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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ungeheuer: Legitimisten und Ultramontane waren entsetzt und tiefempört, wäh¬
rend die national- und liberalgesinnten Männer überallher dem kühnen Minister
Beifall riefen. Die edlen Republikaner Menin und Pallavicini gründeten den
italienischen Nationalverein, das unerreichte Vorbild der Deutschen, mit der
Devise: Unabhängigkeit, Einigung und Haus Savoyen, und Cavour konnte
mit seinem sich nie verleugnenden prophetischen Scharfblick verkünden: "In
drei Jahren werden wir einen tüchtigen Krieg haben!"

Die ganze Haltung Sardiniens von 1856--59 war eine ununterbrochene
moralische Kriegserklärung gegen Oesterreich und seine italienischen Vasallen.
Aber der König war in einer gefährlichen Lage zwischen dem bedrohten und
drohenden Nachbar und den dringend zur Mäßigung rathenden Westmächten.
Es kam bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Oesterreich, das
nur durch das Hrws s^o Frankreichs zurückgehalten wurde, seine Heere über
den Tessin zu werfen. Da platzte die todsprühende Bombe Felice Orsinis bei
der großen Oper in Paris. Der erschreckte Kaiser verlangte peremptorisch Re¬
pressivmaßregeln gegen die radikale Presse Sardiniens und drohte mit Ent¬
ziehung seiner Freundschaft. Doch gelang es dem Könige und Cavour bald,
ihn zu überzeugen, daß in Paris so lange die Attentate nicht aufhören würden,
als die Oesterreicher in Italien ständen. "Cavour hat Recht; man muß ihn
unterstützen", äußerte Napoleon zu seinen Vertrauten, und auf den Spazier¬
fahrten zu Plombieres im Juli 1858 wurde das geheime Bündniß zwischen
Frankreich und Sardinien und der Krieg gegen Oesterreich verabredet, dessen
Herannahen die bedeutungsschweren Worte Napoleons an den Baron Hübner
beim Neujahrsempfapge 1859 der erschreckten Welt verkündeten.

In der öffentlichen Meinung hatten die Lenker Sardiniens schon seit Jah¬
ren den Sieg über Oesterreich errungen. Aber heute wie in den Tagen des
großen Friedrich ist das Waffenglück auf Seiten der großen Bataillone. Des¬
halb war das Bündniß mit Frankreich nothwendig. Ungern verzichtete Victor
Emanuel auf das 1'Ils.lis. tarZ. as. so. Galt es doch für ihn persönlich, dem
Bündniß große Opfer zu bringen. Zunächst sollte er seine älteste und Lieblings¬
tochter, die 16 jährige Clotilde, mit Jerome Napoleon, dem rothen Prinzen,
vermählen. Das junge Mädchen folgte dem ungeliebten, wenig geachteten
Manne ohne Zaudern, mit dem erhebenden Bewußtsein, daß sie sich selbst dem
theuren Vaterlande zum Opfer bringe. Damit nicht genug: für den Fall, daß
der Kriegszweck, das "Frei bis zur Adria", erreicht würde, sollten Savoyen,
das Stammland der Dynastie, und Nizza an Frankreich abgetreten werden.

Der Vorfrühling 1859 war eine Zeit ängstlicher Spannung für die
Lenker Sardiniens. Die Großmächte bemühten sich aufs angelegentlichste
sür die Erhaltung des Friedens und des staw8 c^no. Schon war


ungeheuer: Legitimisten und Ultramontane waren entsetzt und tiefempört, wäh¬
rend die national- und liberalgesinnten Männer überallher dem kühnen Minister
Beifall riefen. Die edlen Republikaner Menin und Pallavicini gründeten den
italienischen Nationalverein, das unerreichte Vorbild der Deutschen, mit der
Devise: Unabhängigkeit, Einigung und Haus Savoyen, und Cavour konnte
mit seinem sich nie verleugnenden prophetischen Scharfblick verkünden: „In
drei Jahren werden wir einen tüchtigen Krieg haben!"

Die ganze Haltung Sardiniens von 1856—59 war eine ununterbrochene
moralische Kriegserklärung gegen Oesterreich und seine italienischen Vasallen.
Aber der König war in einer gefährlichen Lage zwischen dem bedrohten und
drohenden Nachbar und den dringend zur Mäßigung rathenden Westmächten.
Es kam bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Oesterreich, das
nur durch das Hrws s^o Frankreichs zurückgehalten wurde, seine Heere über
den Tessin zu werfen. Da platzte die todsprühende Bombe Felice Orsinis bei
der großen Oper in Paris. Der erschreckte Kaiser verlangte peremptorisch Re¬
pressivmaßregeln gegen die radikale Presse Sardiniens und drohte mit Ent¬
ziehung seiner Freundschaft. Doch gelang es dem Könige und Cavour bald,
ihn zu überzeugen, daß in Paris so lange die Attentate nicht aufhören würden,
als die Oesterreicher in Italien ständen. „Cavour hat Recht; man muß ihn
unterstützen", äußerte Napoleon zu seinen Vertrauten, und auf den Spazier¬
fahrten zu Plombieres im Juli 1858 wurde das geheime Bündniß zwischen
Frankreich und Sardinien und der Krieg gegen Oesterreich verabredet, dessen
Herannahen die bedeutungsschweren Worte Napoleons an den Baron Hübner
beim Neujahrsempfapge 1859 der erschreckten Welt verkündeten.

