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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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den landesherrlichen Schutz mußte derselbe deutsch lesen und schreiben können
ein Zeugniß über bisheriges Wohlverhalten beibringen und, je nachdem er Aus¬
länder oder Sohn eines inländischen Schutzjuden war, ein Vermögen von 10 WO
oder 8000 Gulden nachweisen. Die jüdischen Staatsbürger waren im Wesent¬
lichen den christlichen gleichgestellt, doch war jenen der Erwerb von Grundstücken
nur in öffentlicher Versteigerung oder ausnahmsweise durch Verkauf aus freier
Hand gestattet, wenn durch Abschätzung ermittelt worden, daß der Verkäufer
dabei nicht Schaden leide, ferner bei Häusern nur, wenn der Jude eines solchen
bedürfte, und bei Landgütern, wenn er sie selbst oder durch seine Familie be¬
wirthschaftete.

In Braunschweig stand nach Aushebung der westfälischen Gesetzgebung und
Wiederherstellung der alten nicht fest, ob die Juden Staats- und Gemeiude-
bürgerrechte besaßen. Sie galten für militärpflichtig, Staats- und Gemeinde¬
ämter aber waren ihnen nicht zugänglich. Ihr Gewerbebetrieb war unbeschränkt,
dagegen bedurften sie zum Erwerb von Grundeigenthum und anderweiter Ver¬
äußerung desselben an ihre Stamm- und Glaubensgenossen specieller Erlaubniß.
Die Ehe mit Christen war ihnen verboten, doch wurde dies Verbot sowie jede
Rechtsungleichheit, die sich an das Glaubensbekenntniß knüpfte, kurz vor 1848
beseitigt.

Im Herzogthum Meiningen-Hildburghausen galten die 1811 dort ansässig
gewesenen Juden und deren Kinder bis 1848 als Staatsunterthanen, doch hatte
die Gemeinde zu entscheiden, wenn sie an einem Orte das Bürgerrecht erwerben
wollten. Sie waren militärpflichtig, durften aber nicht in das Leibregiment
eintreten. Im Ankauf von Grundstücken sowie im Gewerbebetrieb waren sie
unbeschränkt, doch durften sie Landgüter nur mit jüdischem Gesinde bewirth¬
schaften. Ein Schutzgeld hatten nur Schacher- und Müklerjuden zu entrichten,
die auch keinen Heirathsconsens erhielten. Ohne letzteren durfte aus den übrigen
jüdischen Familien immer nnr ein Sohn sich verehelichen, die andern bekamen
die nothwendige Erlaubniß lediglich dann, wenn sie sich der Wissenschaft oder
Kunst, einem Handwerke oder der Landwirthschaft widmeten oder um Tagelohn
arbeiteten. Die Juden, welche ein Handelsgeschäft errichten wollten, mußten
ein hinreichendes Vermögen und die Befähigung, ein Handelsbuch in deutscher
Sprache zu führen, nachweisen. Im Hildburghausenschen kamen dazu noch
folgende Bestimmungen: Fremde Juden können das Staatsbürgerrecht erlangen,
wenn sie in der Residenz neue Häuser bauen oder besonders nützliche Gewerbe
ins Land bringen. Dieses Recht geht jedoch nicht auf die Kinder über, wohl
aber das Ortsbürgerrecht, wenn solche das volle Unterthanenrecht gewinnen.
Die übrigen Juden sind bloße Schutzgenossen. Letztere dürfen keine Immobilien
erwerben, genießen die Freizügigkeit nicht und können kein bürgerliches Gewerbe


den landesherrlichen Schutz mußte derselbe deutsch lesen und schreiben können
ein Zeugniß über bisheriges Wohlverhalten beibringen und, je nachdem er Aus¬
länder oder Sohn eines inländischen Schutzjuden war, ein Vermögen von 10 WO
oder 8000 Gulden nachweisen. Die jüdischen Staatsbürger waren im Wesent¬
lichen den christlichen gleichgestellt, doch war jenen der Erwerb von Grundstücken
nur in öffentlicher Versteigerung oder ausnahmsweise durch Verkauf aus freier
Hand gestattet, wenn durch Abschätzung ermittelt worden, daß der Verkäufer
dabei nicht Schaden leide, ferner bei Häusern nur, wenn der Jude eines solchen
bedürfte, und bei Landgütern, wenn er sie selbst oder durch seine Familie be¬
wirthschaftete.

In Braunschweig stand nach Aushebung der westfälischen Gesetzgebung und
Wiederherstellung der alten nicht fest, ob die Juden Staats- und Gemeiude-
bürgerrechte besaßen. Sie galten für militärpflichtig, Staats- und Gemeinde¬
ämter aber waren ihnen nicht zugänglich. Ihr Gewerbebetrieb war unbeschränkt,
dagegen bedurften sie zum Erwerb von Grundeigenthum und anderweiter Ver¬
äußerung desselben an ihre Stamm- und Glaubensgenossen specieller Erlaubniß.
Die Ehe mit Christen war ihnen verboten, doch wurde dies Verbot sowie jede
Rechtsungleichheit, die sich an das Glaubensbekenntniß knüpfte, kurz vor 1848
beseitigt.

