Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Aber sie waren es nicht, welche seine Phantasie später entflammen sollten, sondern
der kernige Menschenschlag Tirols und seine ehrenvolle Geschichte. Als
Defregger zweiundzwanzig Jahre alt war, starb sein Vater, bei dem er bis
dahin als Knecht gearbeitet hatte, und der Hof fiel ihm zu. Bei der Bewirth¬
schaftung desselben benahm er sich jedoch so ungeschickt, daß ihm das Leben als
Bauer bald verleidet wurde. Er verkaufte sein Anwesen für 15000 Gulden
und machte sich, nunmehr vierundzwanzig Jahre alt, auf den Weg nach Inns¬
bruck zu dem Bildhauer Stolz, an welchen ihn der Pfarrer seines Dorfes
empfohlen hatte. Stolz sah jedoch bald ein, daß Defregger mehr Talent zum
Malen hatte, und rieth ihm, sein Heil in München bei Piloty zu versuchen.
Da er selbst gerade nach München reiste, nahm er den Tiroler Bauernburschen
mit und führte ihn bei Piloty ein, der gerade -- es war 1860 -- an seinem
Nerobilde malte. Piloty nahm: sich des schüchternen Fremdlings zwar freundlich
an, mußte ihn aber, da er doch keine systematische Vorbildung besaß, zunächst
in die Vorbereitnngsklasse der Akademie verweisen, die er binnen Jahresfrist
absolvirte. Dann erst wurde er in die Malklasse der Akademie aufgenommen,
fand aber dort nicht die Förderung, die er erwartete. Da ihm auch das
Münchener Klima nicht zuträglich war, folgte er der Einladung eines Freundes
uach Paris, wo er fünfviertel Jahre blieb. Wie er selbst erzählt, machte er
auch dort keine sonderlichen Fortschritte, wenigstens nicht in technischer Hinsicht.
Durch das, was er sah und studiren konnte, bildete er aber seinen Geschmack,
und das ist eine Errungenschaft, die ihm später sehr zu gute kommen sollte.
Durch alle Bilder Defreggers geht ein vornehmer Zug, ein reines, echt künst¬
lerisches Empfinden; nirgends verletzt uns eine Rohheit, nirgends stört uns eine
Unbeholfenheit im Ausdruck oder eine Unzulänglichkeit des Könnens. Voll¬
kommene Klarheit in der Erzählung des Vorgangs ist einer der Hauptvorzüge
seiner Kunst.

Als er nach München zurückkehrte, um in das Atelier Pilotys einzutreten,
war der Meister gerade auf eiuer längeren Badereise abwesend. Defregger
begab sich daher in seine Heimat, ließ sich dort auf einer Alm nieder und malte
den gauzeu Sommer hindurch Studien nach der Natur. Damals mag ihm zu
voller Klarheit aufgegangen sein, wozu er eigentlich in der Malerei berufen
war. Er machte sich auch bald an die Composition eines Bildes, welches er
noch unvollendet mit sich nahm, als er im Herbst 1864 wieder nach München
zurückkehrte und nunmehr in das Atelier Pilotys eintrat. Mit diesem seinem
ersten Bilde begegnete ihm, als er schon ein Jahr daran gearbeitet hatte, das
Unglück, daß es beim Trocknen am Ofen zerriß. Unverdrossen begann er es
von vorn, und nachmals ist dieses sein Erstlingswerk, welches die Heimkehr
eines verwundeten Tiroler Wilderers in seine Hütte darstellte, in die Würden-


Aber sie waren es nicht, welche seine Phantasie später entflammen sollten, sondern
der kernige Menschenschlag Tirols und seine ehrenvolle Geschichte. Als
Defregger zweiundzwanzig Jahre alt war, starb sein Vater, bei dem er bis
dahin als Knecht gearbeitet hatte, und der Hof fiel ihm zu. Bei der Bewirth¬
schaftung desselben benahm er sich jedoch so ungeschickt, daß ihm das Leben als
Bauer bald verleidet wurde. Er verkaufte sein Anwesen für 15000 Gulden
und machte sich, nunmehr vierundzwanzig Jahre alt, auf den Weg nach Inns¬
bruck zu dem Bildhauer Stolz, an welchen ihn der Pfarrer seines Dorfes
empfohlen hatte. Stolz sah jedoch bald ein, daß Defregger mehr Talent zum
Malen hatte, und rieth ihm, sein Heil in München bei Piloty zu versuchen.
