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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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weniger der Fall, fo daß auch diese beiden Versuche als verfehlt zu betrachten
sind. Einen dritten Versuch, die Statue dramatisch aufzufassen und demgemäß
mit anderen Personen zu gruppiren, hat neuerdings ein Schwede (Geskel
Salomcm) gemacht; er soll hier nur der Curiosität wegen erwähnt werden.
Darnach soll die melische Statue ein Theil einer Gruppe "Herkules am Scheide¬
wege" sein, aber nicht, wie man vielleicht erwarten sollte, darin die Rolle der
Göttin der Jugend spielen, sondern, da sie halbnackt ist, die Göttin der Wollust
darstellen!

Aber sind denn nicht mit der Statue Fragmente eines linken Oberarmes
und einer linken Hand, welche den Apfel hält, gefunden werden, die in offen¬
barem Widerspruch zu der hier dargelegten Ansicht stehen? -- Es darf in der
That als feststehend betrachtet werden, daß jene Fragmente nicht nur zugleich
mit der Statue gefunden worden sind, sondern auch daß sie bei der Auffindung
zwar nicht mehr mit der Statue zusammenhingen^), wohl aber rin ihr verbunden
gewesen sein mögen. Wenigstens lassen dies nicht sowohl die Gleichartigkeit
des Marmors als vielmehr die genau entsprechenden Größenverhältnisse der
Statue und der Armsmgmente mit hinlänglicher Sicherheit vermuthen. Dieser
Umstand wird denn auch von den Vertheidigern der Hypothese der Apfelhaltung
als ein Grund von entscheidenden Gewicht angeführt, vor welchem alle Gegen¬
gründe schwinden müssen. In der Freude über einen alle Schwierigkeiten wenn
auch nicht lösenden, so doch abschneidenden Schluß find aber einige Punkte
nicht so beachtet worden, wie es hätte geschehen sollen.

Zunächst ist die Thatsache zu berücksichtigen, daß der linke Arm von
allem Anfang an angesetzt war. Da dieser Arm unter allen Umständen sich
vom Körper entfernte, so hätte der Künstler, wenn er ihn mit dem übrigen
Körper ans einem einzigen Block hätte meißeln wollen, diesen von ganz be¬
deutend größeren Dimensionen nehmen, dann aber ein sehr großes Stück nutzlos
abschlagen und zertrümmern müssen. Daß aber der Künstler entweder keine großen
Blöcke zur Verfügung hatte oder aber auf das technische Kunststück, das ganze
Werk aus einem Block herzustellen, keinen Werth legte, ein Umstand, der unsre
Achtung vor seiner künstlerischen Einsicht nur erhöht, beweist die andre That¬
sache, daß auch der Körper selbst von Anfang an aus zwei Blöcken (Ober- und
Unterkörper) besteht. Es findet sich aber auch ein äußerer Beleg dafür: das
Loch an der Schulter, in welchem mit einem metallenen Halter der Oberarm
befestigt wurde, ist noch vorhanden. Nähme man nun nicht an, daß schon der
Originalkünstler den linken Oberarm aus einem besonderen Stück angesetzt hätte,
so wäre damit entschieden, daß die jetzt vorhandenen Armfragmente von einem



*) S. v. Goeler, S, 16 ff. und vgl. Zeitschrift für bildende Kunst, 1376, Kunstchronik
Ur. 17.

weniger der Fall, fo daß auch diese beiden Versuche als verfehlt zu betrachten
sind. Einen dritten Versuch, die Statue dramatisch aufzufassen und demgemäß
mit anderen Personen zu gruppiren, hat neuerdings ein Schwede (Geskel
Salomcm) gemacht; er soll hier nur der Curiosität wegen erwähnt werden.
Darnach soll die melische Statue ein Theil einer Gruppe „Herkules am Scheide¬
wege" sein, aber nicht, wie man vielleicht erwarten sollte, darin die Rolle der
Göttin der Jugend spielen, sondern, da sie halbnackt ist, die Göttin der Wollust
darstellen!

Aber sind denn nicht mit der Statue Fragmente eines linken Oberarmes
und einer linken Hand, welche den Apfel hält, gefunden werden, die in offen¬
barem Widerspruch zu der hier dargelegten Ansicht stehen? — Es darf in der
That als feststehend betrachtet werden, daß jene Fragmente nicht nur zugleich
mit der Statue gefunden worden sind, sondern auch daß sie bei der Auffindung
zwar nicht mehr mit der Statue zusammenhingen^), wohl aber rin ihr verbunden
gewesen sein mögen. Wenigstens lassen dies nicht sowohl die Gleichartigkeit
des Marmors als vielmehr die genau entsprechenden Größenverhältnisse der
Statue und der Armsmgmente mit hinlänglicher Sicherheit vermuthen. Dieser
Umstand wird denn auch von den Vertheidigern der Hypothese der Apfelhaltung
als ein Grund von entscheidenden Gewicht angeführt, vor welchem alle Gegen¬
gründe schwinden müssen. In der Freude über einen alle Schwierigkeiten wenn
auch nicht lösenden, so doch abschneidenden Schluß find aber einige Punkte
nicht so beachtet worden, wie es hätte geschehen sollen.

Zunächst ist die Thatsache zu berücksichtigen, daß der linke Arm von
allem Anfang an angesetzt war. Da dieser Arm unter allen Umständen sich
vom Körper entfernte, so hätte der Künstler, wenn er ihn mit dem übrigen
Körper ans einem einzigen Block hätte meißeln wollen, diesen von ganz be¬
deutend größeren Dimensionen nehmen, dann aber ein sehr großes Stück nutzlos
abschlagen und zertrümmern müssen. Daß aber der Künstler entweder keine großen
Blöcke zur Verfügung hatte oder aber auf das technische Kunststück, das ganze
Werk aus einem Block herzustellen, keinen Werth legte, ein Umstand, der unsre
Achtung vor seiner künstlerischen Einsicht nur erhöht, beweist die andre That¬
sache, daß auch der Körper selbst von Anfang an aus zwei Blöcken (Ober- und
Unterkörper) besteht. Es findet sich aber auch ein äußerer Beleg dafür: das
Loch an der Schulter, in welchem mit einem metallenen Halter der Oberarm
befestigt wurde, ist noch vorhanden. Nähme man nun nicht an, daß schon der
Originalkünstler den linken Oberarm aus einem besonderen Stück angesetzt hätte,
so wäre damit entschieden, daß die jetzt vorhandenen Armfragmente von einem



*) S. v. Goeler, S, 16 ff. und vgl. Zeitschrift für bildende Kunst, 1376, Kunstchronik
Ur. 17.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/76>, abgerufen am 25.08.2024.