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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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lich mit Belgiern besetzt werden, in Betreff des Jugeuduuterrichts sollte, um die
Katholiken zufrieden zu stellen, die größte Freiheit herrschen, schließlich wurde
eine Amnestie ohne irgend welche Ausnahmen zugestanden. Aber es war zu
spät. Allenthalben fast begegneten die königlichen Zusagen unbefriedigten und
mißtrauischen Blicken. "Den Einen erschienen sie als Falle, den Anderen als
Plagiat der Erlasse der Provisorischen Regierung." Der Prinz machte einen
letzten Versuch, er erließ am 16. October eine zweite Proclamation, in der er
die Revolution förmlich billigte. "Belgier," sagte er, "ich erkenne euch als unab¬
hängige Nation an, d. h. ich werde mich selbst in den Provinzen, wo ich große
Macht ausübe, in nichts euren Bürgerrechten widersetzen. Wählet frei und auf
dieselbe Weise wie euere Landsleute in den anderen Provinzen die Abgeord¬
neten für den Nationalcongreß, der sich vorbereitet, und verhandelt dort die
Interessen des Landes. Ich stelle mich also in den Provinzen, die ich
regiere, an die Spitze einer Bewegung, die euch zu einem neuen
und bleibenden Zustande führt, dessen Kraft die Nationalität
bildet. Das ist die Sprache dessen, der sein Blut für die Unabhängigkeit
unseres Bodens vergossen hat, und der sich mit euren Anstrengungen zur Er¬
richtung einer politischen Nationalität verbinden will."

Die Provisorische Regierung blieb auch diesem Versuche zur Versöhnung
gegenüber fest. Sie antwortete ablehnend, und in der That hatte der Prinz zu
gleicher Zeit zu viel und zu wenig gethan, zu viel seinem Vater gegenüber, zu wenig,
wenn er wirklich das neue Oberhaupt der Belgier werden wollte. Wie konnte
man an seiue Versprechungen oder selbst an seine Vollmacht glauben, als schon
am 17. der General Chasse über die Stadt Antwerpen den Belagerungszustand
verhängte? Wenige Tage nachher, am 20., wurde der Thronerbe von seinem
Vater in förmlichster Weise in einer an die Generalstaaten gerichteten Botschaft
desavouirt, und indem er sich entschloß, sich zu gleicher Zeit von den Belgiern,
denen er nicht genug revolutionär war, und von den Holländern zu trennen,
die seine Sympathien mit den Rebellen tadelten, schiffte er sich am 25. nach
England ein. Am 27. aber legte ein furchtbares Bombardement von der Citadelle
her die Stadt Antwerpen, die sich empört und den belgischen Freischaaren die
Thore geöffnet, zu einem großen Theile in Asche. Dieses Bombardement war,
wie Juste S. 53 des ersten Bandes seiner Schrift behauptet, holläudischerseits
vorher überlegt. "Man wünschte sich inständig eine Gelegenheit herbei, durch
ein Schreckmittel das kriegerische Feuer der Belgier zu dämpfen und zu gleicher
Zeit das Machtgefühl der Holländer zu stärken." Die Regierung König Wilhelms
erwartete einen Einfall der Freischaaren in Holland, der von zwei Seiten er¬
folgen konnte. Die Bewohner Nordbrabants, wo der Katholicismus vorherrscht,
gaben laut ihre Sympathie mit ihren Glaubensgenossen in Belgien kund, und


lich mit Belgiern besetzt werden, in Betreff des Jugeuduuterrichts sollte, um die
Katholiken zufrieden zu stellen, die größte Freiheit herrschen, schließlich wurde
eine Amnestie ohne irgend welche Ausnahmen zugestanden. Aber es war zu
spät. Allenthalben fast begegneten die königlichen Zusagen unbefriedigten und
mißtrauischen Blicken. „Den Einen erschienen sie als Falle, den Anderen als
Plagiat der Erlasse der Provisorischen Regierung." Der Prinz machte einen
letzten Versuch, er erließ am 16. October eine zweite Proclamation, in der er
die Revolution förmlich billigte. „Belgier," sagte er, „ich erkenne euch als unab¬
hängige Nation an, d. h. ich werde mich selbst in den Provinzen, wo ich große
Macht ausübe, in nichts euren Bürgerrechten widersetzen. Wählet frei und auf
dieselbe Weise wie euere Landsleute in den anderen Provinzen die Abgeord¬
neten für den Nationalcongreß, der sich vorbereitet, und verhandelt dort die
Interessen des Landes. Ich stelle mich also in den Provinzen, die ich
regiere, an die Spitze einer Bewegung, die euch zu einem neuen
und bleibenden Zustande führt, dessen Kraft die Nationalität
bildet. Das ist die Sprache dessen, der sein Blut für die Unabhängigkeit
unseres Bodens vergossen hat, und der sich mit euren Anstrengungen zur Er¬
richtung einer politischen Nationalität verbinden will."

Die Provisorische Regierung blieb auch diesem Versuche zur Versöhnung
gegenüber fest. Sie antwortete ablehnend, und in der That hatte der Prinz zu
gleicher Zeit zu viel und zu wenig gethan, zu viel seinem Vater gegenüber, zu wenig,
wenn er wirklich das neue Oberhaupt der Belgier werden wollte. Wie konnte
man an seiue Versprechungen oder selbst an seine Vollmacht glauben, als schon
am 17. der General Chasse über die Stadt Antwerpen den Belagerungszustand
verhängte? Wenige Tage nachher, am 20., wurde der Thronerbe von seinem
Vater in förmlichster Weise in einer an die Generalstaaten gerichteten Botschaft
desavouirt, und indem er sich entschloß, sich zu gleicher Zeit von den Belgiern,
denen er nicht genug revolutionär war, und von den Holländern zu trennen,
die seine Sympathien mit den Rebellen tadelten, schiffte er sich am 25. nach
England ein. Am 27. aber legte ein furchtbares Bombardement von der Citadelle
her die Stadt Antwerpen, die sich empört und den belgischen Freischaaren die
Thore geöffnet, zu einem großen Theile in Asche. Dieses Bombardement war,
wie Juste S. 53 des ersten Bandes seiner Schrift behauptet, holläudischerseits
vorher überlegt. „Man wünschte sich inständig eine Gelegenheit herbei, durch
ein Schreckmittel das kriegerische Feuer der Belgier zu dämpfen und zu gleicher
Zeit das Machtgefühl der Holländer zu stärken." Die Regierung König Wilhelms
erwartete einen Einfall der Freischaaren in Holland, der von zwei Seiten er¬
folgen konnte. Die Bewohner Nordbrabants, wo der Katholicismus vorherrscht,
gaben laut ihre Sympathie mit ihren Glaubensgenossen in Belgien kund, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/107>, abgerufen am 23.07.2024.