Im Herzogthum Meiningen-Hildburghausen galten die 1811 dort ansässig
gewesenen Juden und deren Kinder bis 1848 als Staatsunterthanen, doch hatte
die Gemeinde zu entscheiden, wenn sie an einem Orte das Bürgerrecht erwerben
wollten. Sie waren militärpflichtig, durften aber nicht in das Leibregiment
eintreten. Im Ankauf von Grundstücken sowie im Gewerbebetrieb waren sie
unbeschränkt, doch durften sie Landgüter nur mit jüdischem Gesinde bewirth¬
schaften. Ein Schutzgeld hatten nur Schacher- und Müklerjuden zu entrichten,
die auch keinen Heirathsconsens erhielten. Ohne letzteren durfte aus den übrigen
jüdischen Familien immer nnr ein Sohn sich verehelichen, die andern bekamen
die nothwendige Erlaubniß lediglich dann, wenn sie sich der Wissenschaft oder
Kunst, einem Handwerke oder der Landwirthschaft widmeten oder um Tagelohn
arbeiteten. Die Juden, welche ein Handelsgeschäft errichten wollten, mußten
ein hinreichendes Vermögen und die Befähigung, ein Handelsbuch in deutscher
Sprache zu führen, nachweisen. Im Hildburghausenschen kamen dazu noch
folgende Bestimmungen: Fremde Juden können das Staatsbürgerrecht erlangen,
wenn sie in der Residenz neue Häuser bauen oder besonders nützliche Gewerbe
ins Land bringen. Dieses Recht geht jedoch nicht auf die Kinder über, wohl
aber das Ortsbürgerrecht, wenn solche das volle Unterthanenrecht gewinnen.
Die übrigen Juden sind bloße Schutzgenossen. Letztere dürfen keine Immobilien
erwerben, genießen die Freizügigkeit nicht und können kein bürgerliches Gewerbe


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[0562] den landesherrlichen Schutz mußte derselbe deutsch lesen und schreiben können ein Zeugniß über bisheriges Wohlverhalten beibringen und, je nachdem er Aus¬ länder oder Sohn eines inländischen Schutzjuden war, ein Vermögen von 10 WO oder 8000 Gulden nachweisen. Die jüdischen Staatsbürger waren im Wesent¬ lichen den christlichen gleichgestellt, doch war jenen der Erwerb von Grundstücken nur in öffentlicher Versteigerung oder ausnahmsweise durch Verkauf aus freier Hand gestattet, wenn durch Abschätzung ermittelt worden, daß der Verkäufer dabei nicht Schaden leide, ferner bei Häusern nur, wenn der Jude eines solchen bedürfte, und bei Landgütern, wenn er sie selbst oder durch seine Familie be¬ wirthschaftete. In Braunschweig stand nach Aushebung der westfälischen Gesetzgebung und Wiederherstellung der alten nicht fest, ob die Juden Staats- und Gemeiude- bürgerrechte besaßen. Sie galten für militärpflichtig, Staats- und Gemeinde¬ ämter aber waren ihnen nicht zugänglich. Ihr Gewerbebetrieb war unbeschränkt, dagegen bedurften sie zum Erwerb von Grundeigenthum und anderweiter Ver¬ äußerung desselben an ihre Stamm- und Glaubensgenossen specieller Erlaubniß. Die Ehe mit Christen war ihnen verboten, doch wurde dies Verbot sowie jede Rechtsungleichheit, die sich an das Glaubensbekenntniß knüpfte, kurz vor 1848 beseitigt. Im Herzogthum Meiningen-Hildburghausen galten die 1811 dort ansässig gewesenen Juden und deren Kinder bis 1848 als Staatsunterthanen, doch hatte die Gemeinde zu entscheiden, wenn sie an einem Orte das Bürgerrecht erwerben wollten. Sie waren militärpflichtig, durften aber nicht in das Leibregiment eintreten. Im Ankauf von Grundstücken sowie im Gewerbebetrieb waren sie unbeschränkt, doch durften sie Landgüter nur mit jüdischem Gesinde bewirth¬ schaften. Ein Schutzgeld hatten nur Schacher- und Müklerjuden zu entrichten, die auch keinen Heirathsconsens erhielten. Ohne letzteren durfte aus den übrigen jüdischen Familien immer nnr ein Sohn sich verehelichen, die andern bekamen die nothwendige Erlaubniß lediglich dann, wenn sie sich der Wissenschaft oder Kunst, einem Handwerke oder der Landwirthschaft widmeten oder um Tagelohn arbeiteten. Die Juden, welche ein Handelsgeschäft errichten wollten, mußten ein hinreichendes Vermögen und die Befähigung, ein Handelsbuch in deutscher Sprache zu führen, nachweisen. Im Hildburghausenschen kamen dazu noch folgende Bestimmungen: Fremde Juden können das Staatsbürgerrecht erlangen, wenn sie in der Residenz neue Häuser bauen oder besonders nützliche Gewerbe ins Land bringen. Dieses Recht geht jedoch nicht auf die Kinder über, wohl aber das Ortsbürgerrecht, wenn solche das volle Unterthanenrecht gewinnen. Die übrigen Juden sind bloße Schutzgenossen. Letztere dürfen keine Immobilien erwerben, genießen die Freizügigkeit nicht und können kein bürgerliches Gewerbe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/562>, abgerufen am 23.07.2024.