Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Restaurator herrühren mußten -- denn daß diese angesetzt waren, beweist ja
jene Ansatzstelle ..... oder aber man müßte annehmen, sie wären überhaupt nie¬
mals mit dieser Statue verbunden gewesen: in beiden Fällen wären die Frag¬
mente für die Frage nach dem ursprünglichen Motiv nicht zu berücksichtigen.
Wir schließen uns jedoch der Ansicht an, der Originalkünstler habe schon selbst
den linken Oberarm aus einem besonderen Stück gearbeitet. Darf dies aber
als sicher gelten, so kann der Umstand, daß die Fragmente vermuthlich einmal
mit der Statue verbunden waren, nichts für ihre Originalität beweisen: der
linke Arm war ja unter allen Umständen von Anfang an angesetzt, und die
Fragmente müssen daher durch ihre eignen Eigenschaften bewähren, ob sie zu
dem originalen Arm oder einem später angesetzten gehörten. Als solche Eigen¬
schaft werden zwei für die Originalität angeführt: die Gleichartigkeit des Mar¬
mors und die richtigen Proportionen der Fragmente. Der erste Grund beweist
nichts, weil sich in demselben Steinbruch zu verschiedenen Zeiten sehr wohl ganz
gleichartiger Marmor findet -- wie könnte man sonst noch mit Sicherheit einen
bestimmten Marmor auf eine bestimmte Fundstätte zurückführen? Und auch
dasselbe Korn läßt sich finden: mußte es doch auch der Originalkünstler finden, da
er ja sein Werk nicht aus einem Stücke schuf! Der zweite Grund beweist
nichts, weil jeder nnr einigermaßen tüchtige Bildhauer im Stande ist, die rich¬
tigen Proportionen ebenso sicher herzustellen, wie sie ein Gelehrter wahrnehmen
kann. Auch ein dritter Grund, die Gleichartigkeit der Arbeit, der Meißelfüh¬
rung, fcheint bei der mangelhaften Erhaltung des Oberarmfragmentes nicht un¬
bedingt stichhaltig; für die Hand wird aber eine inferiore Arbeit zugegeben.
Es bleiben also als entscheidend nur die inneren Gründe übrig, die Beant¬
wortung der Frage: Stimmt das durch den Apfel angedeutete Motiv mit der
Haltung des Körpers und mit dem seelischen Ausdruck? -- Das ist entschieden
nicht der Fall. Die Apfelhaltung ist typisch, die Körperbewegung ist dramatisch;
die symbolische Haltung des Apfels hat mit dem hoheitsvollen Charakter des
Ausdrucks nichts zu schaffen, den die Statue thatsächlich hat; das ruhige Hin¬
halten des Apfels steht in schroffem Gegensatze zu der stark gebogenen Körper¬
haltung. Da bleibt nichts übrig, als sich für eine von zwei Möglichkeiten zu
entscheiden. Entweder das Motiv mit dem Apfel rührt von dem Original¬
künstler her: dann ist zuzugestehen, daß ein innerer Widerspruch zwischen Haupt¬
motiv und Körperhaltung besteht, daß somit der Künstler einen Cardinalfehler be¬
gangen hat, der ihn nicht auf der Höhe erscheinen läßt, die man ihm nach der
sonst hervortretenden Qualität seiner Arbeit einräumen muß; dann schadet es
nichts, wenn mau, um diesen Widerspruch zu erklären, auf die gewundene Kör¬
perhaltung der gothischen Sculpturen hinweist -- der Künstler gehört aber dann
in eine Zeit, in welcher man sich so grober Mittel bedienen mußte, um den


Restaurator herrühren mußten — denn daß diese angesetzt waren, beweist ja
jene Ansatzstelle ..... oder aber man müßte annehmen, sie wären überhaupt nie¬
mals mit dieser Statue verbunden gewesen: in beiden Fällen wären die Frag¬
mente für die Frage nach dem ursprünglichen Motiv nicht zu berücksichtigen.
Wir schließen uns jedoch der Ansicht an, der Originalkünstler habe schon selbst
den linken Oberarm aus einem besonderen Stück gearbeitet. Darf dies aber
als sicher gelten, so kann der Umstand, daß die Fragmente vermuthlich einmal
mit der Statue verbunden waren, nichts für ihre Originalität beweisen: der
linke Arm war ja unter allen Umständen von Anfang an angesetzt, und die
Fragmente müssen daher durch ihre eignen Eigenschaften bewähren, ob sie zu
dem originalen Arm oder einem später angesetzten gehörten. Als solche Eigen¬
schaft werden zwei für die Originalität angeführt: die Gleichartigkeit des Mar¬
mors und die richtigen Proportionen der Fragmente. Der erste Grund beweist
nichts, weil sich in demselben Steinbruch zu verschiedenen Zeiten sehr wohl ganz
gleichartiger Marmor findet — wie könnte man sonst noch mit Sicherheit einen
bestimmten Marmor auf eine bestimmte Fundstätte zurückführen? Und auch
dasselbe Korn läßt sich finden: mußte es doch auch der Originalkünstler finden, da
er ja sein Werk nicht aus einem Stücke schuf! Der zweite Grund beweist
nichts, weil jeder nnr einigermaßen tüchtige Bildhauer im Stande ist, die rich¬
tigen Proportionen ebenso sicher herzustellen, wie sie ein Gelehrter wahrnehmen
kann. Auch ein dritter Grund, die Gleichartigkeit der Arbeit, der Meißelfüh¬
rung, fcheint bei der mangelhaften Erhaltung des Oberarmfragmentes nicht un¬
bedingt stichhaltig; für die Hand wird aber eine inferiore Arbeit zugegeben.
