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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Elements von den alten oder ihm neu wieder angelegten Fesseln. Doch verfuhr
man immerhin dabei meist noch mit Behutsamkeit. So zuerst in den Jahren
1823 bis 1828 in Würtemberg, wo die Regierung mit den Ständen ein Gesetz
vereinbarte, welches zwar von der Nachgiebigkeit gegen "humane" Zeitforde-
rungeu aber auch von der Vorsicht eingegeben war. Nach demselben waren
die im Lande einheimischen Juden principiell Staatsbürger. Das Schutz-
verlMniß mit seinen Abgaben hatte aufgehört. Ein besonderes Privatrecht
für die Juden gab es nicht mehr, die alten Beschränkungen derselben in
der Wahl eiues Berufs waren beseitigt. Sie konnten sogar Staatsbeamte
werden, sie waren in gleichem Grade zeugnißfähig wie die deutschen Be¬
wohner des Königreiches, sie waren diesen auch hinsichtlich der Erlaubniß
zum Aufenthalt an dein oder jenem Punkte des Landes und bezüglich der
Erwerbung des Ortsbürgerrechts gleichgestellt. Doch hatte die Regel ihre Aus¬
nahmen und Beschränkungen. Die Juden durften nur das ortsbürgerliche, nicht
aber zugleich das staatsbürgerliche Wahlrecht ausüben. Sie durften sich ferner
nur mit Erlaubniß des Gemeinderaths in einer fremden Gemeinde aufhalten.
Ferner konnten sie eine Gemeinde nur dann nöthigen, sie aufzunehmen, wenn
sie sich wenigstens zehn Jahre lang zum Betriebe des Feldbaues oder eines Hand¬
werks gewerbsmäßig vorbereitet hatten und diesen Erwerbszweigen allein sich
zu widmen versprachen. Jüdische Bäcker, Schneider und Fleischer konnten sich
nur an Orten ansiedeln, wo amtlich erklärt war, daß diese Gewerbe noch nicht
übersetzt seien. Wirklicher Bürger einer Gemeinde wurde der Aufgenommene
erst, nachdem er sein Gewerbe daselbst zehn Jahre lang der Ordnung gemäß
betrieben. Die Zahl der bei Erlaß des Gesetzes bestehenden jüdischen Detail¬
handlungen konnte uur mit Bewilligung des betreffenden Gemeinderathes ver¬
mehrt, ein Jude nur nach sich eiljähriger Vorbereitung in einem kaufmännischen
Geschäft oder durch Staatsprüfung in die Kaufmanns - Innung aufgenommen
werden. Der zünftige jüdische Handwerker darf, so besagte das Gesetz weiter,
mit fremden Fabrikaten seines Gewerbes nur so lange handeln, als er letzteres
selbst betreibt. Vom Güterhandel sind die Juden ausgeschlossen. Sie müsse"
ein Grundstück drei Jahre lang bewirthschaftet haben, ehe sie es verkaufen dürfen.
Mäklergeschäfte bei Güterverkäufen oder Allodisieativnen bei Falllehen sind ihnen
bei Strafe verboten. Die mit einem Gute verbundenen Patronats-, Gerichts-
barkeits- und Polizeirechte ruhen, so lange es sich in den Händen eines Juden
befindet. Die Jsraeliten habe" mit obrigkeitlicher Genehmigung bestimmte
Familiennamen anzunehmen, sie bedürfen zur Schließung einer Ehe der Erlaubniß
des Bezirksamts, Verheiratungen zwischen ihnen und Christen sind uustatthnft,
die Juden müssen sich in allen geschäftlichen Beziehungen, bei der Führung
ihrer Handelsbücher, bei Rechnungen u. tgi. ausschließlich der deutschen Sprache


Elements von den alten oder ihm neu wieder angelegten Fesseln. Doch verfuhr
man immerhin dabei meist noch mit Behutsamkeit. So zuerst in den Jahren
1823 bis 1828 in Würtemberg, wo die Regierung mit den Ständen ein Gesetz
vereinbarte, welches zwar von der Nachgiebigkeit gegen „humane" Zeitforde-
rungeu aber auch von der Vorsicht eingegeben war. Nach demselben waren
die im Lande einheimischen Juden principiell Staatsbürger. Das Schutz-
verlMniß mit seinen Abgaben hatte aufgehört. Ein besonderes Privatrecht
für die Juden gab es nicht mehr, die alten Beschränkungen derselben in
der Wahl eiues Berufs waren beseitigt. Sie konnten sogar Staatsbeamte
werden, sie waren in gleichem Grade zeugnißfähig wie die deutschen Be¬
wohner des Königreiches, sie waren diesen auch hinsichtlich der Erlaubniß
zum Aufenthalt an dein oder jenem Punkte des Landes und bezüglich der
Erwerbung des Ortsbürgerrechts gleichgestellt. Doch hatte die Regel ihre Aus¬
nahmen und Beschränkungen. Die Juden durften nur das ortsbürgerliche, nicht
aber zugleich das staatsbürgerliche Wahlrecht ausüben. Sie durften sich ferner
nur mit Erlaubniß des Gemeinderaths in einer fremden Gemeinde aufhalten.
