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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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bergische Staatsgalerie nach Stuttgart gekommen. Abgesehen von der schweren,
trüben Färbung zeigte es bereits einen Theil der Vorzüge, welche Defregger
znerst in vollem Maße ans einen: 1868 vollendeten, figurenreichen Bilde "Speck¬
bacher und sein Sohn" entfaltete.

Auf allen Defreggerschen Gemälden spielt das Gegenständliche eine so große
Rolle, daß man eine Volks - und Culturgeschichte Tirols schreiben müßte, wollte
man dieselben so eingehend und erschöpfend behandeln, wie sie es meistenteils
verdienen. Das Technische tritt fast immer zurück, und wo es sich irgendwie
geltend und bemerklich macht, tritt es eher störend als fesselnd auf. Defregger
ist ein perfeeter Zeichner, der sich nnr selten einer Nachlässigkeit schuldig macht;
seine Modellirung ist kräftig und plastisch, und die Färbung reicht in den meisten
Fällen aus, um seine Gedanken zum entsprechenden Ausdruck zu bringen. Er,
der Seelen- und gemüthvollste unter den Schülern Pilotys, die es zu irgend
welcher Bedeutung gebracht haben, ist zugleich der schwächste Cvlorist oder doch
wenigstens ein Maler, dein die Farbe niemals Selbstzweck ist, sondern der das
Colorit immer der Komposition unterordnet. Oft freilich wird seine Farbe
bunt und hart, und dem Fleischton fehlt es bisweilen an Zartheit, Natürlichkeit
und Frische. Aber diese Mängel treten gewöhnlich hinter der Lebenswahrheit
und Energie der Charakteristik und hinter der Liebenswürdigkeit des Humors
zurück, der fast alle seine Darstellungen erfüllt.

Speckbacher, nächst Hofer der bedeutendste Führer der Tiroler während
des Aufstandes von 1809, hatte seinen zehnjährigen Sohn Andres, der vor
Kampflust glühte, nach Hause geschickt, um ihn von den Unruhen fern zu halten.
Aber der Knabe war, trotz des strengen väterlichen Verbots, davongelaufen,
hatte sich einem Zuge Tiroler, die zur Schaar Speckbachers stoßen wollten, an¬
geschlossen, und, als der Vater in einer großen Wirthsstube zu Se. Johann
gerade Kriegsrath hält, tritt der kühne Sohn inmitten seiner Landsleute vor
ihn. Speckbacher blickt, halb zornig, halb stolz, auf den kleinen Helden, für den
ein Alter Fürsprache einlegt. Ein Bild von solcher schlichten Natürlichkeit, von
solcher Wahrheit und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks war bis dahin aus der
Schule Pilotys noch nicht hervorgegangen, und daraus erklärte sich zum Theil
das große Aufsehen, welches das Bild zunächst in München und dann auch
anderwärts erregte. Die Lebenswahrheit in der Charakteristik der dargestellten
Personen hatte Defregger freilich zumeist dadurch erreicht, daß überall Porträtstudien
zu Grunde liegen, welche er in Tirol nach der Natur gemacht hatte. Der
patriotische Künstler lehnte alle verlockenden Anerbieten, welche ihm für dieses
Bild gemacht wurden, ab und überließ dasselbe für den geringen Preis von
1200 Gulden dem Ferdinanden"? in Innsbruck.

Das historische Gebiet, welches er mit seinem Erstlingswerke so erfolgreich


bergische Staatsgalerie nach Stuttgart gekommen. Abgesehen von der schweren,
trüben Färbung zeigte es bereits einen Theil der Vorzüge, welche Defregger
znerst in vollem Maße ans einen: 1868 vollendeten, figurenreichen Bilde „Speck¬
bacher und sein Sohn" entfaltete.

Auf allen Defreggerschen Gemälden spielt das Gegenständliche eine so große
Rolle, daß man eine Volks - und Culturgeschichte Tirols schreiben müßte, wollte
man dieselben so eingehend und erschöpfend behandeln, wie sie es meistenteils
verdienen. Das Technische tritt fast immer zurück, und wo es sich irgendwie
geltend und bemerklich macht, tritt es eher störend als fesselnd auf. Defregger
ist ein perfeeter Zeichner, der sich nnr selten einer Nachlässigkeit schuldig macht;
seine Modellirung ist kräftig und plastisch, und die Färbung reicht in den meisten
Fällen aus, um seine Gedanken zum entsprechenden Ausdruck zu bringen. Er,
der Seelen- und gemüthvollste unter den Schülern Pilotys, die es zu irgend
welcher Bedeutung gebracht haben, ist zugleich der schwächste Cvlorist oder doch
wenigstens ein Maler, dein die Farbe niemals Selbstzweck ist, sondern der das
Colorit immer der Komposition unterordnet. Oft freilich wird seine Farbe
bunt und hart, und dem Fleischton fehlt es bisweilen an Zartheit, Natürlichkeit
und Frische. Aber diese Mängel treten gewöhnlich hinter der Lebenswahrheit
und Energie der Charakteristik und hinter der Liebenswürdigkeit des Humors
zurück, der fast alle seine Darstellungen erfüllt.

