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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Münchener Schule, dessen Gemälde sich in kurzer Frist eine ungewöhnliche Popu¬
larität errungen haben. Eduard Grützner, der das Wirthshausleben ebenso
flott und ebenso ergötzlich zu schildern weiß wie Kauffmann, ist wie dieser kein
Altbaier, sondern aus Groß-Carlowitz bei Reiße in Schlesien, wo er am 26. Mai
l846 geboren wurde. Eines streng katholischen Bauern Sohn, war er vom
Vater für den geistlichen Stand bestimmt worden, obwohl er schon früh eine
ungewöhnliche Begabung für das Zeichnen bekundet hatte. Er besuchte das
Gymnasium zu Neisse; als aber die Zeit herannahte, da er das Seminar be¬
ziehen sollte, erklärte er dem Vater seine entschiedene Abneigung für den Priester¬
stand. Jetzt wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich in seines Vaters
Landwirthschaft nützlich zu machen, wenn nicht der Münchener Architekt Hirsch¬
berg bei einem Besuche seiner schlesischen Heimat durch Vermittlung des Pfarrers
Fischer, der den jungen Grützner protegirte, die ersten Compositionen desselben
zu sehen bekommen hätte. Er nahm sie mit nach München und legte sie Piloty
vor, welcher das Talent, das in ihnen steckte, der Aufmunterung und Pflege
für werth erachtete. Er erbot sich, den jungen Schlesier in sein Atelier aufzu¬
nehmen, und da Hirschberg dem Mittellosen das nöthige Geld großmüthig vor¬
streckte, siedelte derselbe nach München über. Er absolvirte die Akademie und
besuchte daun fleißig das Atelier Pilotys, dessen coloristisches Können er sich
sehr bald aneignete, um es freilich auf einem anderen, bei weitem anspruchs¬
loseren Gebiete zu verwerthen. Bei dem ersten größeren Auftrage, der ihm
durch die Gunst Hirschbergs zu Theil wurde, entwickelte er noch nicht seine
Eigenart. Die "sieben Künste", welche er als Deckengemälde für ein Privathaus
Hirschbergs ausführt, unterschieden sich nicht von den üblichen Allegorien und
ließen noch nicht den kecken, lustigen Genremaler vermuthen, der bald mit dein
Strome des realen Lebens zu schwimmen begann. 1866 war er in das Atelier
Pilotys eingetreten und sollte, wie es dort Brauch war, irgend eine schauder-
volle Begebenheit aus der Weltgeschichte gleichsam als Probestück malen. Wir
haben bei der Schilderung Pilotys auf seine Neigung für ungewöhnliche, grauen¬
erregende Ereignisse hingewiesen, und diese Neigung suchte er auch auf seiue
Schiller zu übertragen. Bei keinem von ihnen hat er damit so wenig Glück
gehabt wie bei Grützner. Während dieser, um der Regel zu genügen, eine
"Geißelung Heinrichs II. am Grabe Thomas Beckets" auf der Staffelei hatte,
malte er insgeheim ein drolliges Bild aus dem Klosterleben. Der frische un¬
gezwungene, durchaus nicht tendenziöse Humor, der sich in diesem Bilde, dem
ersten einer langen Reihe, aussprach, besiegte alle Zweifel an der Begabung für
das humoristische Fach, und so war auch der bis dahin so gut wie gar nicht
vertretene Humor in die Pilotyschule eingeführt. Fast ein volles Jahrzehnt hat
Grützner Jahr aus, Jahr ein Bilder aus dein Stillleben der Mönche gemalt,


Münchener Schule, dessen Gemälde sich in kurzer Frist eine ungewöhnliche Popu¬
larität errungen haben. Eduard Grützner, der das Wirthshausleben ebenso
flott und ebenso ergötzlich zu schildern weiß wie Kauffmann, ist wie dieser kein
Altbaier, sondern aus Groß-Carlowitz bei Reiße in Schlesien, wo er am 26. Mai
l846 geboren wurde. Eines streng katholischen Bauern Sohn, war er vom
Vater für den geistlichen Stand bestimmt worden, obwohl er schon früh eine
ungewöhnliche Begabung für das Zeichnen bekundet hatte. Er besuchte das
Gymnasium zu Neisse; als aber die Zeit herannahte, da er das Seminar be¬
ziehen sollte, erklärte er dem Vater seine entschiedene Abneigung für den Priester¬
stand. Jetzt wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich in seines Vaters
Landwirthschaft nützlich zu machen, wenn nicht der Münchener Architekt Hirsch¬
berg bei einem Besuche seiner schlesischen Heimat durch Vermittlung des Pfarrers
Fischer, der den jungen Grützner protegirte, die ersten Compositionen desselben
zu sehen bekommen hätte. Er nahm sie mit nach München und legte sie Piloty
vor, welcher das Talent, das in ihnen steckte, der Aufmunterung und Pflege
für werth erachtete. Er erbot sich, den jungen Schlesier in sein Atelier aufzu¬
nehmen, und da Hirschberg dem Mittellosen das nöthige Geld großmüthig vor¬
streckte, siedelte derselbe nach München über. Er absolvirte die Akademie und
besuchte daun fleißig das Atelier Pilotys, dessen coloristisches Können er sich
sehr bald aneignete, um es freilich auf einem anderen, bei weitem anspruchs¬
