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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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bewirken. Louis Napoleon hatte nicht Lust, um Italiens willen sich einen neuen
mächtigen Feind auf den Hals zu ziehen. Zu Villafmnca verabredete er mit
Franz Joseph die Präliminarien des Friedens. "Armes Italien!" rief Victor
Emanuel aus, als er nach schwerem Kampfe mit sich selbst das Vertragsinstru¬
ment mit dem Zusätze: "so weit es mich betrifft" unterschrieb. Er hatte Recht,
zu unterschreiben; es wäre Wahnsinn und Selbstmord gewesen, auf eigene Hand
den Krieg fortzusetzen, wie Cavour, hinter dessen Rücken Napoleon verhandelt
hatte, im ersten Ausbruch des Zornes und der getäuschten Hoffnung verlangte.
Der letztere nahm seinen Abschied; wie sollte er diesen Frieden, der zwar die
Lombardei Piemont als Geschenk des französischen Protectors in den Schoß
warf, aber übrigens alles wieder in den früheren Zustand versetzen sollte, vor
dem italienischen Volke rechtfertigen, das er für die Unabhängigkeit des Ge-
sammtvaterlandes in die Waffen gerufen hatte?

Der Minister konnte abdanken, der König mußte bleiben. Antwortete er
doch später einem Minister, der seine Entlassung verlangt hatte: "Die Undank¬
barkeit ist meistens die Belohnung derjenigen, die für das Wohl der Völker
arbeiten; ich mache feit langer Zeit diese traurige Erfahrung, und weniger glück¬
lich als Sie, kann ich meine Demission nicht verlangen." Der größte Theil
Mittelitaliens hatte seine kleinen Despoten verjagt; Toscana, Parma, Moden,
die Romagna hatten die italienische Tricolore aufgepflanzt und dem neuen Könige
von Italien zugejauchzt. Sie zurückzustoßen, mit gebundenen Händen ihren Feinden
und alten Zwingherren zu überliefern, davon konnte keine Rede sein. Der Ge¬
sandte Ricasoli's, des Dictators von Toscana, Celestino Bicmchi, schreibt über
seine Zusammenkunft mit dem Könige in diesen Tagen der Ungewißheit und
angstvollen Spannung: "Victor Emanuel ist nicht nur der erste Soldat Italiens,
er ist auch dessen loyalster und standhaftester Bürger. Mir werden allein
handeln/ wiederholte er mir, Mittelitalien wird mir im Frühling 50000 Sol¬
daten senden, dann werden wir gemeinsam alle Hindernisse überwinden und die
Geschicke des Vaterlandes erfüllen/"

Die eiserne Krone Italiens, deren Auslieferung Oesterreich im Züricher
Frieden weigerte, gab er leichten Herzens auf: "Mir genügt als Krone die Liebe
meiner Völker!" Dagegen setzte er es durch, daß jede Intervention, jeder fremde
Zwang gegen die insurgirten Bevölkerungen Mittelitaliens ausgeschlossen wurde.
Die Folge war natürlich, daß der Artikel des Friedensvertrages, welcher die
Wiedereinsetzung der alten Souveräne verfügte, ein todter Buchstabe blieb.
Napoleon fügte sich wohl nicht allzuschwer in das Unvermeidliche: die Annexion
Toscanas und der Emilia wurde nach vorhergegangener allgemeiner Abstimmung
unter dem Jubel der Bevölkerungen vollzogen. Nun aber bestand der Kaiser
auf der Abtretung Nizzas und Savoyens, die er in Villafranca hatte fahren


bewirken. Louis Napoleon hatte nicht Lust, um Italiens willen sich einen neuen
mächtigen Feind auf den Hals zu ziehen. Zu Villafmnca verabredete er mit
Franz Joseph die Präliminarien des Friedens. „Armes Italien!" rief Victor
Emanuel aus, als er nach schwerem Kampfe mit sich selbst das Vertragsinstru¬
ment mit dem Zusätze: „so weit es mich betrifft" unterschrieb. Er hatte Recht,
zu unterschreiben; es wäre Wahnsinn und Selbstmord gewesen, auf eigene Hand
den Krieg fortzusetzen, wie Cavour, hinter dessen Rücken Napoleon verhandelt
hatte, im ersten Ausbruch des Zornes und der getäuschten Hoffnung verlangte.
Der letztere nahm seinen Abschied; wie sollte er diesen Frieden, der zwar die
Lombardei Piemont als Geschenk des französischen Protectors in den Schoß
warf, aber übrigens alles wieder in den früheren Zustand versetzen sollte, vor
dem italienischen Volke rechtfertigen, das er für die Unabhängigkeit des Ge-
sammtvaterlandes in die Waffen gerufen hatte?

Der Minister konnte abdanken, der König mußte bleiben. Antwortete er
doch später einem Minister, der seine Entlassung verlangt hatte: „Die Undank¬
barkeit ist meistens die Belohnung derjenigen, die für das Wohl der Völker
arbeiten; ich mache feit langer Zeit diese traurige Erfahrung, und weniger glück¬
lich als Sie, kann ich meine Demission nicht verlangen." Der größte Theil
Mittelitaliens hatte seine kleinen Despoten verjagt; Toscana, Parma, Moden,
die Romagna hatten die italienische Tricolore aufgepflanzt und dem neuen Könige
von Italien zugejauchzt. Sie zurückzustoßen, mit gebundenen Händen ihren Feinden
und alten Zwingherren zu überliefern, davon konnte keine Rede sein. Der Ge¬
sandte Ricasoli's, des Dictators von Toscana, Celestino Bicmchi, schreibt über
seine Zusammenkunft mit dem Könige in diesen Tagen der Ungewißheit und
angstvollen Spannung: „Victor Emanuel ist nicht nur der erste Soldat Italiens,
er ist auch dessen loyalster und standhaftester Bürger. Mir werden allein
handeln/ wiederholte er mir, Mittelitalien wird mir im Frühling 50000 Sol¬
daten senden, dann werden wir gemeinsam alle Hindernisse überwinden und die
Geschicke des Vaterlandes erfüllen/"

Die eiserne Krone Italiens, deren Auslieferung Oesterreich im Züricher
Frieden weigerte, gab er leichten Herzens auf: „Mir genügt als Krone die Liebe
meiner Völker!" Dagegen setzte er es durch, daß jede Intervention, jeder fremde
Zwang gegen die insurgirten Bevölkerungen Mittelitaliens ausgeschlossen wurde.
Die Folge war natürlich, daß der Artikel des Friedensvertrages, welcher die
Wiedereinsetzung der alten Souveräne verfügte, ein todter Buchstabe blieb.
Napoleon fügte sich wohl nicht allzuschwer in das Unvermeidliche: die Annexion
Toscanas und der Emilia wurde nach vorhergegangener allgemeiner Abstimmung
unter dem Jubel der Bevölkerungen vollzogen. Nun aber bestand der Kaiser
auf der Abtretung Nizzas und Savoyens, die er in Villafranca hatte fahren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/66>, abgerufen am 25.08.2024.