Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.schlaggebend gewesen ist und dem Dichter klar machte, daß der rechte Mann für schlaggebend gewesen ist und dem Dichter klar machte, daß der rechte Mann für <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0123" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147210"/> <p xml:id="ID_333" prev="#ID_332" next="#ID_334"> schlaggebend gewesen ist und dem Dichter klar machte, daß der rechte Mann für<lb/> ihn gefunden sei. Schon im Jahre 1767 hatte der Leipziger Student Goethe die<lb/> Poetik des Aristoteles in einer Uebersetzung gelesen, aber, wie er selbst fühlte,<lb/> ohne Erfolg. Erst in den späteren Mannesjahren ging ihm das Verständniß<lb/> auf. Und so bekennt er in den Sprüchen in Prosa: „Wie Sokrates den sittlichen<lb/> Menschen zu sich berief, damit dieser ganz einfach einigermaßen über sich selbst<lb/> aufgeklärt würde, so traten Plato und Aristoteles gleichfalls als befugte Indi¬<lb/> viduen vor die Natur: der Eine mit Geist und Gemüth, sich ihr anzueignen,<lb/> der Andere mit Forscherblik und Methode, sie für sich zu gewinnen. Und so ist<lb/> denn auch jede Annäherung, die sich uns im Ganzen und Einzelnen an diese<lb/> Dreie möglich macht, das Ereigniß, was wir am Freudigsten empfinden und was<lb/> unsere Bildung zu befördern sich jederzeit kräftig erweist." Dann in der Geschichte<lb/> der Farbenlehre: „Sollte jedoch für uns ein Faden aus der alten Welt in die<lb/> neue herüberreichen, so müssen wir dreier Hauptmassen gedenken, welche die<lb/> größte, entschiedenste, ja oft eine ausschließende Wirkung hervorgebracht haben,<lb/> der Bibel, der Werke Plato's und Aristoteles." So konnte nnr ein Mann<lb/> schreiben, der die Probleme, die Aristoteles für das gesammte Leben der Mensch¬<lb/> heit aufgestellt hatte, in tiefem ernsten Studium durchdrungen und sich zu eigen<lb/> gemacht hatte. Göttling aber stellte sich in feinem Briefe auf deu Standpunkt<lb/> des geistesfreien Lehrers, der die Erziehung als Hauptaufgabe betrachtet, und<lb/> in seinem Commentar der aristotelischen „Politik" bewährte er feinste Kenntniß<lb/> des Einzelnen und der Gesammterscheinungen des classischen Alterthums. Ein<lb/> persönliches Zusammentreffen Goethes und Göttlings in des Ersteren Hause in<lb/> Weimar entschied; am 10. Januar 1825 ging der erste Brief des Dichters an<lb/> den Jenaer Philologen ab, der an diesen die Aufforderung eine Revision der<lb/> sämmtlichen Werke Goethes zu übernehmen brachte. Wie Goethe die gestellte<lb/> Aufgabe ansah mag er uns selbst sagen: „Bei der Absicht die ich hege, meine<lb/> sämmtlichen Schriften in einer neuen Ausgabe erscheinen zu machen, muß ich<lb/> wünschen, daß die zwanzig Bände der letzten Ausgabe, sowie das übrige beson¬<lb/> ders Gedruckte, aufmerksam revidirt und corrigirt werden, welches freilich nur<lb/> von einem geistreichen und im kritischen Fache geübten Manne geschehen kann;<lb/> denn zu beobachten wäre: 1) daß der Text genau durchgegangen, auffallende,<lb/> von selbst sich ergebende Druckfehler corrigirt würden; 2) daß da wo sich etwa<lb/> ein Dunkel- oder Widersinn ergiebt, die Stelle bemerkt würde und deshalb Au-<lb/> rage geschähe; 3) daß etwa eine, in früherer Zeit gewöhnliche, allzuhäufige<lb/> Jnterpunction und Commatisirung ausgelöscht und dadurch ein reinerer Fluß<lb/> des Vortrags bewirkt werde." Was Göttling durchführte, lehrt Goethes dritter,<lb/> am 12. März abgesandter Brief, in welchem er demselben „völlige Macht und<lb/> Gewalt" giebt, fernerhin nach eigenem Ermessen zu behandeln: „a,. Die Recht-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