Es bleiben also als entscheidend nur die inneren Gründe übrig, die Beant¬
wortung der Frage: Stimmt das durch den Apfel angedeutete Motiv mit der
Haltung des Körpers und mit dem seelischen Ausdruck? — Das ist entschieden
nicht der Fall. Die Apfelhaltung ist typisch, die Körperbewegung ist dramatisch;
die symbolische Haltung des Apfels hat mit dem hoheitsvollen Charakter des
Ausdrucks nichts zu schaffen, den die Statue thatsächlich hat; das ruhige Hin¬
halten des Apfels steht in schroffem Gegensatze zu der stark gebogenen Körper¬
haltung. Da bleibt nichts übrig, als sich für eine von zwei Möglichkeiten zu
entscheiden. Entweder das Motiv mit dem Apfel rührt von dem Original¬
künstler her: dann ist zuzugestehen, daß ein innerer Widerspruch zwischen Haupt¬
motiv und Körperhaltung besteht, daß somit der Künstler einen Cardinalfehler be¬
gangen hat, der ihn nicht auf der Höhe erscheinen läßt, die man ihm nach der
sonst hervortretenden Qualität seiner Arbeit einräumen muß; dann schadet es
nichts, wenn mau, um diesen Widerspruch zu erklären, auf die gewundene Kör¬
perhaltung der gothischen Sculpturen hinweist — der Künstler gehört aber dann
in eine Zeit, in welcher man sich so grober Mittel bedienen mußte, um den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0077" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146006"/>
          <p xml:id="ID_187" prev="#ID_186" next="#ID_188"> Restaurator herrühren mußten &#x2014; denn daß diese angesetzt waren, beweist ja<lb/>
jene Ansatzstelle ..... oder aber man müßte annehmen, sie wären überhaupt nie¬<lb/>
mals mit dieser Statue verbunden gewesen: in beiden Fällen wären die Frag¬<lb/>
mente für die Frage nach dem ursprünglichen Motiv nicht zu berücksichtigen.<lb/>
Wir schließen uns jedoch der Ansicht an, der Originalkünstler habe schon selbst<lb/>
den linken Oberarm aus einem besonderen Stück gearbeitet. Darf dies aber<lb/>
als sicher gelten, so kann der Umstand, daß die Fragmente vermuthlich einmal<lb/>
mit der Statue verbunden waren, nichts für ihre Originalität beweisen: der<lb/>
linke Arm war ja unter allen Umständen von Anfang an angesetzt, und die<lb/>
Fragmente müssen daher durch ihre eignen Eigenschaften bewähren, ob sie zu<lb/>
dem originalen Arm oder einem später angesetzten gehörten. Als solche Eigen¬<lb/>
schaft werden zwei für die Originalität angeführt: die Gleichartigkeit des Mar¬<lb/>
mors und die richtigen Proportionen der Fragmente. Der erste Grund beweist<lb/>
nichts, weil sich in demselben Steinbruch zu verschiedenen Zeiten sehr wohl ganz<lb/>
gleichartiger Marmor findet &#x2014; wie könnte man sonst noch mit Sicherheit einen<lb/>
bestimmten Marmor auf eine bestimmte Fundstätte zurückführen? Und auch<lb/>
dasselbe Korn läßt sich finden: mußte es doch auch der Originalkünstler finden, da<lb/>
er ja sein Werk nicht aus einem Stücke schuf! Der zweite Grund beweist<lb/>
nichts, weil jeder nnr einigermaßen tüchtige Bildhauer im Stande ist, die rich¬<lb/>
tigen Proportionen ebenso sicher herzustellen, wie sie ein Gelehrter wahrnehmen<lb/>
kann. Auch ein dritter Grund, die Gleichartigkeit der Arbeit, der Meißelfüh¬<lb/>
rung, fcheint bei der mangelhaften Erhaltung des Oberarmfragmentes nicht un¬<lb/>
bedingt stichhaltig; für die Hand wird aber eine inferiore Arbeit zugegeben.<lb/>
Es bleiben also als entscheidend nur die inneren Gründe übrig, die Beant¬<lb/>
wortung der Frage: Stimmt das durch den Apfel angedeutete Motiv mit der<lb/>
Haltung des Körpers und mit dem seelischen Ausdruck? &#x2014; Das ist entschieden<lb/>
nicht der Fall. Die Apfelhaltung ist typisch, die Körperbewegung ist dramatisch;<lb/>
die symbolische Haltung des Apfels hat mit dem hoheitsvollen Charakter des<lb/>
Ausdrucks nichts zu schaffen, den die Statue thatsächlich hat; das ruhige Hin¬<lb/>
halten des Apfels steht in schroffem Gegensatze zu der stark gebogenen Körper¬<lb/>