Ferner konnten sie eine Gemeinde nur dann nöthigen, sie aufzunehmen, wenn
sie sich wenigstens zehn Jahre lang zum Betriebe des Feldbaues oder eines Hand¬
werks gewerbsmäßig vorbereitet hatten und diesen Erwerbszweigen allein sich
zu widmen versprachen. Jüdische Bäcker, Schneider und Fleischer konnten sich
nur an Orten ansiedeln, wo amtlich erklärt war, daß diese Gewerbe noch nicht
übersetzt seien. Wirklicher Bürger einer Gemeinde wurde der Aufgenommene
erst, nachdem er sein Gewerbe daselbst zehn Jahre lang der Ordnung gemäß
betrieben. Die Zahl der bei Erlaß des Gesetzes bestehenden jüdischen Detail¬
handlungen konnte uur mit Bewilligung des betreffenden Gemeinderathes ver¬
mehrt, ein Jude nur nach sich eiljähriger Vorbereitung in einem kaufmännischen
Geschäft oder durch Staatsprüfung in die Kaufmanns - Innung aufgenommen
werden. Der zünftige jüdische Handwerker darf, so besagte das Gesetz weiter,
mit fremden Fabrikaten seines Gewerbes nur so lange handeln, als er letzteres
selbst betreibt. Vom Güterhandel sind die Juden ausgeschlossen. Sie müsse»
ein Grundstück drei Jahre lang bewirthschaftet haben, ehe sie es verkaufen dürfen.
Mäklergeschäfte bei Güterverkäufen oder Allodisieativnen bei Falllehen sind ihnen
bei Strafe verboten. Die mit einem Gute verbundenen Patronats-, Gerichts-
barkeits- und Polizeirechte ruhen, so lange es sich in den Händen eines Juden
befindet. Die Jsraeliten habe« mit obrigkeitlicher Genehmigung bestimmte
Familiennamen anzunehmen, sie bedürfen zur Schließung einer Ehe der Erlaubniß
des Bezirksamts, Verheiratungen zwischen ihnen und Christen sind uustatthnft,
die Juden müssen sich in allen geschäftlichen Beziehungen, bei der Führung
ihrer Handelsbücher, bei Rechnungen u. tgi. ausschließlich der deutschen Sprache


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[0557] Elements von den alten oder ihm neu wieder angelegten Fesseln. Doch verfuhr man immerhin dabei meist noch mit Behutsamkeit. So zuerst in den Jahren 1823 bis 1828 in Würtemberg, wo die Regierung mit den Ständen ein Gesetz vereinbarte, welches zwar von der Nachgiebigkeit gegen „humane" Zeitforde- rungeu aber auch von der Vorsicht eingegeben war. Nach demselben waren die im Lande einheimischen Juden principiell Staatsbürger. Das Schutz- verlMniß mit seinen Abgaben hatte aufgehört. Ein besonderes Privatrecht für die Juden gab es nicht mehr, die alten Beschränkungen derselben in der Wahl eiues Berufs waren beseitigt. Sie konnten sogar Staatsbeamte werden, sie waren in gleichem Grade zeugnißfähig wie die deutschen Be¬ wohner des Königreiches, sie waren diesen auch hinsichtlich der Erlaubniß zum Aufenthalt an dein oder jenem Punkte des Landes und bezüglich der Erwerbung des Ortsbürgerrechts gleichgestellt. Doch hatte die Regel ihre Aus¬ nahmen und Beschränkungen. Die Juden durften nur das ortsbürgerliche, nicht aber zugleich das staatsbürgerliche Wahlrecht ausüben. Sie durften sich ferner nur mit Erlaubniß des Gemeinderaths in einer fremden Gemeinde aufhalten. Ferner konnten sie eine Gemeinde nur dann nöthigen, sie aufzunehmen, wenn sie sich wenigstens zehn Jahre lang zum Betriebe des Feldbaues oder eines Hand¬ werks gewerbsmäßig vorbereitet hatten und diesen Erwerbszweigen allein sich zu widmen versprachen. Jüdische Bäcker, Schneider und Fleischer konnten sich nur an Orten ansiedeln, wo amtlich erklärt war, daß diese Gewerbe noch nicht übersetzt seien. Wirklicher Bürger einer Gemeinde wurde der Aufgenommene erst, nachdem er sein Gewerbe daselbst zehn Jahre lang der Ordnung gemäß betrieben. Die Zahl der bei Erlaß des Gesetzes bestehenden jüdischen Detail¬ handlungen konnte uur mit Bewilligung des betreffenden Gemeinderathes ver¬ mehrt, ein Jude nur nach sich eiljähriger Vorbereitung in einem kaufmännischen Geschäft oder durch Staatsprüfung in die Kaufmanns - Innung aufgenommen werden. Der zünftige jüdische Handwerker darf, so besagte das Gesetz weiter, mit fremden Fabrikaten seines Gewerbes nur so lange handeln, als er letzteres selbst betreibt. Vom Güterhandel sind die Juden ausgeschlossen. Sie müsse» ein Grundstück drei Jahre lang bewirthschaftet haben, ehe sie es verkaufen dürfen. Mäklergeschäfte bei Güterverkäufen oder Allodisieativnen bei Falllehen sind ihnen bei Strafe verboten. Die mit einem Gute verbundenen Patronats-, Gerichts- barkeits- und Polizeirechte ruhen, so lange es sich in den Händen eines Juden befindet. Die Jsraeliten habe« mit obrigkeitlicher Genehmigung bestimmte Familiennamen anzunehmen, sie bedürfen zur Schließung einer Ehe der Erlaubniß des Bezirksamts, Verheiratungen zwischen ihnen und Christen sind uustatthnft, die Juden müssen sich in allen geschäftlichen Beziehungen, bei der Führung ihrer Handelsbücher, bei Rechnungen u. tgi. ausschließlich der deutschen Sprache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/557>, abgerufen am 25.08.2024.