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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ward beschlossen; Cialdini schlug Lamoriciere bei Castelfidardo ailfs Haupt, und
am 7. November 1860 hielt Victor Emanuel seinen Einzug in Neapel, um hier,
wie er sagte, die Aera der Revolutionen zu schließen. Schon in seiner Anrede
an das gegen die päpstlichen Söldner ausziehende Heer hatte es geheißen:
"Man beschuldigt mich des Ehrgeizes. Ja, ich habe einen Ehrgeiz, den, die
Principien der moralischen Ordnung in Italien herzustellen Md Europa vor
den beständigen Gefahren des Krieges und der Revolution zu bewahren!"

Mit stolzer Befriedigung eröffnete der König am 18. Februar 1861 die
Versammlung der Vertreter des italienisch eil Volkes vom Monte Rosa bis zum
lilybäischen Vorgebirge und nahm für sich und seine Nachfolger den Titel
"König von Italien" an. Die Großmächte zögerten mit der Anerkennung und
der Beglaubigung ihrer Vertreter; der preußische Minister des Auswärtigen,
v. Schleinitz, ertheilte Cavour im Kathederton einen strengen Verweis für seine
revolutionäre Politik. Cavour erwiederte dem preußischen Gesandten mit trockner
Ironie: "Ich tröste mich damit, daß Preußen einst froh fein wird, dem von
mir bei dieser Gelegenheit gegebenen Beispiele folgen zu können."

Wenig über Jahresfrist nach der Vollendung seines großen Werkes lag
Camillo Cavour auf dem Sterbelager. Der König trat hinein, umarmte und
küßte den treuen Freund und Diener und kehrte in seinen Palast zurück mit den
Worten: "O, es wäre besser gewesen für Italien, wenn ich statt seiner gestorben!"
Bald aber ermannte er sich wieder, und in einem Briefe an den Grafen Ponza
ti San Martino schrieb er: "Der Tod Cavours ist ein schwerer und schwer
von mir empfundener Schlag. Aber nicht einen Augenblick wird mich dies
traurige Ereigniß auf dem Wege unseres politischen Leben aufhalten. Ich sehe
die Zukunft klar wie in einem Spiegel, und nichts kann mich verzagt machen.
Schwere Prüfungen stehen uns noch bevor; aber wenn Gott mir Leben ver¬
leiht, werden wir sie unerschrocken und unversehrt durchlaufen."

"Italien ist frei und fast ganz einig", hieß es in der Thronrede vom
18. Februar. In dem einen Worte "fast" lag der Keim schwerer Gefahren und
Kämpfe. Noch fehlten dem italienischen Nationalstaate zwei unentbehrliche Be¬
standtheile: Venedig und Rom. Vergeblich hatte Cavour durch das Zauber¬
wort von der "freien Kirche im freien Staate" die Hierarchie zu versöhnen und
zu gewinnen versucht. Der römische Hof beharrte in grimmiger Feindschaft
gegen das nationale Königthum sest auf feinem Nein xosZurous. Da entschloß
sich der König, um wenigstens den Abzug der Franzosen aus Italien zu be¬
wirken, zu der Convention vom September 1864, durch die er sich verpflichtete,
das Erbtheil Petri nicht zu verletzen, es vor Freischareneinfüllen zu schützen
und den Sitz der Regierung nach Florenz zu verlegen. Schwer war der Ent¬
schluß, sich von seinem geliebten Turin zu trennen. Auf Rom mußte er vor-


ward beschlossen; Cialdini schlug Lamoriciere bei Castelfidardo ailfs Haupt, und
am 7. November 1860 hielt Victor Emanuel seinen Einzug in Neapel, um hier,
wie er sagte, die Aera der Revolutionen zu schließen. Schon in seiner Anrede
an das gegen die päpstlichen Söldner ausziehende Heer hatte es geheißen:
„Man beschuldigt mich des Ehrgeizes. Ja, ich habe einen Ehrgeiz, den, die
Principien der moralischen Ordnung in Italien herzustellen Md Europa vor
den beständigen Gefahren des Krieges und der Revolution zu bewahren!"

Mit stolzer Befriedigung eröffnete der König am 18. Februar 1861 die
Versammlung der Vertreter des italienisch eil Volkes vom Monte Rosa bis zum
lilybäischen Vorgebirge und nahm für sich und seine Nachfolger den Titel
„König von Italien" an. Die Großmächte zögerten mit der Anerkennung und
der Beglaubigung ihrer Vertreter; der preußische Minister des Auswärtigen,
v. Schleinitz, ertheilte Cavour im Kathederton einen strengen Verweis für seine
revolutionäre Politik. Cavour erwiederte dem preußischen Gesandten mit trockner
Ironie: „Ich tröste mich damit, daß Preußen einst froh fein wird, dem von
mir bei dieser Gelegenheit gegebenen Beispiele folgen zu können."

Wenig über Jahresfrist nach der Vollendung seines großen Werkes lag
Camillo Cavour auf dem Sterbelager. Der König trat hinein, umarmte und
küßte den treuen Freund und Diener und kehrte in seinen Palast zurück mit den
Worten: „O, es wäre besser gewesen für Italien, wenn ich statt seiner gestorben!"
Bald aber ermannte er sich wieder, und in einem Briefe an den Grafen Ponza
ti San Martino schrieb er: „Der Tod Cavours ist ein schwerer und schwer
von mir empfundener Schlag. Aber nicht einen Augenblick wird mich dies
traurige Ereigniß auf dem Wege unseres politischen Leben aufhalten. Ich sehe
die Zukunft klar wie in einem Spiegel, und nichts kann mich verzagt machen.
Schwere Prüfungen stehen uns noch bevor; aber wenn Gott mir Leben ver¬
leiht, werden wir sie unerschrocken und unversehrt durchlaufen."

„Italien ist frei und fast ganz einig", hieß es in der Thronrede vom
18. Februar. In dem einen Worte „fast" lag der Keim schwerer Gefahren und
Kämpfe. Noch fehlten dem italienischen Nationalstaate zwei unentbehrliche Be¬
standtheile: Venedig und Rom. Vergeblich hatte Cavour durch das Zauber¬
wort von der „freien Kirche im freien Staate" die Hierarchie zu versöhnen und
zu gewinnen versucht. Der römische Hof beharrte in grimmiger Feindschaft
gegen das nationale Königthum sest auf feinem Nein xosZurous. Da entschloß
sich der König, um wenigstens den Abzug der Franzosen aus Italien zu be¬
wirken, zu der Convention vom September 1864, durch die er sich verpflichtete,
das Erbtheil Petri nicht zu verletzen, es vor Freischareneinfüllen zu schützen
und den Sitz der Regierung nach Florenz zu verlegen. Schwer war der Ent¬
schluß, sich von seinem geliebten Turin zu trennen. Auf Rom mußte er vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/68>, abgerufen am 23.07.2024.