Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.auch nur momentane Abhilfe bot und die Landfrage durchaus nicht für immer Dieselbe Ursache hatte jedoch bei der celtischen Bevölkerung Irlands ganz Nach den statistischen Berichten der letzten Jahre wohnen in Irland noch auch nur momentane Abhilfe bot und die Landfrage durchaus nicht für immer Dieselbe Ursache hatte jedoch bei der celtischen Bevölkerung Irlands ganz Nach den statistischen Berichten der letzten Jahre wohnen in Irland noch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146027"/> <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233"> auch nur momentane Abhilfe bot und die Landfrage durchaus nicht für immer<lb/> beilegte, so ging doch alles ohne Unruhe und Aufregung ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_235"> Dieselbe Ursache hatte jedoch bei der celtischen Bevölkerung Irlands ganz<lb/> andere Wirkungen. Dort stehen seit der Eroberung Irlands zwei Klassen ein¬<lb/> ander gegenüber, die durch Abstammung, Religion und Besitz von einander<lb/> durchaus verschieden sind. Die celtischen Urbewohner des Landes, katholischer<lb/> Religion und größtentheils von hoher Armuth, und — die englischen Eroberer,<lb/> protestantischer Religion und die eigentlichen Besitzer des Grundeigenthums,<lb/> des Handels und der Industrie des Landes. Der Rassenstreit wird also dort<lb/> eigenthümlicherweise noch durch den Religions- und Besitzstreit zu einem ganz<lb/> unduldsamen Verhältniß zugespitzt. Das kalte, protestantische anglo-sächsische<lb/> Element kam schon seit Jahrhunderten theils durch den Machtspruch der Er¬<lb/> oberer, theils durch Ausdauer, Zähigkeit, Thatkraft und Handelsgeist in den<lb/> Besitz des Landes und drängte das celtische Element aus seinen früheren Ver¬<lb/> hältnissen; die großen Massen der irischen Bevölkerung, leicht erregbar, ignorant<lb/> und in den Händen der katholischen Priester, mußten dem starken anglo-sächsi-<lb/> schen Elemente weichen. Die bessere, gebildete und besitzende Klasse der Celten,<lb/> welche eine Zeit lang die Brücke zwischen den beiden feindseligen Elementen<lb/> bildete, schloß sich allmählich durch eigene Wahl an das ihnen geistig und ge¬<lb/> sellschaftlich näher verwandte anglo-sächsische Element an, und heute sind die<lb/> ersten irischen Familien, wie die O'Briens, die O'Callaghan, O'Rente, Kavnnagh,<lb/> O'Donnovcm, O'Convr Don, O'Donnels u. s. w., ebenso loyale Anhänger der<lb/> englischen Krone wie die Fitzgeralds, Butters, Kinghams und andere englische,<lb/> in Irland angesiedelte Familien. Auf diese Weise wurden dem Stamme der<lb/> celtischen Bevölkerung die Blüthen geraubt, das Besitzthum und die Bildung<lb/> von ihnen getrennt. Die großen Massen waren sich selbst überlassen, und arm,<lb/> ungebildet, von religiösem Fanatismus und einer Menge Leidenschaften beherrscht,<lb/> verfielen sie immer mehr und verschärften die Gegensätze zwischen sich und dem<lb/> besitzenden Stande. Dies hat sich bei jeder Gelegenheit offenbart; Beispiele<lb/> dafür anzuführen ist wohl überflüssig. Unwissenheit, Unerfahrenheit und Nach¬<lb/> lässigkeit in ihrem Haupterwerbszweige, dem Ackerbau, thaten das Uebrige. Der<lb/> letzte und ärgste Feind aber war auch hier, wie bei allen auf niederer Cultur¬<lb/> stufe stehenden Völkern, der jüdische Speculant, der so lange und so gerne Credit<lb/> gewährte, bis — nichts mehr da war. So lebte die Masse der irischen Be¬<lb/> völkerung in der That nur von der Hand in den Mund, von Sommer zu<lb/> Sommer, und nichts ist vorhanden, um der hungernden, verarmten Landbevölke-<lb/> rung über den kalten, rauhen Winter bis zum nächsten Frühjahr hinwegzuhelfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_236" next="#ID_237"> Nach den statistischen Berichten der letzten Jahre wohnen in Irland noch<lb/> 180000 Familien vou zusammen 800000 Personen in elenden, verfallenen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0098]
auch nur momentane Abhilfe bot und die Landfrage durchaus nicht für immer
beilegte, so ging doch alles ohne Unruhe und Aufregung ab.
