Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

tausig verzichten; hier war Napoleon, für die eigne Krone besorgt, unerschütter¬
lich. Eine günstigere Aussicht öffnete sich bald für Venetien.

Es ist hier nicht der Ort, die großen Schwierigkeiten, unter denen das
italienisch-preußische Bündniß gegen Oesterreich zu Stande kam, die com-
plicirte Vorgeschichte des Krieges von 1866 und den Verlauf desselben zu
schildern. -Italien kämpfte unglücklich zu Lande wie zur See. Der König
war nominell Oberbefehlshaber des Heeres an dem schlimmen Tage von
Custozza; faktisch war es sein Generalstabschef Alfonso Lamarmora, ein
unbedeutender Mann, der sich vom Krimfeldzuge her eines übertriebenen
Rufes erfreute. Aber die Schlacht von Königgrätz erwarb dem Könige dennoch
den Siegespreis Venetien, wenn auch unter der Form eines Geschenkes des
Kaisers von Frankreich, an den es Oesterreich abgetreten hatte. Darin lag eine
Demüthigung, die der italienische Stolz und der König selbst lange nicht ver¬
winden konnten. Dennoch erwiederte Victor Emanuel der venetianischen Depu¬
tation, die ihm am 4. November 1866, seinem Namenstage, das Plebiscit für den
Anschluß Venetiens an das Königreich Italien überbrachte: "Meine Herren, dies
ist der glücklichste Tag meines Lebens. Italien ist geschaffen, wenn nicht vollendet."

Die Vollendung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Im Herbste 1867
hatte Garibaldi heimlich Caprera, wo er bewacht wurde, verlassen und war
nach der päpstlichen Grenze geeilt, wo seine Freischaren bereits des alten
Führers harrten. In Florenz sah man wohl trotz allem zur Schau getrage¬
nen Unwillen das Unternehmen nicht ungern, um dann einen genügenden Vor¬
wand zu haben, die päpstlichen Staaten selbst zu besetzen, "um die Ordnung wieder¬
herzustellen". Aber hier verstand Napoleon keinen Scherz. Ein französisches Corps
landete in Civita Vecchia; bei Mendana that das Chassepot seine ersten Wunder,
und Garibaldi wanderte als Gefangener feines Königs auf das Fort Varigncmo.
Von neuem bezogen die Franzosen Standquartiere auf italienischem Boden.

Die französische Intervention hatte den König nicht minder als sein Volk tief
verstimmt. Der Erwerb des wieder von den Franzosen besetzten Patrimoniums
Petri schien in unabsehbare Form gerückt. Da bot sich ein unerwarteter Aus¬
weg. Königgrätz oder Sadowa, wie man es jenseits der Vogesen nennt, und
der Friede von Prag galten den meisten Franzosen für eine Niederlage der
napoleonischen Politik und eine Verletzung des europäischen Gleichgewichts,
d. h. der Suprematie Frankreichs. Ksvanodo xour Fg-av^g. wurde mehr und
mehr zum Feldgeschrei auch der kaiserlichen Partei selbst. Nach der Luxembur¬
ger Affaire von 1867 war der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nur
noch eine Frage der Zeit. Geschäftige Diplomaten suchten schon seit 1868 ein
Bündniß zwischen Italien, Oesterreich und Frankreich zur Demüthigung des
verhaßten Preußens zu Stande zu bringen, keiner eifriger und unermüdlicher


tausig verzichten; hier war Napoleon, für die eigne Krone besorgt, unerschütter¬
lich. Eine günstigere Aussicht öffnete sich bald für Venetien.

Es ist hier nicht der Ort, die großen Schwierigkeiten, unter denen das
italienisch-preußische Bündniß gegen Oesterreich zu Stande kam, die com-
plicirte Vorgeschichte des Krieges von 1866 und den Verlauf desselben zu
schildern. -Italien kämpfte unglücklich zu Lande wie zur See. Der König
war nominell Oberbefehlshaber des Heeres an dem schlimmen Tage von
Custozza; faktisch war es sein Generalstabschef Alfonso Lamarmora, ein
unbedeutender Mann, der sich vom Krimfeldzuge her eines übertriebenen
Rufes erfreute. Aber die Schlacht von Königgrätz erwarb dem Könige dennoch
den Siegespreis Venetien, wenn auch unter der Form eines Geschenkes des
Kaisers von Frankreich, an den es Oesterreich abgetreten hatte. Darin lag eine
Demüthigung, die der italienische Stolz und der König selbst lange nicht ver¬
winden konnten. Dennoch erwiederte Victor Emanuel der venetianischen Depu¬
tation, die ihm am 4. November 1866, seinem Namenstage, das Plebiscit für den
Anschluß Venetiens an das Königreich Italien überbrachte: „Meine Herren, dies
ist der glücklichste Tag meines Lebens. Italien ist geschaffen, wenn nicht vollendet."

