteter und mit schlagendem Humor wiedergegebener Typen ent¬ hält allein das populäre „Jägerlatein"! Der Pfarrer, der Wirth, die Wirthin, die Kellnerin und der schmunzelnde Aufschneider selbst, der nur ein wenig zu lang gerathen ist! Welch' ein Schatz von Schelmerei und poetischer Empfindung ruht in der „schweren Wahl", einer Concurrenz zweier Forstadjunkten um die Gunst einer Kellnerin, die verlegen darüber nachsinnt, welchen von beiden sie die dargereichte Blume abnehmen soll! In diesen Bildern erhob sich der beste Humorist der Pilotyschnle zu unanfechtbarer Höhe, selbst über Defregger, dessen schweres, mühsames Colorit die freien Schwingen des Humors fesselt. Es ist sür Grützner und seine ganze Art zu schaffen charakteristisch, daß er die franken, klaren, entschlossenen Loealtöne dem unbestimmten Spiel des Helldunkels vor¬ zieht, wenn er gelegentlich auch, namentlich in seinen Klosterstuben, die Reize des Clair-obscur nicht verschmäht. In der Absicht, alles recht deutlich und präcis zu geben, alles recht klar und bestimmt abzurunden, begegnet es ihm freilich, daß er bei der Carnation der Gesichter in einen gläsernen, porzellan¬ artigen oder lederfarbenen Ton geräth, und oft kommt auch durch die scharfe Betonung der Localtöne die Gesammthaltuug des Colorits in Schwanken. End¬ lich verleitet, um hier mit den Schattenseiten abzurechnen, die große Sicherheit in der Zeichnung den Künstler bisweilen zu einer gewissen Sorglosigkeit, und es entstehen Figuren, welche anatomisch zu rechtfertigen dem Maler schwer fallen dürfte. Schon im Beginn seiner Laufbahn zeigte Grützner eine große Vorliebe sür das Theater. Der Kneipenhnmor der Shakespeareschen Clowns reizte ihn, namentlich Falstaff und seine Gesellen ins Auge zufassen, und so entstand noch in den sechziger Jahren ein Cyclus solcher Falstaffiaden, der später in seinen einzelnen Motiven mehrfach verwerthet wurde und am Ende in einer Folge von sieben Cartons unter den Titel „Sir John Fallstaff", für die photographische Vervielfältigung bestimmt, ihren Abschluß fand. Diese Illustrationen sind nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/130>, abgerufen am 25.08.2024.