Da er selbst gerade nach München reiste, nahm er den Tiroler Bauernburschen
mit und führte ihn bei Piloty ein, der gerade — es war 1860 — an seinem
Nerobilde malte. Piloty nahm: sich des schüchternen Fremdlings zwar freundlich
an, mußte ihn aber, da er doch keine systematische Vorbildung besaß, zunächst
in die Vorbereitnngsklasse der Akademie verweisen, die er binnen Jahresfrist
absolvirte. Dann erst wurde er in die Malklasse der Akademie aufgenommen,
fand aber dort nicht die Förderung, die er erwartete. Da ihm auch das
Münchener Klima nicht zuträglich war, folgte er der Einladung eines Freundes
uach Paris, wo er fünfviertel Jahre blieb. Wie er selbst erzählt, machte er
auch dort keine sonderlichen Fortschritte, wenigstens nicht in technischer Hinsicht.
Durch das, was er sah und studiren konnte, bildete er aber seinen Geschmack,
und das ist eine Errungenschaft, die ihm später sehr zu gute kommen sollte.
Durch alle Bilder Defreggers geht ein vornehmer Zug, ein reines, echt künst¬
lerisches Empfinden; nirgends verletzt uns eine Rohheit, nirgends stört uns eine
Unbeholfenheit im Ausdruck oder eine Unzulänglichkeit des Könnens. Voll¬
kommene Klarheit in der Erzählung des Vorgangs ist einer der Hauptvorzüge
seiner Kunst.

Als er nach München zurückkehrte, um in das Atelier Pilotys einzutreten,
war der Meister gerade auf eiuer längeren Badereise abwesend. Defregger
begab sich daher in seine Heimat, ließ sich dort auf einer Alm nieder und malte
den gauzeu Sommer hindurch Studien nach der Natur. Damals mag ihm zu
voller Klarheit aufgegangen sein, wozu er eigentlich in der Malerei berufen
war. Er machte sich auch bald an die Composition eines Bildes, welches er
noch unvollendet mit sich nahm, als er im Herbst 1864 wieder nach München
zurückkehrte und nunmehr in das Atelier Pilotys eintrat. Mit diesem seinem
ersten Bilde begegnete ihm, als er schon ein Jahr daran gearbeitet hatte, das
Unglück, daß es beim Trocknen am Ofen zerriß. Unverdrossen begann er es
von vorn, und nachmals ist dieses sein Erstlingswerk, welches die Heimkehr
eines verwundeten Tiroler Wilderers in seine Hütte darstellte, in die Würden-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146451"/>
          <p xml:id="ID_1523" prev="#ID_1522"> Aber sie waren es nicht, welche seine Phantasie später entflammen sollten, sondern<lb/>
der kernige Menschenschlag Tirols und seine ehrenvolle Geschichte. Als<lb/>
Defregger zweiundzwanzig Jahre alt war, starb sein Vater, bei dem er bis<lb/>
dahin als Knecht gearbeitet hatte, und der Hof fiel ihm zu. Bei der Bewirth¬<lb/>
schaftung desselben benahm er sich jedoch so ungeschickt, daß ihm das Leben als<lb/>
Bauer bald verleidet wurde. Er verkaufte sein Anwesen für 15000 Gulden<lb/>
und machte sich, nunmehr vierundzwanzig Jahre alt, auf den Weg nach Inns¬<lb/>
bruck zu dem Bildhauer Stolz, an welchen ihn der Pfarrer seines Dorfes<lb/>
empfohlen hatte. Stolz sah jedoch bald ein, daß Defregger mehr Talent zum<lb/>
Malen hatte, und rieth ihm, sein Heil in München bei Piloty zu versuchen.<lb/>
Da er selbst gerade nach München reiste, nahm er den Tiroler Bauernburschen<lb/>
mit und führte ihn bei Piloty ein, der gerade &#x2014; es war 1860 &#x2014; an seinem<lb/>
Nerobilde malte. Piloty nahm: sich des schüchternen Fremdlings zwar freundlich<lb/>
an, mußte ihn aber, da er doch keine systematische Vorbildung besaß, zunächst<lb/>
in die Vorbereitnngsklasse der Akademie verweisen, die er binnen Jahresfrist<lb/>
absolvirte. Dann erst wurde er in die Malklasse der Akademie aufgenommen,<lb/>
fand aber dort nicht die Förderung, die er erwartete. Da ihm auch das<lb/>
Münchener Klima nicht zuträglich war, folgte er der Einladung eines Freundes<lb/>
uach Paris, wo er fünfviertel Jahre blieb. Wie er selbst erzählt, machte er<lb/>
auch dort keine sonderlichen Fortschritte, wenigstens nicht in technischer Hinsicht.<lb/>
Durch das, was er sah und studiren konnte, bildete er aber seinen Geschmack,<lb/>
und das ist eine Errungenschaft, die ihm später sehr zu gute kommen sollte.<lb/>
Durch alle Bilder Defreggers geht ein vornehmer Zug, ein reines, echt künst¬<lb/>
lerisches Empfinden; nirgends verletzt uns eine Rohheit, nirgends stört uns eine<lb/>
