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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Linie das Bild der großen historischen Persönlichkeit festhalten wollen, in welches
derartige intime Züge nicht hineinpassen.

Wir haben gesehen, daß sich der künstlerische Entwicklungsgang Lenbachs
in stetig aufsteigender Linie bewegt hat. Bei der Energie seines Strebens, die
er bei vielen Gelegenheiten bekundet, ist die Hoffnung nicht ausgeschlossen, daß
er auf der Bahn, die er mit den Bildnissen Moltkes und Bismarcks betreten
hat, weiter fortschreiten und zu den bereits abgelegten Eigenheiten, Marotten
und Verkehrtheiten noch manche andere abthun wird. Lenbach ist ohne Zweifel
der bedeutendste Bildnißmaler, der bis jetzt in der Jsarstadt zur Reife gelangt
ist, so bedeutend, daß keiner der Zeitgenossen mit ihm im Porträtfach einen
Vergleich aushalten kaun.

Wie Lenbach seine Bedeutung dadurch erreicht hat, daß er sich von der
ganzen Art seines Lehrers emancipirte, so hat auch derjenige Künstler, welcher
die erfreulichste und am meisten sympathische Erscheinung in der Schule Pilotys
bildet, Franz Defregger, nur noch sehr wenige Berührungspunkte mit dem
Meister, der seine ersten künstlerischen Schritte geleitet. Schon das Stoffgebiet,
welches sich Defregger erschloß, ist das gerade Widerspiel zu der flitterhasten,
nur auf prunkenden Schein bedachten Theaterwelt Pilotys.

Eines Tiroler Bauern Sohn, wurde Franz Defregger, der am 30. April
1835 das Licht der Welt erblickte, mit den Rindern, Hunden und dem Feder¬
vieh seines Vaters auferzogen, und diese seine erste Umgebung befruchtete seine
künstlerische Phantasie derartig, daß er schon als Kind während des Viehhütens
die Thiere nachzeichnete oder in Holz schnitzte. Zwei große Italiener, Giotto
und Andrea Sansovino, begannen ebenfalls damit ihre künstlerische Laufbahn.
Man ist nur zu sehr geneigt, solche Erzählungen für apokryph zu halten, weil
man sich nur schwer zu erklären vermag, wie der künstlerische Trieb ohne jeden
äußeren Impuls in einer einsamen Menschenseele erwachen kann. Aber Defregger
hat selbst ausführlich erzählt, wie er schon als Kind allerhand Thiere aus
Kuchenteig formte und aus Rüben und Kartoffeln schnitt, wie er mit der Scheere
aus Papier Figuren und Landschaften schnitt und schließlich zu einem Bleistift
kam, mit dem er nicht nur alle Blätter, deren er habhaft werden konnte, sondern
auch alle Wände bemalte. Ein solches elementares Erwachen der Phantasie
in einer Umgebung, die keine Spur von künstlerischem Empfinden hat, gehört
eben zu den Wundern, zu den Räthseln der Schöpfung, die man nicht bis auf
ihre letzten Ursachen verfolgen kann. So sehr man sich abmüht, bleibt immer
noch ein irrationaler Nest, vor dem der menschliche Geist fassungslos Halt
macht. Desreggers väterlicher Hof gehört zur Gemeinde Stronach; er liegt auf
dem Jselsberg, der das Drauthal vom Möllthal scheidet, am Ausgange des
Pusterthals. Wie Tizian blickte auch der junge Defregger auf die Dolomitriesen.


Grenzboten I, 1380. 66

Linie das Bild der großen historischen Persönlichkeit festhalten wollen, in welches
derartige intime Züge nicht hineinpassen.

Wir haben gesehen, daß sich der künstlerische Entwicklungsgang Lenbachs
in stetig aufsteigender Linie bewegt hat. Bei der Energie seines Strebens, die
er bei vielen Gelegenheiten bekundet, ist die Hoffnung nicht ausgeschlossen, daß
er auf der Bahn, die er mit den Bildnissen Moltkes und Bismarcks betreten
hat, weiter fortschreiten und zu den bereits abgelegten Eigenheiten, Marotten
und Verkehrtheiten noch manche andere abthun wird. Lenbach ist ohne Zweifel
der bedeutendste Bildnißmaler, der bis jetzt in der Jsarstadt zur Reife gelangt
ist, so bedeutend, daß keiner der Zeitgenossen mit ihm im Porträtfach einen
Vergleich aushalten kaun.

Wie Lenbach seine Bedeutung dadurch erreicht hat, daß er sich von der
ganzen Art seines Lehrers emancipirte, so hat auch derjenige Künstler, welcher
die erfreulichste und am meisten sympathische Erscheinung in der Schule Pilotys
bildet, Franz Defregger, nur noch sehr wenige Berührungspunkte mit dem
Meister, der seine ersten künstlerischen Schritte geleitet. Schon das Stoffgebiet,
welches sich Defregger erschloß, ist das gerade Widerspiel zu der flitterhasten,
nur auf prunkenden Schein bedachten Theaterwelt Pilotys.

Eines Tiroler Bauern Sohn, wurde Franz Defregger, der am 30. April
1835 das Licht der Welt erblickte, mit den Rindern, Hunden und dem Feder¬
vieh seines Vaters auferzogen, und diese seine erste Umgebung befruchtete seine
künstlerische Phantasie derartig, daß er schon als Kind während des Viehhütens
die Thiere nachzeichnete oder in Holz schnitzte. Zwei große Italiener, Giotto
und Andrea Sansovino, begannen ebenfalls damit ihre künstlerische Laufbahn.
Man ist nur zu sehr geneigt, solche Erzählungen für apokryph zu halten, weil
man sich nur schwer zu erklären vermag, wie der künstlerische Trieb ohne jeden
äußeren Impuls in einer einsamen Menschenseele erwachen kann. Aber Defregger
hat selbst ausführlich erzählt, wie er schon als Kind allerhand Thiere aus
Kuchenteig formte und aus Rüben und Kartoffeln schnitt, wie er mit der Scheere
aus Papier Figuren und Landschaften schnitt und schließlich zu einem Bleistift
kam, mit dem er nicht nur alle Blätter, deren er habhaft werden konnte, sondern
auch alle Wände bemalte. Ein solches elementares Erwachen der Phantasie
in einer Umgebung, die keine Spur von künstlerischem Empfinden hat, gehört
eben zu den Wundern, zu den Räthseln der Schöpfung, die man nicht bis auf
ihre letzten Ursachen verfolgen kann. So sehr man sich abmüht, bleibt immer
noch ein irrationaler Nest, vor dem der menschliche Geist fassungslos Halt
macht. Desreggers väterlicher Hof gehört zur Gemeinde Stronach; er liegt auf
dem Jselsberg, der das Drauthal vom Möllthal scheidet, am Ausgange des
Pusterthals. Wie Tizian blickte auch der junge Defregger auf die Dolomitriesen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/521>, abgerufen am 23.07.2024.