Dieselbe Ursache hatte jedoch bei der celtischen Bevölkerung Irlands ganz
andere Wirkungen. Dort stehen seit der Eroberung Irlands zwei Klassen ein¬
ander gegenüber, die durch Abstammung, Religion und Besitz von einander
durchaus verschieden sind. Die celtischen Urbewohner des Landes, katholischer
Religion und größtentheils von hoher Armuth, und — die englischen Eroberer,
protestantischer Religion und die eigentlichen Besitzer des Grundeigenthums,
des Handels und der Industrie des Landes. Der Rassenstreit wird also dort
eigenthümlicherweise noch durch den Religions- und Besitzstreit zu einem ganz
unduldsamen Verhältniß zugespitzt. Das kalte, protestantische anglo-sächsische
Element kam schon seit Jahrhunderten theils durch den Machtspruch der Er¬
oberer, theils durch Ausdauer, Zähigkeit, Thatkraft und Handelsgeist in den
Besitz des Landes und drängte das celtische Element aus seinen früheren Ver¬
hältnissen; die großen Massen der irischen Bevölkerung, leicht erregbar, ignorant
und in den Händen der katholischen Priester, mußten dem starken anglo-sächsi-
schen Elemente weichen. Die bessere, gebildete und besitzende Klasse der Celten,
welche eine Zeit lang die Brücke zwischen den beiden feindseligen Elementen
bildete, schloß sich allmählich durch eigene Wahl an das ihnen geistig und ge¬
sellschaftlich näher verwandte anglo-sächsische Element an, und heute sind die
ersten irischen Familien, wie die O'Briens, die O'Callaghan, O'Rente, Kavnnagh,
O'Donnovcm, O'Convr Don, O'Donnels u. s. w., ebenso loyale Anhänger der
englischen Krone wie die Fitzgeralds, Butters, Kinghams und andere englische,
in Irland angesiedelte Familien. Auf diese Weise wurden dem Stamme der
celtischen Bevölkerung die Blüthen geraubt, das Besitzthum und die Bildung
von ihnen getrennt. Die großen Massen waren sich selbst überlassen, und arm,
ungebildet, von religiösem Fanatismus und einer Menge Leidenschaften beherrscht,
verfielen sie immer mehr und verschärften die Gegensätze zwischen sich und dem
besitzenden Stande. Dies hat sich bei jeder Gelegenheit offenbart; Beispiele
dafür anzuführen ist wohl überflüssig. Unwissenheit, Unerfahrenheit und Nach¬
lässigkeit in ihrem Haupterwerbszweige, dem Ackerbau, thaten das Uebrige. Der
letzte und ärgste Feind aber war auch hier, wie bei allen auf niederer Cultur¬
stufe stehenden Völkern, der jüdische Speculant, der so lange und so gerne Credit
gewährte, bis — nichts mehr da war. So lebte die Masse der irischen Be¬
völkerung in der That nur von der Hand in den Mund, von Sommer zu
Sommer, und nichts ist vorhanden, um der hungernden, verarmten Landbevölke-
rung über den kalten, rauhen Winter bis zum nächsten Frühjahr hinwegzuhelfen.
Nach den statistischen Berichten der letzten Jahre wohnen in Irland noch
180000 Familien vou zusammen 800000 Personen in elenden, verfallenen
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