Unbeholfenheit im Ausdruck oder eine Unzulänglichkeit des Könnens. Voll¬<lb/>
kommene Klarheit in der Erzählung des Vorgangs ist einer der Hauptvorzüge<lb/>
seiner Kunst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1524" next="#ID_1525"> Als er nach München zurückkehrte, um in das Atelier Pilotys einzutreten,<lb/>
war der Meister gerade auf eiuer längeren Badereise abwesend. Defregger<lb/>
begab sich daher in seine Heimat, ließ sich dort auf einer Alm nieder und malte<lb/>
den gauzeu Sommer hindurch Studien nach der Natur. Damals mag ihm zu<lb/>
voller Klarheit aufgegangen sein, wozu er eigentlich in der Malerei berufen<lb/>
war. Er machte sich auch bald an die Composition eines Bildes, welches er<lb/>
noch unvollendet mit sich nahm, als er im Herbst 1864 wieder nach München<lb/>
zurückkehrte und nunmehr in das Atelier Pilotys eintrat. Mit diesem seinem<lb/>
ersten Bilde begegnete ihm, als er schon ein Jahr daran gearbeitet hatte, das<lb/>
Unglück, daß es beim Trocknen am Ofen zerriß. Unverdrossen begann er es<lb/>
von vorn, und nachmals ist dieses sein Erstlingswerk, welches die Heimkehr<lb/>
eines verwundeten Tiroler Wilderers in seine Hütte darstellte, in die Würden-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0522] Aber sie waren es nicht, welche seine Phantasie später entflammen sollten, sondern der kernige Menschenschlag Tirols und seine ehrenvolle Geschichte. Als Defregger zweiundzwanzig Jahre alt war, starb sein Vater, bei dem er bis dahin als Knecht gearbeitet hatte, und der Hof fiel ihm zu. Bei der Bewirth¬ schaftung desselben benahm er sich jedoch so ungeschickt, daß ihm das Leben als Bauer bald verleidet wurde. Er verkaufte sein Anwesen für 15000 Gulden und machte sich, nunmehr vierundzwanzig Jahre alt, auf den Weg nach Inns¬ bruck zu dem Bildhauer Stolz, an welchen ihn der Pfarrer seines Dorfes empfohlen hatte. Stolz sah jedoch bald ein, daß Defregger mehr Talent zum Malen hatte, und rieth ihm, sein Heil in München bei Piloty zu versuchen. Da er selbst gerade nach München reiste, nahm er den Tiroler Bauernburschen mit und führte ihn bei Piloty ein, der gerade — es war 1860 — an seinem Nerobilde malte. Piloty nahm: sich des schüchternen Fremdlings zwar freundlich an, mußte ihn aber, da er doch keine systematische Vorbildung besaß, zunächst in die Vorbereitnngsklasse der Akademie verweisen, die er binnen Jahresfrist absolvirte. Dann erst wurde er in die Malklasse der Akademie aufgenommen, fand aber dort nicht die Förderung, die er erwartete. Da ihm auch das Münchener Klima nicht zuträglich war, folgte er der Einladung eines Freundes uach Paris, wo er fünfviertel Jahre blieb. Wie er selbst erzählt, machte er auch dort keine sonderlichen Fortschritte, wenigstens nicht in technischer Hinsicht. Durch das, was er sah und studiren konnte, bildete er aber seinen Geschmack, und das ist eine Errungenschaft, die ihm später sehr zu gute kommen sollte. Durch alle Bilder Defreggers geht ein vornehmer Zug, ein reines, echt künst¬ lerisches Empfinden; nirgends verletzt uns eine Rohheit, nirgends stört uns eine Unbeholfenheit im Ausdruck oder eine Unzulänglichkeit des Könnens. Voll¬ kommene Klarheit in der Erzählung des Vorgangs ist einer der Hauptvorzüge seiner Kunst. Als er nach München zurückkehrte, um in das Atelier Pilotys einzutreten, war der Meister gerade auf eiuer längeren Badereise abwesend. Defregger begab sich daher in seine Heimat, ließ sich dort auf einer Alm nieder und malte den gauzeu Sommer hindurch Studien nach der Natur. Damals mag ihm zu voller Klarheit aufgegangen sein, wozu er eigentlich in der Malerei berufen war. Er machte sich auch bald an die Composition eines Bildes, welches er noch unvollendet mit sich nahm, als er im Herbst 1864 wieder nach München zurückkehrte und nunmehr in das Atelier Pilotys eintrat. Mit diesem seinem ersten Bilde begegnete ihm, als er schon ein Jahr daran gearbeitet hatte, das Unglück, daß es beim Trocknen am Ofen zerriß. Unverdrossen begann er es von vorn, und nachmals ist dieses sein Erstlingswerk, welches die Heimkehr eines verwundeten Tiroler Wilderers in seine Hütte darstellte, in die Würden-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/522
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/522>, abgerufen am 23.07.2024.