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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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richtsobrigkeit einer der Parteien oder von dem Gerichte des Contractes bestätigt
sind. Aus einem Vertrage gegen diese Bestimmungen hat der Jude weder Klage
noch Einrede; nur das, was er aus einem solchen erweislich gegeben, kann er
zurückfordern. Zum Beweise der Hingabe und des Werthes sind schriftliche
Bekenntnisse der Empfänger und jüdische Zeugen keine zulässigen Mittel. Ueber¬
haupt ist es dem Richter überlassen, den Werth eines jüdischen Zeugnisses nach
den Umständen zu ermessen."

Weit weniger günstig, weil mit größerer Behutsamkeit, wurden die Ver¬
hältnisse der Juden 1838 und 1840 in Sachsen und 1842 in Hannover neu¬
geordnet. In Sachsen waren sie bis 1848 nur geduldet, hatten also weder
Staats- noch Ortsbürgerrecht. Staats- oder Gemeindeämter durften sie nicht
bekleiden, und bleibender Aufenthalt war ihnen nur in Dresden und Leipzig
gestattet, wobei zur Niederlassung auswärtiger und zur Uebersiedelung inländi¬
scher Juden eine Genehmigung des Ministeriums des Innern beizubringen war,
die erst nach Zustimmung der Obrigkeit und der Gemeindevertreter ertheilt
wurde. Nur ein Jude, der einen selbständigen Haushalt führte, durfte in Dresden
oder Leipzig, seinem Wohnorte, unbewegliches Eigenthum erwerben, aber nur
ein Grundstück, auch konnte er dasselbe erst nach Ablauf von zehn Jahren frei¬
willig wieder veräußern. Pfandrechte an Immobilien durften Juden zwar
erwerben, sie konnten aber nicht in den Besitz der verhafteten Grundstücke ge¬
setzt werden. Untersagt war ihnen der Klein- und Ausschnitthaudel, das Halten
von Apotheken, die Gast- und Schenkwirthschaft, die Branntweinbrennerei und
der Trödel. Zum Betriebe des Großhandels und des Speditionsgeschäfts war
ministerielle Bewilligung nöthig. Zünstige Gewerbe durften die Juden zwar
betreiben, dabei konnten sie aber nur jüdische Lehrlinge halten und nur selbstge¬
fertigte Waaren verkaufen. Wollte ein inländischer Jsraelit eine auswärtige
Glaubensgenossin heirathen (Misch-Ehen mit Christen waren unzulässig), so war
ein besonderer Heirathsconsens erforderlich.

Das hannoversche Judengesetz von 1842 hob das alte Schutzverhältniß der
Juden auf, verlieh ihnen aber keine politischen Rechte. Zu selbständiger Nieder¬
lassung bedurften sie obrigkeitlicher Erlaubniß und Einwilligung der betreffenden
Gemeinde. Ausländischen Jsraeliten wird, so hieß es in dem Gesetze weiter,
die Niederlassung nur mit Ministerial-Genehmigung gestattet, die auch zur Ver¬
änderung des Wohnortes innerhalb des Königreichs nothwendig ist. "Von
Staats- und Gemeindeämtern sind die Juden ausgeschlossen. Dem Erwerbe
von Grundstücken durch sie muß die Erlaubniß der Regierung dazu vorausgehen.
Zum Detailhandel wird von mehreren Söhnen eines Juden in der Regel nur
einer zugelassen, auch dürfen die an einem Orte befindlichen jüdischen Detail¬
geschäfte nnr nach Anhörung der Gemeinde vermehrt werden. Der Nothhandel


richtsobrigkeit einer der Parteien oder von dem Gerichte des Contractes bestätigt
sind. Aus einem Vertrage gegen diese Bestimmungen hat der Jude weder Klage
noch Einrede; nur das, was er aus einem solchen erweislich gegeben, kann er
zurückfordern. Zum Beweise der Hingabe und des Werthes sind schriftliche
Bekenntnisse der Empfänger und jüdische Zeugen keine zulässigen Mittel. Ueber¬
haupt ist es dem Richter überlassen, den Werth eines jüdischen Zeugnisses nach
den Umständen zu ermessen."

Weit weniger günstig, weil mit größerer Behutsamkeit, wurden die Ver¬
hältnisse der Juden 1838 und 1840 in Sachsen und 1842 in Hannover neu¬
geordnet. In Sachsen waren sie bis 1848 nur geduldet, hatten also weder
Staats- noch Ortsbürgerrecht. Staats- oder Gemeindeämter durften sie nicht
bekleiden, und bleibender Aufenthalt war ihnen nur in Dresden und Leipzig
gestattet, wobei zur Niederlassung auswärtiger und zur Uebersiedelung inländi¬
scher Juden eine Genehmigung des Ministeriums des Innern beizubringen war,
die erst nach Zustimmung der Obrigkeit und der Gemeindevertreter ertheilt
wurde. Nur ein Jude, der einen selbständigen Haushalt führte, durfte in Dresden
oder Leipzig, seinem Wohnorte, unbewegliches Eigenthum erwerben, aber nur
ein Grundstück, auch konnte er dasselbe erst nach Ablauf von zehn Jahren frei¬
willig wieder veräußern. Pfandrechte an Immobilien durften Juden zwar
erwerben, sie konnten aber nicht in den Besitz der verhafteten Grundstücke ge¬
setzt werden. Untersagt war ihnen der Klein- und Ausschnitthaudel, das Halten
von Apotheken, die Gast- und Schenkwirthschaft, die Branntweinbrennerei und
der Trödel. Zum Betriebe des Großhandels und des Speditionsgeschäfts war
ministerielle Bewilligung nöthig. Zünstige Gewerbe durften die Juden zwar
betreiben, dabei konnten sie aber nur jüdische Lehrlinge halten und nur selbstge¬
fertigte Waaren verkaufen. Wollte ein inländischer Jsraelit eine auswärtige
Glaubensgenossin heirathen (Misch-Ehen mit Christen waren unzulässig), so war
ein besonderer Heirathsconsens erforderlich.

Das hannoversche Judengesetz von 1842 hob das alte Schutzverhältniß der
Juden auf, verlieh ihnen aber keine politischen Rechte. Zu selbständiger Nieder¬
lassung bedurften sie obrigkeitlicher Erlaubniß und Einwilligung der betreffenden
Gemeinde. Ausländischen Jsraeliten wird, so hieß es in dem Gesetze weiter,
die Niederlassung nur mit Ministerial-Genehmigung gestattet, die auch zur Ver¬
änderung des Wohnortes innerhalb des Königreichs nothwendig ist. „Von
Staats- und Gemeindeämtern sind die Juden ausgeschlossen. Dem Erwerbe
von Grundstücken durch sie muß die Erlaubniß der Regierung dazu vorausgehen.
Zum Detailhandel wird von mehreren Söhnen eines Juden in der Regel nur
einer zugelassen, auch dürfen die an einem Orte befindlichen jüdischen Detail¬
geschäfte nnr nach Anhörung der Gemeinde vermehrt werden. Der Nothhandel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/559>, abgerufen am 23.07.2024.