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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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bei Sommacampagna, Volta und dem schlachtenberühmten Custozza blieb nur
schleuniger Rückzug übrig, und ist es auch vielleicht zu viel behauptet, daß bei
Volta Victor Emanuel allein das'Heer vor der Vernichtung gerettet habe, so
bewies er doch hier jedenfalls eine Geistesgegenwart und Umsicht, wie sonst
nur ein auf den Schlachtfeldern ergrauter Feldherr.

Uuter den Flüchen und dem Steinhagel des wahnsinnigen mailändischen
Pöbels, der ihn vor wenigen Monaten wie einen Halbgott empfangen, hatte
Karl Albert nach dem Waffenstillstand vom 6. Angust den Tessin wieder über¬
schritten. Tief verdüstert durch seinen Mißerfolg wie durch das Benehmen des
undankbaren Volkes, das sein Unglück nach romanischer Weise als Verrath auf¬
faßte und ihn verwünschte, von allen Seiten gehetzt, des Regierens müde, be¬
schloß der König, sein Alles auf eine letzte Karte zu setzen. Dem hoffnungs¬
losen Kriege machte der 22. März 1849 auf den blutigen Feldern von Novara
ein rasches Ende. Vergeblich hatte Karl Albert in den vordersten Reihen den
Tod auf dem Schlachtfelde gesucht. Da fand in dem Palazzo Bellini zu Novara
eine ergreifende Scene statt. Der König legte die Hände segnend auf das
Haupt des vor ihm knieenden ältesten Sohnes, proclamirte ihn als König
Victor Emanuel II. und eilte hinweg, Schmach und Grau: im fernen Portugal
zu begraben, wo ihn Kummer und Krankheit nach wenig Monaten hinweg-
rafsten. 'Victor Emanuel hat selbst erzählt, daß er früher mit Einwilligung
des Vaters, beschlossen habe, auf sein Thronfolgerecht zu Gunsten des jüngeren
Bruders zu verzichten, weil er das Königshandwerk für ein hartes und lustiges
hielt, eine Auffassung, der wir auch später noch öfters bei ihm begegnen. In
diesen: feierlichen und verhängnißvollen Augenblicke aber erkannte er in der
Annahme der schwer gefährdeten Königskrone eine heilige Pflicht, deren Erfül¬
lung seine Stellung gebieterisch forderte.

Am folgenden Morgen sprengte ein junger Mann in grünem, reichverzier¬
ten Attila mit weißen wallenden Federn auf dem Hute, begleitet von zwei
piemontesischen Generalen und einer berittenen Escorte, dem Meierhofe zu, wo
Radetzky sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Ein heftiger Streit erhob sich
zwischen dem neuen Könige und dem österreichischen Feldherrn. Der Letztere
hatte Bedingungen gestellt, die der Erstere als schimpflich und unannehmbar be¬
zeichnete: die Auslieferung der zu den Piemontesen übergetretenen Lombarden,
die Ratification der Friedenspräliminarien ohne vorherige Befragung der Kam¬
mern, endlich die Aufhebung der Verfassung des Königreichs. Victor Emanuel
erklärte, lieber wolle er die Sturmglocken im ganzen Lande läuten, sein Volk
unter die Waffen rufen und kämpfend sterben. "Ich werde halten, was mein
Vater beschworen hat. Unser Geschlecht kennt den Weg der Verbannung, aber


bei Sommacampagna, Volta und dem schlachtenberühmten Custozza blieb nur
schleuniger Rückzug übrig, und ist es auch vielleicht zu viel behauptet, daß bei
Volta Victor Emanuel allein das'Heer vor der Vernichtung gerettet habe, so
bewies er doch hier jedenfalls eine Geistesgegenwart und Umsicht, wie sonst
nur ein auf den Schlachtfeldern ergrauter Feldherr.

Uuter den Flüchen und dem Steinhagel des wahnsinnigen mailändischen
Pöbels, der ihn vor wenigen Monaten wie einen Halbgott empfangen, hatte
Karl Albert nach dem Waffenstillstand vom 6. Angust den Tessin wieder über¬
schritten. Tief verdüstert durch seinen Mißerfolg wie durch das Benehmen des
undankbaren Volkes, das sein Unglück nach romanischer Weise als Verrath auf¬
faßte und ihn verwünschte, von allen Seiten gehetzt, des Regierens müde, be¬
schloß der König, sein Alles auf eine letzte Karte zu setzen. Dem hoffnungs¬
losen Kriege machte der 22. März 1849 auf den blutigen Feldern von Novara
ein rasches Ende. Vergeblich hatte Karl Albert in den vordersten Reihen den
Tod auf dem Schlachtfelde gesucht. Da fand in dem Palazzo Bellini zu Novara
eine ergreifende Scene statt. Der König legte die Hände segnend auf das
Haupt des vor ihm knieenden ältesten Sohnes, proclamirte ihn als König
Victor Emanuel II. und eilte hinweg, Schmach und Grau: im fernen Portugal
zu begraben, wo ihn Kummer und Krankheit nach wenig Monaten hinweg-
rafsten. 'Victor Emanuel hat selbst erzählt, daß er früher mit Einwilligung
des Vaters, beschlossen habe, auf sein Thronfolgerecht zu Gunsten des jüngeren
Bruders zu verzichten, weil er das Königshandwerk für ein hartes und lustiges
hielt, eine Auffassung, der wir auch später noch öfters bei ihm begegnen. In
diesen: feierlichen und verhängnißvollen Augenblicke aber erkannte er in der
Annahme der schwer gefährdeten Königskrone eine heilige Pflicht, deren Erfül¬
lung seine Stellung gebieterisch forderte.

Am folgenden Morgen sprengte ein junger Mann in grünem, reichverzier¬
ten Attila mit weißen wallenden Federn auf dem Hute, begleitet von zwei
piemontesischen Generalen und einer berittenen Escorte, dem Meierhofe zu, wo
Radetzky sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Ein heftiger Streit erhob sich
zwischen dem neuen Könige und dem österreichischen Feldherrn. Der Letztere
hatte Bedingungen gestellt, die der Erstere als schimpflich und unannehmbar be¬
zeichnete: die Auslieferung der zu den Piemontesen übergetretenen Lombarden,
die Ratification der Friedenspräliminarien ohne vorherige Befragung der Kam¬
mern, endlich die Aufhebung der Verfassung des Königreichs. Victor Emanuel
erklärte, lieber wolle er die Sturmglocken im ganzen Lande läuten, sein Volk
unter die Waffen rufen und kämpfend sterben. „Ich werde halten, was mein
Vater beschworen hat. Unser Geschlecht kennt den Weg der Verbannung, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/60>, abgerufen am 23.07.2024.