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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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gehörten, Geburtstagsglückwüusche und Geburtstagsgedichte -- letztere oft als
Epigramme mit Geschenken verbunden --, auch eine Festschrift und eine Ge-
lmrtstagsrede beim Geburtstagsschmauß, das waren die obligaten Bestandtheile
einer solchen Feier.

Auch Epikur fehlte es an seinem 54. Geburtstage nicht an reichlichen Geschen¬
ken, die theils von seinen Freunden in Athen, theils von denen in Mitylene, Kolo-
phon und Lampsakos, Mo Epikur vom 32. bis zum 36. Lebensjahre gelehrt
hatte, dem allverehrten Meister gewidmet worden waren. Wir übergehen die
Matinee, in welcher Epikur im Kreise seiner Freunde nach einem den Geburts¬
tagsgöttern dargebrachten Ranchopfer die Glückwiiusche und Geschenke entgegen¬
nahm, und wenden uns sogleich zum Geburtstagsschmauße, mit dem Epikur
seine Gäste heute bewirthet.

Der materielle Verlauf des Festessens ist aus einem Speisezettel (^"^"r"-
<)'t"^) zu ersehen, welchen der für diesen Tag gemiethete sicilische Koch dem
Hausherrn zum feierlichen Beginn vorgelegt hat: Maza, Bohnen, Würste, Hasen¬
braten, Tintenfisch mit Olivenöl, Weizenbrod, kythnischer Käse.*) Neben dem
reichlich zur Verfügung stehenden Wasser wurde heute auch jedem Gaste eine
xorv^ o^t^vo, wie sich Stobäus ausdrückt, "eine Schale Weinchens" gereicht,
nur Epikur blieb bei seinem "Besten", beim Wasser. Das Mahl hat begonnen,
die Gäste haben -- zum Anfassen der heißen Speisen -- ihre Handschuhe ange¬
legt; da winkt Metrodor einem Tischgenossen. Es ist ein Sclave des Epikur,
Namens Mys, der, schon längere Zeit ein fleißiger Schüler seines Herrn, heute
auf ausdrücklichen Befehl Epikurs unter den Gästen Platz genommen hat und
mit einer von ihm selbst verfaßten Festschrift den Meister erfreuen soll. Er
tritt an Epikur mit einer zierlich geschriebenen Rolle heran und spricht: "Herr,
gestatte, daß ich dir zum heutigen Tage vorlese, was ich dir längst zu schreiben
versprochen: eine Zusammenfassung deiner Lehren über Kanonik" (so nannte
Epikur die Erkenntnißlehre). -- "Wohlan, beginne," sagte freundlichen Blickes
der Meister.

"Die Grundlage aller Erkenntniß ist die sinnliche Wahrnehmung; sie ist an
sich immer gewiß; nur durch die Beziehung der Wahrnehmung auf einen ver¬
anlassenden Gegenstaud entsteht der Irrthum. Die entgegengesetzten Behaup-



*) Wir wollen annehmen, daß die aufgetischten Würste nicht, was in Griechenland
öfter vorkam, mit Hunde- oder Eselsflcisch gefälscht waren. Der Tintenfisch, ein, wie Kenner
sagen, nicht besonders zarter Fisch, war bei Gcbnrtstagsschmnußen in vielen griechischen
Familien stehendes Gericht; das Olivenöl ersetzte die Butter, welche den Hellenen nur als
Medikament bekannt war und "Milchöl" hieß. Kythnischer Käse war ein Lieblingsgericht
Epikurs. Die harten Theile des Wcizcnbrodes wurden theils zu anderen Speisen gegessen,
theils als Löffel (doch gab es anch metallene) gebraucht; die weichen aber mußten, zu einem
Teige geknetet, Servietteudienstc thun: man reinigte damit während der Mahlzeit die Hände.

gehörten, Geburtstagsglückwüusche und Geburtstagsgedichte — letztere oft als
Epigramme mit Geschenken verbunden —, auch eine Festschrift und eine Ge-
lmrtstagsrede beim Geburtstagsschmauß, das waren die obligaten Bestandtheile
einer solchen Feier.

Auch Epikur fehlte es an seinem 54. Geburtstage nicht an reichlichen Geschen¬
ken, die theils von seinen Freunden in Athen, theils von denen in Mitylene, Kolo-
phon und Lampsakos, Mo Epikur vom 32. bis zum 36. Lebensjahre gelehrt
hatte, dem allverehrten Meister gewidmet worden waren. Wir übergehen die
Matinee, in welcher Epikur im Kreise seiner Freunde nach einem den Geburts¬
tagsgöttern dargebrachten Ranchopfer die Glückwiiusche und Geschenke entgegen¬
nahm, und wenden uns sogleich zum Geburtstagsschmauße, mit dem Epikur
seine Gäste heute bewirthet.

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Hausherrn zum feierlichen Beginn vorgelegt hat: Maza, Bohnen, Würste, Hasen¬
braten, Tintenfisch mit Olivenöl, Weizenbrod, kythnischer Käse.*) Neben dem
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nur Epikur blieb bei seinem „Besten", beim Wasser. Das Mahl hat begonnen,
die Gäste haben — zum Anfassen der heißen Speisen — ihre Handschuhe ange¬
legt; da winkt Metrodor einem Tischgenossen. Es ist ein Sclave des Epikur,
Namens Mys, der, schon längere Zeit ein fleißiger Schüler seines Herrn, heute
auf ausdrücklichen Befehl Epikurs unter den Gästen Platz genommen hat und
mit einer von ihm selbst verfaßten Festschrift den Meister erfreuen soll. Er
tritt an Epikur mit einer zierlich geschriebenen Rolle heran und spricht: „Herr,
gestatte, daß ich dir zum heutigen Tage vorlese, was ich dir längst zu schreiben
versprochen: eine Zusammenfassung deiner Lehren über Kanonik" (so nannte
Epikur die Erkenntnißlehre). — „Wohlan, beginne," sagte freundlichen Blickes
der Meister.

„Die Grundlage aller Erkenntniß ist die sinnliche Wahrnehmung; sie ist an
sich immer gewiß; nur durch die Beziehung der Wahrnehmung auf einen ver¬
anlassenden Gegenstaud entsteht der Irrthum. Die entgegengesetzten Behaup-



*) Wir wollen annehmen, daß die aufgetischten Würste nicht, was in Griechenland
öfter vorkam, mit Hunde- oder Eselsflcisch gefälscht waren. Der Tintenfisch, ein, wie Kenner
sagen, nicht besonders zarter Fisch, war bei Gcbnrtstagsschmnußen in vielen griechischen
Familien stehendes Gericht; das Olivenöl ersetzte die Butter, welche den Hellenen nur als
Medikament bekannt war und „Milchöl" hieß. Kythnischer Käse war ein Lieblingsgericht
Epikurs. Die harten Theile des Wcizcnbrodes wurden theils zu anderen Speisen gegessen,
theils als Löffel (doch gab es anch metallene) gebraucht; die weichen aber mußten, zu einem
Teige geknetet, Servietteudienstc thun: man reinigte damit während der Mahlzeit die Hände.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/110>, abgerufen am 23.07.2024.