Die Vollendung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Im Herbste 1867
hatte Garibaldi heimlich Caprera, wo er bewacht wurde, verlassen und war
nach der päpstlichen Grenze geeilt, wo seine Freischaren bereits des alten
Führers harrten. In Florenz sah man wohl trotz allem zur Schau getrage¬
nen Unwillen das Unternehmen nicht ungern, um dann einen genügenden Vor¬
wand zu haben, die päpstlichen Staaten selbst zu besetzen, „um die Ordnung wieder¬
herzustellen". Aber hier verstand Napoleon keinen Scherz. Ein französisches Corps
landete in Civita Vecchia; bei Mendana that das Chassepot seine ersten Wunder,
und Garibaldi wanderte als Gefangener feines Königs auf das Fort Varigncmo.
Von neuem bezogen die Franzosen Standquartiere auf italienischem Boden.

Die französische Intervention hatte den König nicht minder als sein Volk tief
verstimmt. Der Erwerb des wieder von den Franzosen besetzten Patrimoniums
Petri schien in unabsehbare Form gerückt. Da bot sich ein unerwarteter Aus¬
weg. Königgrätz oder Sadowa, wie man es jenseits der Vogesen nennt, und
der Friede von Prag galten den meisten Franzosen für eine Niederlage der
napoleonischen Politik und eine Verletzung des europäischen Gleichgewichts,
d. h. der Suprematie Frankreichs. Ksvanodo xour Fg-av^g. wurde mehr und
mehr zum Feldgeschrei auch der kaiserlichen Partei selbst. Nach der Luxembur¬
ger Affaire von 1867 war der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nur
noch eine Frage der Zeit. Geschäftige Diplomaten suchten schon seit 1868 ein
Bündniß zwischen Italien, Oesterreich und Frankreich zur Demüthigung des
verhaßten Preußens zu Stande zu bringen, keiner eifriger und unermüdlicher


