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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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borgene Funken zu wecken, als auch, ob wir uns dahin wenden, wo wir berei¬
chernde Selbstoffenbarungen erwarten dürfen. Wie in der Natur so in der
Menschenwelt zeigen sich uns mannigfaltige Abstufungen nach dem Grade des
Werthes, und wie große Unterschiede stellen sich uns dar, wenn wir auf das
Handeln der Menschen achten! Die einen fühlen sich da angezogen und ent¬
decken Fundgruben für den erkennenden Geist, wo andere stumpf vorübergehen.

Aber unser Erkennen und Handeln, sind sie Thätigkeiten, die vollzogen nur
im Gedächtniß ihre Spuren zurücklassen, ist das Gedächtniß die einzige Stätte
in der unsichtbaren Welt unseres Geisteslebens, in der, was den Inhalt unseres
Thuns bildet, aufbewahrt wird und bleibt? Dann dürften wir mit Recht
fragen, welchen Gewinn trägt unsere Arbeit uns selbst, welchen Werth dürfen
wir ihr zuerkennen? Und wir dürften mit Fug auf diese Frage antworten:
Der Gewinn ist klein und der Werth gering. Nur was unserm inneren Leben
einen Genuß gewährt, was ihm Freude und Lust bereitet, das ist ein unseres
Schaffens würdiges Ziel. Darf diese Lust auch nie das Motiv unserer Thätig¬
keit bilden, so ist es doch unser Recht, sie als ein derselben zufallendes Erbe
zu erwarten. Und die Kraft unseres Inneren, sie zu erfahren, aus unserem
Erkennen und Handeln Elemente der Freude und der Erfrischung zu schöpfen,
es mit Anschauungen, die unser Gefühl beseligend begleiten, zu erfüllen, es ist
das Gemüth. Hier ist der Ort, wo unser Thun sich vollendet, wo seine Er¬
träge zu fester Gestaltung, zu dauerndem Sein sich sammeln. Aber hier ist auch
der Ort, von dem neue Antriebe zur Thätigkeit ausgehen, wo die innere Frische
uns zufließt zu fortschreitender Arbeit des Denkens und Handelns. Denn ohne
das Gefühl der Befriedigung würde diesem wie jenem die Kraft erlahmen. Ja
auch dies dürfen wir behaupten, daß das Maß der Befriedigung, das uns hier
bereitet wird, daß die Unlust, die wir hier spüren, einen Maßstab, ein Kenn¬
zeichen für uns sein dürfen, ob wir einen Irrweg beschritten haben. In dem
Bewußtsein dieses Zusammenhanges zwischen Lust und Unlust auf der einen,
Richtung und Inhalt unseres Thuns auf der anderen Seite wurzelt unser Ge¬
wissen. Das Gemüth ist seine Stätte.

Aber noch unter einem anderen Gesichtspunkte müssen wir das Gemüth
betrachten. Es ist nicht bloß der Quell unseres Friedens und Unfriedens, in
den unser Thun zurückfließt, aus dem es hervordringt, es ist zugleich der Ur-
spruugspunkt einer eigenthümlichen Thätigkeit unseres Geistes, der Phantasie.
Ergänzend tritt ihr Werk neben den Erwerb unseres Erkennens und Handelns.
Je reiner dieses und je schärfer jenes ist, desto mehr erschließt sich unserm Blick
die UnVollkommenheit dieser sichtbaren Welt, sowie unseres Seins und Lebens
in derselben, desto mehr erwacht auch in unserer Seele der Drang, Vollkom¬
menes zu sehen, in der Sphäre der Vollkommenheit zu leben. Ohne diesen


borgene Funken zu wecken, als auch, ob wir uns dahin wenden, wo wir berei¬
chernde Selbstoffenbarungen erwarten dürfen. Wie in der Natur so in der
Menschenwelt zeigen sich uns mannigfaltige Abstufungen nach dem Grade des
Werthes, und wie große Unterschiede stellen sich uns dar, wenn wir auf das
Handeln der Menschen achten! Die einen fühlen sich da angezogen und ent¬
decken Fundgruben für den erkennenden Geist, wo andere stumpf vorübergehen.

Aber unser Erkennen und Handeln, sind sie Thätigkeiten, die vollzogen nur
im Gedächtniß ihre Spuren zurücklassen, ist das Gedächtniß die einzige Stätte
in der unsichtbaren Welt unseres Geisteslebens, in der, was den Inhalt unseres
Thuns bildet, aufbewahrt wird und bleibt? Dann dürften wir mit Recht
fragen, welchen Gewinn trägt unsere Arbeit uns selbst, welchen Werth dürfen
wir ihr zuerkennen? Und wir dürften mit Fug auf diese Frage antworten:
Der Gewinn ist klein und der Werth gering. Nur was unserm inneren Leben
einen Genuß gewährt, was ihm Freude und Lust bereitet, das ist ein unseres
Schaffens würdiges Ziel. Darf diese Lust auch nie das Motiv unserer Thätig¬
keit bilden, so ist es doch unser Recht, sie als ein derselben zufallendes Erbe
zu erwarten. Und die Kraft unseres Inneren, sie zu erfahren, aus unserem
Erkennen und Handeln Elemente der Freude und der Erfrischung zu schöpfen,
es mit Anschauungen, die unser Gefühl beseligend begleiten, zu erfüllen, es ist
das Gemüth. Hier ist der Ort, wo unser Thun sich vollendet, wo seine Er¬
träge zu fester Gestaltung, zu dauerndem Sein sich sammeln. Aber hier ist auch
der Ort, von dem neue Antriebe zur Thätigkeit ausgehen, wo die innere Frische
uns zufließt zu fortschreitender Arbeit des Denkens und Handelns. Denn ohne
das Gefühl der Befriedigung würde diesem wie jenem die Kraft erlahmen. Ja
auch dies dürfen wir behaupten, daß das Maß der Befriedigung, das uns hier
bereitet wird, daß die Unlust, die wir hier spüren, einen Maßstab, ein Kenn¬
zeichen für uns sein dürfen, ob wir einen Irrweg beschritten haben. In dem
Bewußtsein dieses Zusammenhanges zwischen Lust und Unlust auf der einen,
Richtung und Inhalt unseres Thuns auf der anderen Seite wurzelt unser Ge¬
wissen. Das Gemüth ist seine Stätte.

