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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Frankreich selbst für einen Congresz zur friedlichen Schlichtung der italie¬
nischen Frage gewonnen, da wurde er durch Oesterreichs Uebermuth unmöglich.
Als endlich der Ausbruch des Krieges entschieden war, schrieb der König an
die Prinzessin Clotilde: "Alles um mich herum athmet Freude, und auch ich
als wahrer Italiener rufe aus vollem Herzen: Es lebe Italien!" und in dem
Manifeste an sein Volk sagte er: "Ich kenne keinen andern Ehrgeiz als den,
der erste Soldat der italienischen Unabhängigkeit zu sein." Zum Heere ab¬
reisend, das der lombardischen Grenze zuzog, hinterließ er die Instruction:
"Sorgt für meine Kinder und die vier österreichischen Fahnen, die mein Vater
1848 erobert hat; alles Andere ist Nichts dagegen; laßt mich die einen und
die anderen wiederfinden!"

In allen Schlachten und Gefechten von Montebello und Magenta bis
Solferino stand Victor Emanuel selbst an der Spitze seiner Truppen, indem
er ohne alle Rücksicht für seine Person sich den feindlichen Kugeln aussetzte.
Als ihn General Lamarmom zur Vorsicht mahnte, rief er ihm heftig zu: "Wenn
Sie sich fürchten, ziehen Sie sich zurück!" und zum Senator Plezzo sagte
er: "Ich könnte nicht den Muth haben, Tausende von Menschen in den Tod
zu schicken, zeigte ich nicht durch mein eignes Beispiel, daß die Sache, für die
wir kämpfen, werth ist, dafür zu sterben." In dem Gefechte von Palestro war
er fast von den Oesterreichern umzingelt. Der französische Fähnrich sällt dicht
neben ihm; die Zuaven und seine eigenen Soldaten stürzen ihm nach, um ihn
aus der Gefahr zu retten; da wendet er sich um und fragt: "Stehe ich euch
vielleicht im Wege? hier ist Ruhm genug für uns Alle zu ernten." Bei San
Martino, einer der Episoden der Schlacht von Solferino, begeisterte er durch
die magische Wirkung seiner Persönlichkeit, leuchtenden Auges unter dem Rufe
"Es lebe Italien!" an der Front vorübersprengend, seine Truppen zu Wundern
der Tapferkeit. Als er an der Spitze der Colonnen unter dem mörderischen
Feuer des Feindes, umrollt vom Donner und umzuckt von den Blitzen eines
furchtbaren Gewitters, zum letzten Sturm auf die von den Oesterreichern besetzten
Höhen schritt, rief er den Seinen zu: "Mir nach, Kinder, hier werden die Ge¬
schicke Italiens entschieden!"

Der Sieg war erkämpft; aber dem vordringenden Heere und den stolzen
Hoffnungen des Königs tönte ein plötzliches Halt! entgegen. Der deutsche Bund,
Preußen an der Spitze, drohte mit Krieg, wenn die Verbündeten den Mincio
überschritten. In Deutschland herrschte damals noch der alte Aberglaube, daß
man den Rhein am Mincio vertheidigen müsse, so klar auch Cavour bewiesen
hatte, daß diese Politik unser Vaterland der Gefahr aussetze, den Rhein selbst
zu verlieren. Vergeblich hatte Bismarck, schärfer blickend, von Petersburg aus
versucht, eine Verständigung Preußens mit Rußland, England und Piemont zu


Grenzboten I. 18S0. 8

Frankreich selbst für einen Congresz zur friedlichen Schlichtung der italie¬
nischen Frage gewonnen, da wurde er durch Oesterreichs Uebermuth unmöglich.
Als endlich der Ausbruch des Krieges entschieden war, schrieb der König an
die Prinzessin Clotilde: „Alles um mich herum athmet Freude, und auch ich
als wahrer Italiener rufe aus vollem Herzen: Es lebe Italien!" und in dem
Manifeste an sein Volk sagte er: „Ich kenne keinen andern Ehrgeiz als den,
der erste Soldat der italienischen Unabhängigkeit zu sein." Zum Heere ab¬
reisend, das der lombardischen Grenze zuzog, hinterließ er die Instruction:
„Sorgt für meine Kinder und die vier österreichischen Fahnen, die mein Vater
1848 erobert hat; alles Andere ist Nichts dagegen; laßt mich die einen und
die anderen wiederfinden!"

In allen Schlachten und Gefechten von Montebello und Magenta bis
Solferino stand Victor Emanuel selbst an der Spitze seiner Truppen, indem
er ohne alle Rücksicht für seine Person sich den feindlichen Kugeln aussetzte.
Als ihn General Lamarmom zur Vorsicht mahnte, rief er ihm heftig zu: „Wenn
Sie sich fürchten, ziehen Sie sich zurück!" und zum Senator Plezzo sagte
er: „Ich könnte nicht den Muth haben, Tausende von Menschen in den Tod
zu schicken, zeigte ich nicht durch mein eignes Beispiel, daß die Sache, für die
wir kämpfen, werth ist, dafür zu sterben." In dem Gefechte von Palestro war
er fast von den Oesterreichern umzingelt. Der französische Fähnrich sällt dicht
neben ihm; die Zuaven und seine eigenen Soldaten stürzen ihm nach, um ihn
aus der Gefahr zu retten; da wendet er sich um und fragt: „Stehe ich euch
vielleicht im Wege? hier ist Ruhm genug für uns Alle zu ernten." Bei San
Martino, einer der Episoden der Schlacht von Solferino, begeisterte er durch
die magische Wirkung seiner Persönlichkeit, leuchtenden Auges unter dem Rufe
„Es lebe Italien!" an der Front vorübersprengend, seine Truppen zu Wundern
der Tapferkeit. Als er an der Spitze der Colonnen unter dem mörderischen
Feuer des Feindes, umrollt vom Donner und umzuckt von den Blitzen eines
furchtbaren Gewitters, zum letzten Sturm auf die von den Oesterreichern besetzten
Höhen schritt, rief er den Seinen zu: „Mir nach, Kinder, hier werden die Ge¬
schicke Italiens entschieden!"

Der Sieg war erkämpft; aber dem vordringenden Heere und den stolzen
Hoffnungen des Königs tönte ein plötzliches Halt! entgegen. Der deutsche Bund,
Preußen an der Spitze, drohte mit Krieg, wenn die Verbündeten den Mincio
überschritten. In Deutschland herrschte damals noch der alte Aberglaube, daß
man den Rhein am Mincio vertheidigen müsse, so klar auch Cavour bewiesen
hatte, daß diese Politik unser Vaterland der Gefahr aussetze, den Rhein selbst
zu verlieren. Vergeblich hatte Bismarck, schärfer blickend, von Petersburg aus
versucht, eine Verständigung Preußens mit Rußland, England und Piemont zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/65>, abgerufen am 25.08.2024.