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0069" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/145998"/>
          <p xml:id="ID_166" prev="#ID_165"> tausig verzichten; hier war Napoleon, für die eigne Krone besorgt, unerschütter¬<lb/>
lich. Eine günstigere Aussicht öffnete sich bald für Venetien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_167"> Es ist hier nicht der Ort, die großen Schwierigkeiten, unter denen das<lb/>
italienisch-preußische Bündniß gegen Oesterreich zu Stande kam, die com-<lb/>
plicirte Vorgeschichte des Krieges von 1866 und den Verlauf desselben zu<lb/>
schildern. -Italien kämpfte unglücklich zu Lande wie zur See. Der König<lb/>
war nominell Oberbefehlshaber des Heeres an dem schlimmen Tage von<lb/>
Custozza; faktisch war es sein Generalstabschef Alfonso Lamarmora, ein<lb/>
unbedeutender Mann, der sich vom Krimfeldzuge her eines übertriebenen<lb/>
Rufes erfreute. Aber die Schlacht von Königgrätz erwarb dem Könige dennoch<lb/>
den Siegespreis Venetien, wenn auch unter der Form eines Geschenkes des<lb/>
Kaisers von Frankreich, an den es Oesterreich abgetreten hatte. Darin lag eine<lb/>
Demüthigung, die der italienische Stolz und der König selbst lange nicht ver¬<lb/>
winden konnten. Dennoch erwiederte Victor Emanuel der venetianischen Depu¬<lb/>
tation, die ihm am 4. November 1866, seinem Namenstage, das Plebiscit für den<lb/>
Anschluß Venetiens an das Königreich Italien überbrachte: &#x201E;Meine Herren, dies<lb/>
ist der glücklichste Tag meines Lebens. Italien ist geschaffen, wenn nicht vollendet."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_168"> Die Vollendung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Im Herbste 1867<lb/>
hatte Garibaldi heimlich Caprera, wo er bewacht wurde, verlassen und war<lb/>
nach der päpstlichen Grenze geeilt, wo seine Freischaren bereits des alten<lb/>
Führers harrten. In Florenz sah man wohl trotz allem zur Schau getrage¬<lb/>
nen Unwillen das Unternehmen nicht ungern, um dann einen genügenden Vor¬<lb/>
wand zu haben, die päpstlichen Staaten selbst zu besetzen, &#x201E;um die Ordnung wieder¬<lb/>
herzustellen". Aber hier verstand Napoleon keinen Scherz. Ein französisches Corps<lb/>
landete in Civita Vecchia; bei Mendana that das Chassepot seine ersten Wunder,<lb/>
und Garibaldi wanderte als Gefangener feines Königs auf das Fort Varigncmo.<lb/>
Von neuem bezogen die Franzosen Standquartiere auf italienischem Boden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_169" next="#ID_170"> Die französische Intervention hatte den König nicht minder als sein Volk tief<lb/>
verstimmt. Der Erwerb des wieder von den Franzosen besetzten Patrimoniums<lb/>
Petri schien in unabsehbare Form gerückt. Da bot sich ein unerwarteter Aus¬<lb/>
weg. Königgrätz oder Sadowa, wie man es jenseits der Vogesen nennt, und<lb/>
der Friede von Prag galten den meisten Franzosen für eine Niederlage der<lb/>
napoleonischen Politik und eine Verletzung des europäischen Gleichgewichts,<lb/>
d. h. der Suprematie Frankreichs. Ksvanodo xour Fg-av^g. wurde mehr und<lb/>
mehr zum Feldgeschrei auch der kaiserlichen Partei selbst. Nach der Luxembur¬<lb/>
ger Affaire von 1867 war der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nur<lb/>
noch eine Frage der Zeit. Geschäftige Diplomaten suchten schon seit 1868 ein<lb/>
Bündniß zwischen Italien, Oesterreich und Frankreich zur Demüthigung des<lb/>
verhaßten Preußens zu Stande zu bringen, keiner eifriger und unermüdlicher</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0069] tausig verzichten; hier war Napoleon, für die eigne Krone besorgt, unerschütter¬ lich. Eine günstigere Aussicht öffnete sich bald für Venetien. Es ist hier nicht der Ort, die großen Schwierigkeiten, unter denen das italienisch-preußische Bündniß gegen Oesterreich zu Stande kam, die com- plicirte Vorgeschichte des Krieges von 1866 und den Verlauf desselben zu schildern. -Italien kämpfte unglücklich zu Lande wie zur See. Der König war nominell Oberbefehlshaber des Heeres an dem schlimmen Tage von Custozza; faktisch war es sein Generalstabschef Alfonso Lamarmora, ein unbedeutender Mann, der sich vom Krimfeldzuge her eines übertriebenen Rufes erfreute. Aber die Schlacht von Königgrätz erwarb dem Könige dennoch den Siegespreis Venetien, wenn auch unter der Form eines Geschenkes des Kaisers von Frankreich, an den es Oesterreich abgetreten hatte. Darin lag eine Demüthigung, die der italienische Stolz und der König selbst lange nicht ver¬ winden konnten. Dennoch erwiederte Victor Emanuel der venetianischen Depu¬ tation, die ihm am 4. November 1866, seinem Namenstage, das Plebiscit für den Anschluß Venetiens an das Königreich Italien überbrachte: „Meine Herren, dies ist der glücklichste Tag meines Lebens. Italien ist geschaffen, wenn nicht vollendet." Die Vollendung sollte nicht lange auf sich warten lassen. Im Herbste 1867 hatte Garibaldi heimlich Caprera, wo er bewacht wurde, verlassen und war nach der päpstlichen Grenze geeilt, wo seine Freischaren bereits des alten Führers harrten. In Florenz sah man wohl trotz allem zur Schau getrage¬ nen Unwillen das Unternehmen nicht ungern, um dann einen genügenden Vor¬ wand zu haben, die päpstlichen Staaten selbst zu besetzen, „um die Ordnung wieder¬ herzustellen". Aber hier verstand Napoleon keinen Scherz. Ein französisches Corps landete in Civita Vecchia; bei Mendana that das Chassepot seine ersten Wunder, und Garibaldi wanderte als Gefangener feines Königs auf das Fort Varigncmo. Von neuem bezogen die Franzosen Standquartiere auf italienischem Boden. Die französische Intervention hatte den König nicht minder als sein Volk tief verstimmt. Der Erwerb des wieder von den Franzosen besetzten Patrimoniums Petri schien in unabsehbare Form gerückt. Da bot sich ein unerwarteter Aus¬ weg. Königgrätz oder Sadowa, wie man es jenseits der Vogesen nennt, und der Friede von Prag galten den meisten Franzosen für eine Niederlage der napoleonischen Politik und eine Verletzung des europäischen Gleichgewichts, d. h. der Suprematie Frankreichs. Ksvanodo xour Fg-av^g. wurde mehr und mehr zum Feldgeschrei auch der kaiserlichen Partei selbst. Nach der Luxembur¬ ger Affaire von 1867 war der Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nur noch eine Frage der Zeit. Geschäftige Diplomaten suchten schon seit 1868 ein Bündniß zwischen Italien, Oesterreich und Frankreich zur Demüthigung des verhaßten Preußens zu Stande zu bringen, keiner eifriger und unermüdlicher

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/69
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/69>, abgerufen am 23.07.2024.