loseren Gebiete zu verwerthen. Bei dem ersten größeren Auftrage, der ihm
durch die Gunst Hirschbergs zu Theil wurde, entwickelte er noch nicht seine
Eigenart. Die „sieben Künste", welche er als Deckengemälde für ein Privathaus
Hirschbergs ausführt, unterschieden sich nicht von den üblichen Allegorien und
ließen noch nicht den kecken, lustigen Genremaler vermuthen, der bald mit dein
Strome des realen Lebens zu schwimmen begann. 1866 war er in das Atelier
Pilotys eingetreten und sollte, wie es dort Brauch war, irgend eine schauder-
volle Begebenheit aus der Weltgeschichte gleichsam als Probestück malen. Wir
haben bei der Schilderung Pilotys auf seine Neigung für ungewöhnliche, grauen¬
erregende Ereignisse hingewiesen, und diese Neigung suchte er auch auf seiue
Schiller zu übertragen. Bei keinem von ihnen hat er damit so wenig Glück
gehabt wie bei Grützner. Während dieser, um der Regel zu genügen, eine
„Geißelung Heinrichs II. am Grabe Thomas Beckets" auf der Staffelei hatte,
malte er insgeheim ein drolliges Bild aus dem Klosterleben. Der frische un¬
gezwungene, durchaus nicht tendenziöse Humor, der sich in diesem Bilde, dem
ersten einer langen Reihe, aussprach, besiegte alle Zweifel an der Begabung für
das humoristische Fach, und so war auch der bis dahin so gut wie gar nicht
vertretene Humor in die Pilotyschule eingeführt. Fast ein volles Jahrzehnt hat
Grützner Jahr aus, Jahr ein Bilder aus dein Stillleben der Mönche gemalt,


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[0128] Münchener Schule, dessen Gemälde sich in kurzer Frist eine ungewöhnliche Popu¬ larität errungen haben. Eduard Grützner, der das Wirthshausleben ebenso flott und ebenso ergötzlich zu schildern weiß wie Kauffmann, ist wie dieser kein Altbaier, sondern aus Groß-Carlowitz bei Reiße in Schlesien, wo er am 26. Mai l846 geboren wurde. Eines streng katholischen Bauern Sohn, war er vom Vater für den geistlichen Stand bestimmt worden, obwohl er schon früh eine ungewöhnliche Begabung für das Zeichnen bekundet hatte. Er besuchte das Gymnasium zu Neisse; als aber die Zeit herannahte, da er das Seminar be¬ ziehen sollte, erklärte er dem Vater seine entschiedene Abneigung für den Priester¬ stand. Jetzt wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als sich in seines Vaters Landwirthschaft nützlich zu machen, wenn nicht der Münchener Architekt Hirsch¬ berg bei einem Besuche seiner schlesischen Heimat durch Vermittlung des Pfarrers Fischer, der den jungen Grützner protegirte, die ersten Compositionen desselben zu sehen bekommen hätte. Er nahm sie mit nach München und legte sie Piloty vor, welcher das Talent, das in ihnen steckte, der Aufmunterung und Pflege für werth erachtete. Er erbot sich, den jungen Schlesier in sein Atelier aufzu¬ nehmen, und da Hirschberg dem Mittellosen das nöthige Geld großmüthig vor¬ streckte, siedelte derselbe nach München über. Er absolvirte die Akademie und besuchte daun fleißig das Atelier Pilotys, dessen coloristisches Können er sich sehr bald aneignete, um es freilich auf einem anderen, bei weitem anspruchs¬ loseren Gebiete zu verwerthen. Bei dem ersten größeren Auftrage, der ihm durch die Gunst Hirschbergs zu Theil wurde, entwickelte er noch nicht seine Eigenart. Die „sieben Künste", welche er als Deckengemälde für ein Privathaus Hirschbergs ausführt, unterschieden sich nicht von den üblichen Allegorien und ließen noch nicht den kecken, lustigen Genremaler vermuthen, der bald mit dein Strome des realen Lebens zu schwimmen begann. 1866 war er in das Atelier Pilotys eingetreten und sollte, wie es dort Brauch war, irgend eine schauder- volle Begebenheit aus der Weltgeschichte gleichsam als Probestück malen. Wir haben bei der Schilderung Pilotys auf seine Neigung für ungewöhnliche, grauen¬ erregende Ereignisse hingewiesen, und diese Neigung suchte er auch auf seiue Schiller zu übertragen. Bei keinem von ihnen hat er damit so wenig Glück gehabt wie bei Grützner. Während dieser, um der Regel zu genügen, eine „Geißelung Heinrichs II. am Grabe Thomas Beckets" auf der Staffelei hatte, malte er insgeheim ein drolliges Bild aus dem Klosterleben. Der frische un¬ gezwungene, durchaus nicht tendenziöse Humor, der sich in diesem Bilde, dem ersten einer langen Reihe, aussprach, besiegte alle Zweifel an der Begabung für das humoristische Fach, und so war auch der bis dahin so gut wie gar nicht vertretene Humor in die Pilotyschule eingeführt. Fast ein volles Jahrzehnt hat Grützner Jahr aus, Jahr ein Bilder aus dein Stillleben der Mönche gemalt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/128>, abgerufen am 23.07.2024.