Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.des weiblichen Körpers nur schrittweise nachgab. So wählte der Künstler ein des weiblichen Körpers nur schrittweise nachgab. So wählte der Künstler ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0079" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146008"/> <p xml:id="ID_191" prev="#ID_190" next="#ID_192"> des weiblichen Körpers nur schrittweise nachgab. So wählte der Künstler ein<lb/> Motiv, welches ihn ebensosehr zur Enthüllung des Oberkörpers wie zur Ver¬<lb/> hüllung des Unterkörpers berechtigte. Damit erreichte er technisch zunächst die<lb/> Vergrößerung der Masse des Unterkörpers durch das Gewand, wodurch die<lb/> von Anfang an in Marmor gedachte Statue einen festen, unabhängigen Stand<lb/> erhält. Er vermied aber zugleich den für das kunstsinnige Auge nichts weniger<lb/> als schönen Anblick des weiblichen Unterkörpers, welcher, seinem eigenthümlichen<lb/> anatomischen Bau entsprechend, durch die naturgemäße Zusammenschließung der<lb/> Oberschenkel und der sich nach außen öffnenden Unterschenkel nicht nur an<lb/> sich einen wenig erfreulichen Anblick bietet, der, wenn an jener Zusammenschlie¬<lb/> ßung der Oberschenkel nicht festgehalten wird, ein geradezu widerwärtiger wird,<lb/> soudern zugleich den unabweislichen Eindruck der Schwäche und Hilflosigkeit<lb/> macht. Das aber hätte grade bei der hier gewählten Behandlung des Motivs<lb/> am allerwenigsten gepaßt. Der Künstler gewann aber zugleich andere bedeu¬<lb/> tende Vortheile. Das Gewand wird ein wichtiges Mittel, seine Absicht zu klarem<lb/> Ausdruck zu bringen, und giebt, ohne die kräftig markirten Formen des Kör¬<lb/> pers zu verhüllen, reiche Gelegenheit für neue, schöne Formbildung, die um so<lb/> reizender wird, je mehr der todte Stoff des Gewandes in Mitleidenschaft ge¬<lb/> zogen und von der den Körper durchwehenden Empfindung belebt wird, so daß<lb/> er in der ihm eigenthümlichen Sprache denselben Inhalt redet wie der Körper.<lb/> Im Gegensatz dazu taucht aber der wundervolle Oberkörper in um so strahlen¬<lb/> derer Schönheit empor, der Theil des weiblichen Körpers, in welchem die<lb/> Formenweichheit sich noch am ersten mit energischer Bewegung paaren kann,<lb/> ohne den Charakter der Weiblichkeit einzubüßen. Nur wenig von dem nach<lb/> dem Gewände greifenden rechten Arme verdeckt, baut sich der schöne Leib auf;<lb/> ja, gerade diese genüge Verdeckung reizt die Phantasie unablässig zur Vervoll¬<lb/> ständigung das nicht sichtbaren Theiles. Noch meisterhafter aber ist das Grund¬<lb/> motiv dazu benutzt, der Bewegung einen Rhythmus zu verleihen, der in der<lb/> Verfolgung seiner Linien dem Auge immer neue Reize bietet und gerade da¬<lb/> durch die dem Kunstwerke am schwersten zu erreichende Aufgabe löst, der er¬<lb/> neuten Betrachtung immer neue Schönheiten zu enthüllen. Den vollendetsten<lb/> Anblick gewährt wohl die Stellung vor der Statue etwas nach ihrer linken<lb/> Seite hin. Da wechselt das fest auftretende linke Bein mit dem stark ausla¬<lb/> denden rechten und seiner in Ober- und Unterschenkel gebrochenen Linie, beide<lb/> Beine verbunden durch den großen Zug tiefschattender Falten und breiter<lb/> Flächen. Da wechselt die stark ausladende rechte Hüfte und die sich tief sen¬<lb/> kende rechte Schulter mit der straff ansteigende» linken Profillinie und der hoch<lb/> erhobenen rechten Schulter. Da locken die entgegengesetzten Beugungen von<lb/> rechts nach links, von hinten nach vorn, immer auss neue die ursprüngliche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0079]
des weiblichen Körpers nur schrittweise nachgab. So wählte der Künstler ein
Motiv, welches ihn ebensosehr zur Enthüllung des Oberkörpers wie zur Ver¬
hüllung des Unterkörpers berechtigte. Damit erreichte er technisch zunächst die
Vergrößerung der Masse des Unterkörpers durch das Gewand, wodurch die
von Anfang an in Marmor gedachte Statue einen festen, unabhängigen Stand
erhält. Er vermied aber zugleich den für das kunstsinnige Auge nichts weniger
als schönen Anblick des weiblichen Unterkörpers, welcher, seinem eigenthümlichen
anatomischen Bau entsprechend, durch die naturgemäße Zusammenschließung der
Oberschenkel und der sich nach außen öffnenden Unterschenkel nicht nur an
sich einen wenig erfreulichen Anblick bietet, der, wenn an jener Zusammenschlie¬
ßung der Oberschenkel nicht festgehalten wird, ein geradezu widerwärtiger wird,
soudern zugleich den unabweislichen Eindruck der Schwäche und Hilflosigkeit
macht. Das aber hätte grade bei der hier gewählten Behandlung des Motivs
am allerwenigsten gepaßt. Der Künstler gewann aber zugleich andere bedeu¬
tende Vortheile. Das Gewand wird ein wichtiges Mittel, seine Absicht zu klarem
Ausdruck zu bringen, und giebt, ohne die kräftig markirten Formen des Kör¬
pers zu verhüllen, reiche Gelegenheit für neue, schöne Formbildung, die um so
reizender wird, je mehr der todte Stoff des Gewandes in Mitleidenschaft ge¬
zogen und von der den Körper durchwehenden Empfindung belebt wird, so daß
er in der ihm eigenthümlichen Sprache denselben Inhalt redet wie der Körper.
Im Gegensatz dazu taucht aber der wundervolle Oberkörper in um so strahlen¬
derer Schönheit empor, der Theil des weiblichen Körpers, in welchem die
Formenweichheit sich noch am ersten mit energischer Bewegung paaren kann,
ohne den Charakter der Weiblichkeit einzubüßen. Nur wenig von dem nach
dem Gewände greifenden rechten Arme verdeckt, baut sich der schöne Leib auf;
ja, gerade diese genüge Verdeckung reizt die Phantasie unablässig zur Vervoll¬
ständigung das nicht sichtbaren Theiles. Noch meisterhafter aber ist das Grund¬
motiv dazu benutzt, der Bewegung einen Rhythmus zu verleihen, der in der
Verfolgung seiner Linien dem Auge immer neue Reize bietet und gerade da¬
durch die dem Kunstwerke am schwersten zu erreichende Aufgabe löst, der er¬
neuten Betrachtung immer neue Schönheiten zu enthüllen. Den vollendetsten
Anblick gewährt wohl die Stellung vor der Statue etwas nach ihrer linken
Seite hin. Da wechselt das fest auftretende linke Bein mit dem stark ausla¬
denden rechten und seiner in Ober- und Unterschenkel gebrochenen Linie, beide
Beine verbunden durch den großen Zug tiefschattender Falten und breiter
Flächen. Da wechselt die stark ausladende rechte Hüfte und die sich tief sen¬
kende rechte Schulter mit der straff ansteigende» linken Profillinie und der hoch
erhobenen rechten Schulter. Da locken die entgegengesetzten Beugungen von
rechts nach links, von hinten nach vorn, immer auss neue die ursprüngliche
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