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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Als Zeichner und Maler solcher niedrig komischen Scenen ans dem Volks¬
leben steht Hugo Kauffmann, geboren am 7. August 1844 in Hamburg,
unter den Münchenern unübertroffen da. Er begann seine Studien am Städel-
schen Institut in Frankfurt am Main, wo der treffliche Genremaler Jacob
Becker (1810 -- 1872), bekannt durch sein Bild "Der vom Blitz getroffene
Schäfer", sein Lehrer wurde. Dann ging er nach Düsseldorf, wo er jedoch nur
kurze Zeit blieb, und nahm schließlich einen längeren Aufenthalt in Cronberg.
Nachdem er noch anderthalb Jahre in Paris zugebracht, ließ er sich 1871 in
München nieder, und hier entfaltete sich sein eigenartiges Talent mit über¬
raschender Schnelligkeit. Mit der Schule Pilotys ist er nicht in directe Ver¬
bindung getreten. Wohl aber haben die niederländischen Genremaler, insbe¬
sondere Adrian Brouwer und Ostade, einen entscheidenden Einfluß auf ihn geübt.
Das Louvre sowohl wie die Münchener Pinakothek lieferten ihm ein reichhal¬
tiges Material für das Studium dieser Meister, deren subtile Pinselführung
und scharfe Charakterisirungsmanier er mit Glück auf moderne Stoffe übertragen
hat. Indessen mag er diese Vorliebe, für Ostade schon in der Cromberger
Künstlercolonie, deren Insassen meist für den trefflichen Holländer schwärmten,
eingesogen haben. Sein Colorit ist nach Art dieses Meisters auf eiuen bräun¬
lichen Grundton gestimmt, welcher dem Helldunkel einen weiten Spielraum ge¬
währt. Zum Schauplatz seiner humoristischen Scenen wählt er gern das rau¬
chige Innere oder den Vorplatz einer Dorfschenke, die er mit einer Fülle köst¬
licher, aus dem Leben gegriffener Typen zu bevölkern weiß. "Jagerlatein,"
"Der Geiger in der Dorfkneipe," "Herrschaftsdiener im Wirthshause," "Eifersucht
in der Schenke," "Musikanten im Dorfwirthshaus" sind solche Scenen, in welchen
Kauffmann zugleich die reiche Quelle seines frischen Humors sprudeln läßt.
Interessanter noch als seine Oelbilder sind seine Feder- und Bleistiftzeichnungen,
welche an Schärfe der Charakteristik und Subtilität der Ausführung Leiht sehr
nahe kommen. Sehr ergötzlich sind seine Münchener Straßentypen, z. B. "Unter-
und oberirdische Reinigungsbeamte" und seine "Vagabunden", eine Sammlung
höchst origineller Gesellen. Die Krone seiner Arbeiten auf diesem Gebiete bildet
aber der in diesem Jahre unter dem Titel "Die Hochzeit im Gebirg" erschienene
Cyclus von Zeichnungen, zu welchen Carl Stieler hübsche Gedichte in ober-
bairischer Mundart geschrieben hat. Die verschiedenen Scenen sind lebendig
componirt, und die großen Köpfe, in welchen uns die Theilnehmer des Hoch¬
zeitsfestes noch einmal eingehender vorgestellt werden, beweisen, daß der Zeichner
nicht bloß über eine erstannliche Handfertigkeit, sondern auch über einen großen
Scharfblick verfügt, welcher die Regungen der Seele aus den Runzeln eines
Greisenkvpfs wie aus den hellen Augen einer frischen Dirne herau-szuleseu versteht.

Ein unmittelbarer Schüler Pilotys dagegen ist der zweite Humorist der


Als Zeichner und Maler solcher niedrig komischen Scenen ans dem Volks¬
leben steht Hugo Kauffmann, geboren am 7. August 1844 in Hamburg,
unter den Münchenern unübertroffen da. Er begann seine Studien am Städel-
schen Institut in Frankfurt am Main, wo der treffliche Genremaler Jacob
Becker (1810 — 1872), bekannt durch sein Bild „Der vom Blitz getroffene
Schäfer", sein Lehrer wurde. Dann ging er nach Düsseldorf, wo er jedoch nur
kurze Zeit blieb, und nahm schließlich einen längeren Aufenthalt in Cronberg.
Nachdem er noch anderthalb Jahre in Paris zugebracht, ließ er sich 1871 in
München nieder, und hier entfaltete sich sein eigenartiges Talent mit über¬
raschender Schnelligkeit. Mit der Schule Pilotys ist er nicht in directe Ver¬
bindung getreten. Wohl aber haben die niederländischen Genremaler, insbe¬
sondere Adrian Brouwer und Ostade, einen entscheidenden Einfluß auf ihn geübt.
Das Louvre sowohl wie die Münchener Pinakothek lieferten ihm ein reichhal¬
tiges Material für das Studium dieser Meister, deren subtile Pinselführung
und scharfe Charakterisirungsmanier er mit Glück auf moderne Stoffe übertragen
hat. Indessen mag er diese Vorliebe, für Ostade schon in der Cromberger
Künstlercolonie, deren Insassen meist für den trefflichen Holländer schwärmten,
eingesogen haben. Sein Colorit ist nach Art dieses Meisters auf eiuen bräun¬
lichen Grundton gestimmt, welcher dem Helldunkel einen weiten Spielraum ge¬
währt. Zum Schauplatz seiner humoristischen Scenen wählt er gern das rau¬
chige Innere oder den Vorplatz einer Dorfschenke, die er mit einer Fülle köst¬
licher, aus dem Leben gegriffener Typen zu bevölkern weiß. „Jagerlatein,"
„Der Geiger in der Dorfkneipe," „Herrschaftsdiener im Wirthshause," „Eifersucht
in der Schenke," „Musikanten im Dorfwirthshaus" sind solche Scenen, in welchen
Kauffmann zugleich die reiche Quelle seines frischen Humors sprudeln läßt.
Interessanter noch als seine Oelbilder sind seine Feder- und Bleistiftzeichnungen,
welche an Schärfe der Charakteristik und Subtilität der Ausführung Leiht sehr
nahe kommen. Sehr ergötzlich sind seine Münchener Straßentypen, z. B. „Unter-
und oberirdische Reinigungsbeamte" und seine „Vagabunden", eine Sammlung
höchst origineller Gesellen. Die Krone seiner Arbeiten auf diesem Gebiete bildet
aber der in diesem Jahre unter dem Titel „Die Hochzeit im Gebirg" erschienene
Cyclus von Zeichnungen, zu welchen Carl Stieler hübsche Gedichte in ober-
bairischer Mundart geschrieben hat. Die verschiedenen Scenen sind lebendig
componirt, und die großen Köpfe, in welchen uns die Theilnehmer des Hoch¬
zeitsfestes noch einmal eingehender vorgestellt werden, beweisen, daß der Zeichner
nicht bloß über eine erstannliche Handfertigkeit, sondern auch über einen großen
Scharfblick verfügt, welcher die Regungen der Seele aus den Runzeln eines
Greisenkvpfs wie aus den hellen Augen einer frischen Dirne herau-szuleseu versteht.

