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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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lassen. Das Opfer mußte schweren Herzens gebracht werden. Thränen im
Auge, hielt der König die letzte Heerschau über die treue Brigade seines Stamm¬
landes. Die radikale Partei erhob das alte Verrathgeschrei; Garibaldi, außer
sich über die Abtretung seiner Geburtsstadt, fluchte Cavour und grollte dem
Könige. Dieser aber durchzog, vom Jubelsturme der Völker empfangen, seine
neuen Gebiete. In Florenz drückte er Giuv Capponi, dem Nestor der italie¬
nischen Patrioten, ehrfurchtsvoll die Hand und begrüßte den 80jährigen Dichter
Niccolini als den Propheten der italienischen Unabhängigkeit.

In Neapel brauler inzwischen intrigante Frauen und Pfaffen eine legiti-
mistische Verschwörung, deren Zweck die Wiedereinsetzung der mittelitalienischen
Dynastien und die Demüthigung des verhaßten Piemont war. Der Turner
Regierung blieben diese Intriguen nicht verborgen. Aber vergeblich waren alle
Warnungen, vergeblich schrieb Victor Emanuel selbst an Franz II. von Neapel:
"Wenn Sie meinem Rathe (seinen Staat zu reformiren und sich mit Sardinien
zu verbinden) nicht folge", kann die Zeit kommen, wo ich mich in die traurige
Alternative versetzt sehe, die wichtigsten Interessen meiner Krone zu compro-
mittiren oder selbst das Hauptwerkzeug Ihres Verderbens zu werden." Die
sprichwörtliche bourbonische Blindheit war unheilbar; es galt der alte Spruch:
(jusrll Dsus vult xsrÄvrs, clsirisntg,t. Schon stand das Verderben vor der
Thür. Im Mai 1860 landete Garibaldi mit seinen Tausend bei Marsala und
durchzog in unerhörtem Siegesfluge Sicilien und Neapel. Victor Emanuel
war dem von der Actionspartei und dem Nationalverein eingeleiteten Unter¬
nehmen gegenüber in einer bedenklichen Stellung. Er konnte nicht selbst ein¬
greifen, nicht offen unterstützen, noch weniger offen dagegen sein. An geheimer
Unterstützung ließ es die Turiner Regierung nicht fehlen und wartete ruhig den
Erfolg ab. "Sind's Rosen, so werden sie blühen!" rief Cavour. Die euro¬
päische Diplomatie war außer sich vor moralischer Entrüstung; Kaiser Alexander
von Rußland schrieb an den Rand der neapolitanischen Depesche, welche die
Landung in Sicilien mittheilte: o'sse WKins!, von London und von Berlin
kamen dringende Abmahnungen nach Turin. Und das war noch nicht das
Schlimmste. In Unteritalien wuchs die radikale Agitation; Garibaldi war ein
trefflicher Freischarenführer, aber ein herzlich schlechter Dictator: in seiner
Regierung der Südprovinzen herrschten das Chaos und die Republikaner. Das
feste Gaöta und eine überlegene Armee geboten ihm Halt; im Kirchenstaate
hatte der klerikale Parteigänger Lamoriciöre ein Söldnerheer gesammelt, um,
nachdem er die Bevölkerungen am Nordrande der Apenninen, welche die drei¬
farbige Fahne aufgehißt hatten, gezüchtigt, mit dem Neapolitaner verbunden,
Garibaldi zu erdrücken. Da rief der König: "Wir dürfen Garibaldi nicht mit
Wachsflngeln in die Sonne fliegen lassen." Der Einfall in den Kirchenstaat


lassen. Das Opfer mußte schweren Herzens gebracht werden. Thränen im
Auge, hielt der König die letzte Heerschau über die treue Brigade seines Stamm¬
landes. Die radikale Partei erhob das alte Verrathgeschrei; Garibaldi, außer
sich über die Abtretung seiner Geburtsstadt, fluchte Cavour und grollte dem
Könige. Dieser aber durchzog, vom Jubelsturme der Völker empfangen, seine
neuen Gebiete. In Florenz drückte er Giuv Capponi, dem Nestor der italie¬
nischen Patrioten, ehrfurchtsvoll die Hand und begrüßte den 80jährigen Dichter
Niccolini als den Propheten der italienischen Unabhängigkeit.

In Neapel brauler inzwischen intrigante Frauen und Pfaffen eine legiti-
mistische Verschwörung, deren Zweck die Wiedereinsetzung der mittelitalienischen
Dynastien und die Demüthigung des verhaßten Piemont war. Der Turner
Regierung blieben diese Intriguen nicht verborgen. Aber vergeblich waren alle
Warnungen, vergeblich schrieb Victor Emanuel selbst an Franz II. von Neapel:
„Wenn Sie meinem Rathe (seinen Staat zu reformiren und sich mit Sardinien
zu verbinden) nicht folge«, kann die Zeit kommen, wo ich mich in die traurige
Alternative versetzt sehe, die wichtigsten Interessen meiner Krone zu compro-
mittiren oder selbst das Hauptwerkzeug Ihres Verderbens zu werden." Die
sprichwörtliche bourbonische Blindheit war unheilbar; es galt der alte Spruch:
(jusrll Dsus vult xsrÄvrs, clsirisntg,t. Schon stand das Verderben vor der
Thür. Im Mai 1860 landete Garibaldi mit seinen Tausend bei Marsala und
durchzog in unerhörtem Siegesfluge Sicilien und Neapel. Victor Emanuel
war dem von der Actionspartei und dem Nationalverein eingeleiteten Unter¬
nehmen gegenüber in einer bedenklichen Stellung. Er konnte nicht selbst ein¬
greifen, nicht offen unterstützen, noch weniger offen dagegen sein. An geheimer
Unterstützung ließ es die Turiner Regierung nicht fehlen und wartete ruhig den
Erfolg ab. „Sind's Rosen, so werden sie blühen!" rief Cavour. Die euro¬
päische Diplomatie war außer sich vor moralischer Entrüstung; Kaiser Alexander
von Rußland schrieb an den Rand der neapolitanischen Depesche, welche die
Landung in Sicilien mittheilte: o'sse WKins!, von London und von Berlin
kamen dringende Abmahnungen nach Turin. Und das war noch nicht das
Schlimmste. In Unteritalien wuchs die radikale Agitation; Garibaldi war ein
trefflicher Freischarenführer, aber ein herzlich schlechter Dictator: in seiner
Regierung der Südprovinzen herrschten das Chaos und die Republikaner. Das
feste Gaöta und eine überlegene Armee geboten ihm Halt; im Kirchenstaate
hatte der klerikale Parteigänger Lamoriciöre ein Söldnerheer gesammelt, um,
nachdem er die Bevölkerungen am Nordrande der Apenninen, welche die drei¬
farbige Fahne aufgehißt hatten, gezüchtigt, mit dem Neapolitaner verbunden,
Garibaldi zu erdrücken. Da rief der König: „Wir dürfen Garibaldi nicht mit
Wachsflngeln in die Sonne fliegen lassen." Der Einfall in den Kirchenstaat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/67>, abgerufen am 23.07.2024.