Aber noch unter einem anderen Gesichtspunkte müssen wir das Gemüth
betrachten. Es ist nicht bloß der Quell unseres Friedens und Unfriedens, in
den unser Thun zurückfließt, aus dem es hervordringt, es ist zugleich der Ur-
spruugspunkt einer eigenthümlichen Thätigkeit unseres Geistes, der Phantasie.
Ergänzend tritt ihr Werk neben den Erwerb unseres Erkennens und Handelns.
Je reiner dieses und je schärfer jenes ist, desto mehr erschließt sich unserm Blick
die UnVollkommenheit dieser sichtbaren Welt, sowie unseres Seins und Lebens
in derselben, desto mehr erwacht auch in unserer Seele der Drang, Vollkom¬
menes zu sehen, in der Sphäre der Vollkommenheit zu leben. Ohne diesen


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[0542] borgene Funken zu wecken, als auch, ob wir uns dahin wenden, wo wir berei¬ chernde Selbstoffenbarungen erwarten dürfen. Wie in der Natur so in der Menschenwelt zeigen sich uns mannigfaltige Abstufungen nach dem Grade des Werthes, und wie große Unterschiede stellen sich uns dar, wenn wir auf das Handeln der Menschen achten! Die einen fühlen sich da angezogen und ent¬ decken Fundgruben für den erkennenden Geist, wo andere stumpf vorübergehen. Aber unser Erkennen und Handeln, sind sie Thätigkeiten, die vollzogen nur im Gedächtniß ihre Spuren zurücklassen, ist das Gedächtniß die einzige Stätte in der unsichtbaren Welt unseres Geisteslebens, in der, was den Inhalt unseres Thuns bildet, aufbewahrt wird und bleibt? Dann dürften wir mit Recht fragen, welchen Gewinn trägt unsere Arbeit uns selbst, welchen Werth dürfen wir ihr zuerkennen? Und wir dürften mit Fug auf diese Frage antworten: Der Gewinn ist klein und der Werth gering. Nur was unserm inneren Leben einen Genuß gewährt, was ihm Freude und Lust bereitet, das ist ein unseres Schaffens würdiges Ziel. Darf diese Lust auch nie das Motiv unserer Thätig¬ keit bilden, so ist es doch unser Recht, sie als ein derselben zufallendes Erbe zu erwarten. Und die Kraft unseres Inneren, sie zu erfahren, aus unserem Erkennen und Handeln Elemente der Freude und der Erfrischung zu schöpfen, es mit Anschauungen, die unser Gefühl beseligend begleiten, zu erfüllen, es ist das Gemüth. Hier ist der Ort, wo unser Thun sich vollendet, wo seine Er¬ träge zu fester Gestaltung, zu dauerndem Sein sich sammeln. Aber hier ist auch der Ort, von dem neue Antriebe zur Thätigkeit ausgehen, wo die innere Frische uns zufließt zu fortschreitender Arbeit des Denkens und Handelns. Denn ohne das Gefühl der Befriedigung würde diesem wie jenem die Kraft erlahmen. Ja auch dies dürfen wir behaupten, daß das Maß der Befriedigung, das uns hier bereitet wird, daß die Unlust, die wir hier spüren, einen Maßstab, ein Kenn¬ zeichen für uns sein dürfen, ob wir einen Irrweg beschritten haben. In dem Bewußtsein dieses Zusammenhanges zwischen Lust und Unlust auf der einen, Richtung und Inhalt unseres Thuns auf der anderen Seite wurzelt unser Ge¬ wissen. Das Gemüth ist seine Stätte. Aber noch unter einem anderen Gesichtspunkte müssen wir das Gemüth betrachten. Es ist nicht bloß der Quell unseres Friedens und Unfriedens, in den unser Thun zurückfließt, aus dem es hervordringt, es ist zugleich der Ur- spruugspunkt einer eigenthümlichen Thätigkeit unseres Geistes, der Phantasie. Ergänzend tritt ihr Werk neben den Erwerb unseres Erkennens und Handelns. Je reiner dieses und je schärfer jenes ist, desto mehr erschließt sich unserm Blick die UnVollkommenheit dieser sichtbaren Welt, sowie unseres Seins und Lebens in derselben, desto mehr erwacht auch in unserer Seele der Drang, Vollkom¬ menes zu sehen, in der Sphäre der Vollkommenheit zu leben. Ohne diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/542>, abgerufen am 23.07.2024.