Ein unmittelbarer Schüler Pilotys dagegen ist der zweite Humorist der


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[0127] Als Zeichner und Maler solcher niedrig komischen Scenen ans dem Volks¬ leben steht Hugo Kauffmann, geboren am 7. August 1844 in Hamburg, unter den Münchenern unübertroffen da. Er begann seine Studien am Städel- schen Institut in Frankfurt am Main, wo der treffliche Genremaler Jacob Becker (1810 — 1872), bekannt durch sein Bild „Der vom Blitz getroffene Schäfer", sein Lehrer wurde. Dann ging er nach Düsseldorf, wo er jedoch nur kurze Zeit blieb, und nahm schließlich einen längeren Aufenthalt in Cronberg. Nachdem er noch anderthalb Jahre in Paris zugebracht, ließ er sich 1871 in München nieder, und hier entfaltete sich sein eigenartiges Talent mit über¬ raschender Schnelligkeit. Mit der Schule Pilotys ist er nicht in directe Ver¬ bindung getreten. Wohl aber haben die niederländischen Genremaler, insbe¬ sondere Adrian Brouwer und Ostade, einen entscheidenden Einfluß auf ihn geübt. Das Louvre sowohl wie die Münchener Pinakothek lieferten ihm ein reichhal¬ tiges Material für das Studium dieser Meister, deren subtile Pinselführung und scharfe Charakterisirungsmanier er mit Glück auf moderne Stoffe übertragen hat. Indessen mag er diese Vorliebe, für Ostade schon in der Cromberger Künstlercolonie, deren Insassen meist für den trefflichen Holländer schwärmten, eingesogen haben. Sein Colorit ist nach Art dieses Meisters auf eiuen bräun¬ lichen Grundton gestimmt, welcher dem Helldunkel einen weiten Spielraum ge¬ währt. Zum Schauplatz seiner humoristischen Scenen wählt er gern das rau¬ chige Innere oder den Vorplatz einer Dorfschenke, die er mit einer Fülle köst¬ licher, aus dem Leben gegriffener Typen zu bevölkern weiß. „Jagerlatein," „Der Geiger in der Dorfkneipe," „Herrschaftsdiener im Wirthshause," „Eifersucht in der Schenke," „Musikanten im Dorfwirthshaus" sind solche Scenen, in welchen Kauffmann zugleich die reiche Quelle seines frischen Humors sprudeln läßt. Interessanter noch als seine Oelbilder sind seine Feder- und Bleistiftzeichnungen, welche an Schärfe der Charakteristik und Subtilität der Ausführung Leiht sehr nahe kommen. Sehr ergötzlich sind seine Münchener Straßentypen, z. B. „Unter- und oberirdische Reinigungsbeamte" und seine „Vagabunden", eine Sammlung höchst origineller Gesellen. Die Krone seiner Arbeiten auf diesem Gebiete bildet aber der in diesem Jahre unter dem Titel „Die Hochzeit im Gebirg" erschienene Cyclus von Zeichnungen, zu welchen Carl Stieler hübsche Gedichte in ober- bairischer Mundart geschrieben hat. Die verschiedenen Scenen sind lebendig componirt, und die großen Köpfe, in welchen uns die Theilnehmer des Hoch¬ zeitsfestes noch einmal eingehender vorgestellt werden, beweisen, daß der Zeichner nicht bloß über eine erstannliche Handfertigkeit, sondern auch über einen großen Scharfblick verfügt, welcher die Regungen der Seele aus den Runzeln eines Greisenkvpfs wie aus den hellen Augen einer frischen Dirne herau-szuleseu versteht. Ein unmittelbarer Schüler Pilotys dagegen ist der zweite Humorist der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/127>, abgerufen am 25.08.2024.