Speckbacher, nächst Hofer der bedeutendste Führer der Tiroler während
des Aufstandes von 1809, hatte seinen zehnjährigen Sohn Andres, der vor
Kampflust glühte, nach Hause geschickt, um ihn von den Unruhen fern zu halten.
Aber der Knabe war, trotz des strengen väterlichen Verbots, davongelaufen,
hatte sich einem Zuge Tiroler, die zur Schaar Speckbachers stoßen wollten, an¬
geschlossen, und, als der Vater in einer großen Wirthsstube zu Se. Johann
gerade Kriegsrath hält, tritt der kühne Sohn inmitten seiner Landsleute vor
ihn. Speckbacher blickt, halb zornig, halb stolz, auf den kleinen Helden, für den
ein Alter Fürsprache einlegt. Ein Bild von solcher schlichten Natürlichkeit, von
solcher Wahrheit und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks war bis dahin aus der
Schule Pilotys noch nicht hervorgegangen, und daraus erklärte sich zum Theil
das große Aufsehen, welches das Bild zunächst in München und dann auch
anderwärts erregte. Die Lebenswahrheit in der Charakteristik der dargestellten
Personen hatte Defregger freilich zumeist dadurch erreicht, daß überall Porträtstudien
zu Grunde liegen, welche er in Tirol nach der Natur gemacht hatte. Der
patriotische Künstler lehnte alle verlockenden Anerbieten, welche ihm für dieses
Bild gemacht wurden, ab und überließ dasselbe für den geringen Preis von
1200 Gulden dem Ferdinanden»? in Innsbruck.

Das historische Gebiet, welches er mit seinem Erstlingswerke so erfolgreich


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[0523] bergische Staatsgalerie nach Stuttgart gekommen. Abgesehen von der schweren, trüben Färbung zeigte es bereits einen Theil der Vorzüge, welche Defregger znerst in vollem Maße ans einen: 1868 vollendeten, figurenreichen Bilde „Speck¬ bacher und sein Sohn" entfaltete. Auf allen Defreggerschen Gemälden spielt das Gegenständliche eine so große Rolle, daß man eine Volks - und Culturgeschichte Tirols schreiben müßte, wollte man dieselben so eingehend und erschöpfend behandeln, wie sie es meistenteils verdienen. Das Technische tritt fast immer zurück, und wo es sich irgendwie geltend und bemerklich macht, tritt es eher störend als fesselnd auf. Defregger ist ein perfeeter Zeichner, der sich nnr selten einer Nachlässigkeit schuldig macht; seine Modellirung ist kräftig und plastisch, und die Färbung reicht in den meisten Fällen aus, um seine Gedanken zum entsprechenden Ausdruck zu bringen. Er, der Seelen- und gemüthvollste unter den Schülern Pilotys, die es zu irgend welcher Bedeutung gebracht haben, ist zugleich der schwächste Cvlorist oder doch wenigstens ein Maler, dein die Farbe niemals Selbstzweck ist, sondern der das Colorit immer der Komposition unterordnet. Oft freilich wird seine Farbe bunt und hart, und dem Fleischton fehlt es bisweilen an Zartheit, Natürlichkeit und Frische. Aber diese Mängel treten gewöhnlich hinter der Lebenswahrheit und Energie der Charakteristik und hinter der Liebenswürdigkeit des Humors zurück, der fast alle seine Darstellungen erfüllt. Speckbacher, nächst Hofer der bedeutendste Führer der Tiroler während des Aufstandes von 1809, hatte seinen zehnjährigen Sohn Andres, der vor Kampflust glühte, nach Hause geschickt, um ihn von den Unruhen fern zu halten. Aber der Knabe war, trotz des strengen väterlichen Verbots, davongelaufen, hatte sich einem Zuge Tiroler, die zur Schaar Speckbachers stoßen wollten, an¬ geschlossen, und, als der Vater in einer großen Wirthsstube zu Se. Johann gerade Kriegsrath hält, tritt der kühne Sohn inmitten seiner Landsleute vor ihn. Speckbacher blickt, halb zornig, halb stolz, auf den kleinen Helden, für den ein Alter Fürsprache einlegt. Ein Bild von solcher schlichten Natürlichkeit, von solcher Wahrheit und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks war bis dahin aus der Schule Pilotys noch nicht hervorgegangen, und daraus erklärte sich zum Theil das große Aufsehen, welches das Bild zunächst in München und dann auch anderwärts erregte. Die Lebenswahrheit in der Charakteristik der dargestellten Personen hatte Defregger freilich zumeist dadurch erreicht, daß überall Porträtstudien zu Grunde liegen, welche er in Tirol nach der Natur gemacht hatte. Der patriotische Künstler lehnte alle verlockenden Anerbieten, welche ihm für dieses Bild gemacht wurden, ab und überließ dasselbe für den geringen Preis von 1200 Gulden dem Ferdinanden»? in Innsbruck. Das historische Gebiet, welches er mit seinem Erstlingswerke so erfolgreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/523>, abgerufen am 23.07.2024.