In der öffentlichen Meinung hatten die Lenker Sardiniens schon seit Jah¬
ren den Sieg über Oesterreich errungen. Aber heute wie in den Tagen des
großen Friedrich ist das Waffenglück auf Seiten der großen Bataillone. Des¬
halb war das Bündniß mit Frankreich nothwendig. Ungern verzichtete Victor
Emanuel auf das 1'Ils.lis. tarZ. as. so. Galt es doch für ihn persönlich, dem
Bündniß große Opfer zu bringen. Zunächst sollte er seine älteste und Lieblings¬
tochter, die 16 jährige Clotilde, mit Jerome Napoleon, dem rothen Prinzen,
vermählen. Das junge Mädchen folgte dem ungeliebten, wenig geachteten
Manne ohne Zaudern, mit dem erhebenden Bewußtsein, daß sie sich selbst dem
theuren Vaterlande zum Opfer bringe. Damit nicht genug: für den Fall, daß
der Kriegszweck, das „Frei bis zur Adria", erreicht würde, sollten Savoyen,
das Stammland der Dynastie, und Nizza an Frankreich abgetreten werden.

Der Vorfrühling 1859 war eine Zeit ängstlicher Spannung für die
Lenker Sardiniens. Die Großmächte bemühten sich aufs angelegentlichste
sür die Erhaltung des Friedens und des staw8 c^no. Schon war


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[0064] ungeheuer: Legitimisten und Ultramontane waren entsetzt und tiefempört, wäh¬ rend die national- und liberalgesinnten Männer überallher dem kühnen Minister Beifall riefen. Die edlen Republikaner Menin und Pallavicini gründeten den italienischen Nationalverein, das unerreichte Vorbild der Deutschen, mit der Devise: Unabhängigkeit, Einigung und Haus Savoyen, und Cavour konnte mit seinem sich nie verleugnenden prophetischen Scharfblick verkünden: „In drei Jahren werden wir einen tüchtigen Krieg haben!" Die ganze Haltung Sardiniens von 1856—59 war eine ununterbrochene moralische Kriegserklärung gegen Oesterreich und seine italienischen Vasallen. Aber der König war in einer gefährlichen Lage zwischen dem bedrohten und drohenden Nachbar und den dringend zur Mäßigung rathenden Westmächten. Es kam bis zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Oesterreich, das nur durch das Hrws s^o Frankreichs zurückgehalten wurde, seine Heere über den Tessin zu werfen. Da platzte die todsprühende Bombe Felice Orsinis bei der großen Oper in Paris. Der erschreckte Kaiser verlangte peremptorisch Re¬ pressivmaßregeln gegen die radikale Presse Sardiniens und drohte mit Ent¬ ziehung seiner Freundschaft. Doch gelang es dem Könige und Cavour bald, ihn zu überzeugen, daß in Paris so lange die Attentate nicht aufhören würden, als die Oesterreicher in Italien ständen. „Cavour hat Recht; man muß ihn unterstützen", äußerte Napoleon zu seinen Vertrauten, und auf den Spazier¬ fahrten zu Plombieres im Juli 1858 wurde das geheime Bündniß zwischen Frankreich und Sardinien und der Krieg gegen Oesterreich verabredet, dessen Herannahen die bedeutungsschweren Worte Napoleons an den Baron Hübner beim Neujahrsempfapge 1859 der erschreckten Welt verkündeten. In der öffentlichen Meinung hatten die Lenker Sardiniens schon seit Jah¬ ren den Sieg über Oesterreich errungen. Aber heute wie in den Tagen des großen Friedrich ist das Waffenglück auf Seiten der großen Bataillone. Des¬ halb war das Bündniß mit Frankreich nothwendig. Ungern verzichtete Victor Emanuel auf das 1'Ils.lis. tarZ. as. so. Galt es doch für ihn persönlich, dem Bündniß große Opfer zu bringen. Zunächst sollte er seine älteste und Lieblings¬ tochter, die 16 jährige Clotilde, mit Jerome Napoleon, dem rothen Prinzen, vermählen. Das junge Mädchen folgte dem ungeliebten, wenig geachteten Manne ohne Zaudern, mit dem erhebenden Bewußtsein, daß sie sich selbst dem theuren Vaterlande zum Opfer bringe. Damit nicht genug: für den Fall, daß der Kriegszweck, das „Frei bis zur Adria", erreicht würde, sollten Savoyen, das Stammland der Dynastie, und Nizza an Frankreich abgetreten werden. Der Vorfrühling 1859 war eine Zeit ängstlicher Spannung für die Lenker Sardiniens. Die Großmächte bemühten sich aufs angelegentlichste sür die Erhaltung des Friedens und des staw8 c^no. Schon war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/64>, abgerufen am 23.07.2024.