haltung. Da bleibt nichts übrig, als sich für eine von zwei Möglichkeiten zu<lb/>
entscheiden. Entweder das Motiv mit dem Apfel rührt von dem Original¬<lb/>
künstler her: dann ist zuzugestehen, daß ein innerer Widerspruch zwischen Haupt¬<lb/>
motiv und Körperhaltung besteht, daß somit der Künstler einen Cardinalfehler be¬<lb/>
gangen hat, der ihn nicht auf der Höhe erscheinen läßt, die man ihm nach der<lb/>
sonst hervortretenden Qualität seiner Arbeit einräumen muß; dann schadet es<lb/>
nichts, wenn mau, um diesen Widerspruch zu erklären, auf die gewundene Kör¬<lb/>
perhaltung der gothischen Sculpturen hinweist &#x2014; der Künstler gehört aber dann<lb/>
in eine Zeit, in welcher man sich so grober Mittel bedienen mußte, um den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0077] Restaurator herrühren mußten — denn daß diese angesetzt waren, beweist ja jene Ansatzstelle ..... oder aber man müßte annehmen, sie wären überhaupt nie¬ mals mit dieser Statue verbunden gewesen: in beiden Fällen wären die Frag¬ mente für die Frage nach dem ursprünglichen Motiv nicht zu berücksichtigen. Wir schließen uns jedoch der Ansicht an, der Originalkünstler habe schon selbst den linken Oberarm aus einem besonderen Stück gearbeitet. Darf dies aber als sicher gelten, so kann der Umstand, daß die Fragmente vermuthlich einmal mit der Statue verbunden waren, nichts für ihre Originalität beweisen: der linke Arm war ja unter allen Umständen von Anfang an angesetzt, und die Fragmente müssen daher durch ihre eignen Eigenschaften bewähren, ob sie zu dem originalen Arm oder einem später angesetzten gehörten. Als solche Eigen¬ schaft werden zwei für die Originalität angeführt: die Gleichartigkeit des Mar¬ mors und die richtigen Proportionen der Fragmente. Der erste Grund beweist nichts, weil sich in demselben Steinbruch zu verschiedenen Zeiten sehr wohl ganz gleichartiger Marmor findet — wie könnte man sonst noch mit Sicherheit einen bestimmten Marmor auf eine bestimmte Fundstätte zurückführen? Und auch dasselbe Korn läßt sich finden: mußte es doch auch der Originalkünstler finden, da er ja sein Werk nicht aus einem Stücke schuf! Der zweite Grund beweist nichts, weil jeder nnr einigermaßen tüchtige Bildhauer im Stande ist, die rich¬ tigen Proportionen ebenso sicher herzustellen, wie sie ein Gelehrter wahrnehmen kann. Auch ein dritter Grund, die Gleichartigkeit der Arbeit, der Meißelfüh¬ rung, fcheint bei der mangelhaften Erhaltung des Oberarmfragmentes nicht un¬ bedingt stichhaltig; für die Hand wird aber eine inferiore Arbeit zugegeben. Es bleiben also als entscheidend nur die inneren Gründe übrig, die Beant¬ wortung der Frage: Stimmt das durch den Apfel angedeutete Motiv mit der Haltung des Körpers und mit dem seelischen Ausdruck? — Das ist entschieden nicht der Fall. Die Apfelhaltung ist typisch, die Körperbewegung ist dramatisch; die symbolische Haltung des Apfels hat mit dem hoheitsvollen Charakter des Ausdrucks nichts zu schaffen, den die Statue thatsächlich hat; das ruhige Hin¬ halten des Apfels steht in schroffem Gegensatze zu der stark gebogenen Körper¬ haltung. Da bleibt nichts übrig, als sich für eine von zwei Möglichkeiten zu entscheiden. Entweder das Motiv mit dem Apfel rührt von dem Original¬ künstler her: dann ist zuzugestehen, daß ein innerer Widerspruch zwischen Haupt¬ motiv und Körperhaltung besteht, daß somit der Künstler einen Cardinalfehler be¬ gangen hat, der ihn nicht auf der Höhe erscheinen läßt, die man ihm nach der sonst hervortretenden Qualität seiner Arbeit einräumen muß; dann schadet es nichts, wenn mau, um diesen Widerspruch zu erklären, auf die gewundene Kör¬ perhaltung der gothischen Sculpturen hinweist — der Künstler gehört aber dann in eine Zeit, in welcher man sich so grober Mittel bedienen mußte, um den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/77
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/77>, abgerufen am 23.07.2024.