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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Zelter! Derbe, ungetrübte Erdenlust, Freude auch am Kleinen! Die Zeiten
der Ideale sind vergangen, die holde Göttin Phantasie wandelt nicht mehr wie
sonst rosenbekränzt mit dem Lilienstengel auf den Pfaden ihres Dichters, ihre
ältere, gesetztere Schwester hat sich zu ihm gesellt,


Die edle Treiberin,
Trösterin, Hoffnung!

Wäre das Bild nicht etwas gewagt, man möchte den in den Briefen an Zelter
uns entgegentretenden Goethe einen alten germanischen Gefolgsherru heißen,
dein Treue von dem Gefolge gelobt, der Treue wiedergiebt und bewahrt bis
zum Tode.

Man vergesse bei den an Göttling gerichteten Briefen nicht, daß sie aus
der letzten Lebenszeit Goethes stammen, der, als er den ersten seinem Schreiber
in die Feder dictirte, im 76. Lebensjahre stand. Man vergesse aber ferner auch
nicht, daß Goethe und Göttling nicht durch räumliche Entfernung allzuweit ge¬
trennt waren. Eine persönliche Besprechung konnte, wenn sie nöthig war, jeder¬
zeit mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit stattfinden. Aber Goethe verleugnet seiue
Natur auch in diesen kurzen Geschäftsbriefen nicht. Volles unbedingtes Ver¬
trauen, eine liebenswürdige Unterordnung, bringt er dein Jenaer Professor ent¬
gegen, mit der größten Zartheit behandelt er die Honorarfrage. Wie schön
weiß er, als Göttling zur Reise nach Italien sich anschickt, das noch rückständige
Geld zu übersenden: "Beiliegend in einem Brieftäschchen einige Talismane, welche
zu rechter Zeit und Stunde ihre Wirkung nicht verfehlen mögen." Wie herrlich
lauten die Worte in dem Briefe vom 29. December 1L27: "Auf die Reise
freu' ich mich in Ihre Seele. Wenn ich einen Freund ans eine solche Fahrt
sich bereiten sehe, ist es mir, als wenn ich selbst einpacken müßte ihn zu be¬
gleiten, und so genieße ich denn auch zum voraus die Früchte, die Sie reich¬
licher als jeder Autor für Sich und uns einerndten werden." Als Göttling
dann wieder heimgekehrt war und, noch ganz erfüllt von all' dem Herrlichen,
was er gesehen und durchlebt, Goethe besuchend seiner Begeisterung Worte ge¬
liehen hatte, konnte der Dichter am folgenden Tage seinem getreuen, aber etwas
trockenen Eckermann sagen: "Ich kann es dem Guten nicht verargen, daß er
von Italien mit solcher Begeisterung redet; weiß ich doch, wie mir selber zu
Muthe gewesen ist! Ja ich kann sagen, daß ich nur in Rom empfunden habe,
was eigentlich ein Mensch sei. Zu dieser Hohe, zu diesem Glück der Empfin¬
dung bin ich später nie wieder gekommen; ich bin, mit meinem Zustande in
Rom verglichen, eigentlich nachher nie wieder froh geworden." Dürfen wir uns
nach solchen Zeugnissen darüber wundern, daß in den vorliegenden Briefen noch
öfters die Empfindungen des Dichters hervorbrechen, herzliches Wohlwollen und


Zelter! Derbe, ungetrübte Erdenlust, Freude auch am Kleinen! Die Zeiten
der Ideale sind vergangen, die holde Göttin Phantasie wandelt nicht mehr wie
sonst rosenbekränzt mit dem Lilienstengel auf den Pfaden ihres Dichters, ihre
ältere, gesetztere Schwester hat sich zu ihm gesellt,


Die edle Treiberin,
Trösterin, Hoffnung!

Wäre das Bild nicht etwas gewagt, man möchte den in den Briefen an Zelter
uns entgegentretenden Goethe einen alten germanischen Gefolgsherru heißen,
dein Treue von dem Gefolge gelobt, der Treue wiedergiebt und bewahrt bis
zum Tode.

Man vergesse bei den an Göttling gerichteten Briefen nicht, daß sie aus
der letzten Lebenszeit Goethes stammen, der, als er den ersten seinem Schreiber
in die Feder dictirte, im 76. Lebensjahre stand. Man vergesse aber ferner auch
nicht, daß Goethe und Göttling nicht durch räumliche Entfernung allzuweit ge¬
trennt waren. Eine persönliche Besprechung konnte, wenn sie nöthig war, jeder¬
zeit mit verhältnißmäßiger Leichtigkeit stattfinden. Aber Goethe verleugnet seiue
Natur auch in diesen kurzen Geschäftsbriefen nicht. Volles unbedingtes Ver¬
trauen, eine liebenswürdige Unterordnung, bringt er dein Jenaer Professor ent¬
gegen, mit der größten Zartheit behandelt er die Honorarfrage. Wie schön
weiß er, als Göttling zur Reise nach Italien sich anschickt, das noch rückständige
Geld zu übersenden: „Beiliegend in einem Brieftäschchen einige Talismane, welche
zu rechter Zeit und Stunde ihre Wirkung nicht verfehlen mögen." Wie herrlich
lauten die Worte in dem Briefe vom 29. December 1L27: „Auf die Reise
freu' ich mich in Ihre Seele. Wenn ich einen Freund ans eine solche Fahrt
sich bereiten sehe, ist es mir, als wenn ich selbst einpacken müßte ihn zu be¬
gleiten, und so genieße ich denn auch zum voraus die Früchte, die Sie reich¬
licher als jeder Autor für Sich und uns einerndten werden." Als Göttling
dann wieder heimgekehrt war und, noch ganz erfüllt von all' dem Herrlichen,
was er gesehen und durchlebt, Goethe besuchend seiner Begeisterung Worte ge¬
liehen hatte, konnte der Dichter am folgenden Tage seinem getreuen, aber etwas
trockenen Eckermann sagen: „Ich kann es dem Guten nicht verargen, daß er
von Italien mit solcher Begeisterung redet; weiß ich doch, wie mir selber zu
Muthe gewesen ist! Ja ich kann sagen, daß ich nur in Rom empfunden habe,
was eigentlich ein Mensch sei. Zu dieser Hohe, zu diesem Glück der Empfin¬
dung bin ich später nie wieder gekommen; ich bin, mit meinem Zustande in
Rom verglichen, eigentlich nachher nie wieder froh geworden." Dürfen wir uns
nach solchen Zeugnissen darüber wundern, daß in den vorliegenden Briefen noch
öfters die Empfindungen des Dichters hervorbrechen, herzliches Wohlwollen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/120>, abgerufen am 23.07.2024.