schlaggebend gewesen ist und dem Dichter klar machte, daß der rechte Mann für
ihn gefunden sei. Schon im Jahre 1767 hatte der Leipziger Student Goethe die
Poetik des Aristoteles in einer Uebersetzung gelesen, aber, wie er selbst fühlte,
ohne Erfolg. Erst in den späteren Mannesjahren ging ihm das Verständniß
auf. Und so bekennt er in den Sprüchen in Prosa: „Wie Sokrates den sittlichen
Menschen zu sich berief, damit dieser ganz einfach einigermaßen über sich selbst
aufgeklärt würde, so traten Plato und Aristoteles gleichfalls als befugte Indi¬
viduen vor die Natur: der Eine mit Geist und Gemüth, sich ihr anzueignen,
der Andere mit Forscherblik und Methode, sie für sich zu gewinnen. Und so ist
denn auch jede Annäherung, die sich uns im Ganzen und Einzelnen an diese
Dreie möglich macht, das Ereigniß, was wir am Freudigsten empfinden und was
unsere Bildung zu befördern sich jederzeit kräftig erweist." Dann in der Geschichte
der Farbenlehre: „Sollte jedoch für uns ein Faden aus der alten Welt in die
neue herüberreichen, so müssen wir dreier Hauptmassen gedenken, welche die
größte, entschiedenste, ja oft eine ausschließende Wirkung hervorgebracht haben,
der Bibel, der Werke Plato's und Aristoteles." So konnte nnr ein Mann
schreiben, der die Probleme, die Aristoteles für das gesammte Leben der Mensch¬
heit aufgestellt hatte, in tiefem ernsten Studium durchdrungen und sich zu eigen
gemacht hatte. Göttling aber stellte sich in feinem Briefe auf deu Standpunkt
des geistesfreien Lehrers, der die Erziehung als Hauptaufgabe betrachtet, und
in seinem Commentar der aristotelischen „Politik" bewährte er feinste Kenntniß
des Einzelnen und der Gesammterscheinungen des classischen Alterthums. Ein
persönliches Zusammentreffen Goethes und Göttlings in des Ersteren Hause in
Weimar entschied; am 10. Januar 1825 ging der erste Brief des Dichters an
den Jenaer Philologen ab, der an diesen die Aufforderung eine Revision der
sämmtlichen Werke Goethes zu übernehmen brachte. Wie Goethe die gestellte
Aufgabe ansah mag er uns selbst sagen: „Bei der Absicht die ich hege, meine
sämmtlichen Schriften in einer neuen Ausgabe erscheinen zu machen, muß ich
wünschen, daß die zwanzig Bände der letzten Ausgabe, sowie das übrige beson¬
ders Gedruckte, aufmerksam revidirt und corrigirt werden, welches freilich nur
von einem geistreichen und im kritischen Fache geübten Manne geschehen kann;
denn zu beobachten wäre: 1) daß der Text genau durchgegangen, auffallende,
von selbst sich ergebende Druckfehler corrigirt würden; 2) daß da wo sich etwa
ein Dunkel- oder Widersinn ergiebt, die Stelle bemerkt würde und deshalb Au-
rage geschähe; 3) daß etwa eine, in früherer Zeit gewöhnliche, allzuhäufige
Jnterpunction und Commatisirung ausgelöscht und dadurch ein reinerer Fluß
des Vortrags bewirkt werde." Was Göttling durchführte, lehrt Goethes dritter,
am 12. März abgesandter Brief, in welchem er demselben „völlige Macht und
Gewalt" giebt, fernerhin nach eigenem Ermessen zu behandeln: „a,. Die Recht-
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