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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Augenzwinkern eine Welt zittert, so denkt man sich die Jncarncition deutscher
Energie, deutscher Zähigkeit und deutscher Genialität, die seit Luthers Tode zum
ersten Male wieder unter uns wandelt. Aber wie viel von dieser genialen
Inspiration des Künstlers, die ihm unter einem glücklichen Sterne kam, ist auf
dem Wege bis zur Ausführung verloren gegangen! In der Absicht, alle Zu¬
fälligkeiten der Haut und der Musculatur wiederzugeben, hat der Künstler die
großen, charakterisirenden Linien aus den Augen verloren. So ist sein Porträt
zwar ein Meisterwerk hinsichtlich der rein photographischen Aehnlichkeit gewordeir,
man wird auch eine Anzahl charakteristischer und wahrer Züge darin finden;
aber dem Ganzen fehlt jene geistige Hoheit, jene imponirende Ueberlegenheit,
jene absolute Sicherheit in der Berechnung, jenes Bewußtsein von der Größe
der ihm übertragenen Mission, also jene Summe von sittlichen und geistigen
Eigenschaften, welche den Fürsten Bismarck in den gefährlichsten Momenten
seines Lebens gestählt und ihn zu einer jener seltenen Persönlichkeiten gemacht
haben, zu welchen bereits die Mitwelt entweder mit begeisterter Bewunderung
oder mit scheuer Furcht emporblickt. Wie aus dem oben geschilderten Bilde des
Kaisers fehlt es wiederum an Adel der Auffassung und an Vornehmheit der
Haltung. Der eiserne Kanzler im bequemen Civilrock ist schon an und für sich
eine befremdliche Erscheinung, und nun diese saloppe Haltung, diese schlaffen
Züge mit dem Ausdruck der Müdigkeit, die ja wohl vorübergehend den Fürsten
ebenso sehr überkommen mag wie jeden anderen Menschen! Aber solche Momente
hält tuam nicht fest, und am allerwenigsten, wenn man über eine so hervor¬
ragende Kraft in der Wiedergabe des Lebens, die in ihrer allgemeinen Wahrheit
sich beinahe zum Unheimlichen steigert, verfügt, wie es Lenbach kann- Ein gutes
Porträt bleibt das Bildniß des Reichskanzlers trotzdem, wenn es auch das ganze
Wesen seiner Persönlichkeit nicht erschöpft und vornehmlich Hoheit und Adel
der Erscheinung vermissen läßt. Das Beste daran ist jedenfalls das Auge,
dessen Wirkung freilich wiederum durch die wenig edel behandelte Umgebung,
besonders der unteren Lider, geschmälert wird. Im Auge spricht sich die gei¬
stige Größe des Mannes am deutlichsten aus, die Weitsichtigkeit des Politikers,
der vermöge seines eminenten Scharfblicks stets der Herr der Situation ist.

Das Bildniß Moltkes wird der geistigen Bedeutung des Dargestellten in
erheblich höherem Grade gerecht. Das Auge spricht auch hier das erste Wort,
aber die feingeschnittene Nase, die hohe Stirn, die energisch zusammengekniffenen
Lippen sind ebenso sehr beredte Zeugen für die Gedankenarbeit des Mannes.
Wenn man etwas vermißt, so wäre es höchstens der elegisch-melancholische Zug,
welcher als Erinnerung an trübe Lebenserfahrungen bisweilen die Augen und
Mundwinkel des Feldmarschalls umspielt. Aber der Maler hat wohl in erster


Augenzwinkern eine Welt zittert, so denkt man sich die Jncarncition deutscher
Energie, deutscher Zähigkeit und deutscher Genialität, die seit Luthers Tode zum
ersten Male wieder unter uns wandelt. Aber wie viel von dieser genialen
Inspiration des Künstlers, die ihm unter einem glücklichen Sterne kam, ist auf
dem Wege bis zur Ausführung verloren gegangen! In der Absicht, alle Zu¬
fälligkeiten der Haut und der Musculatur wiederzugeben, hat der Künstler die
großen, charakterisirenden Linien aus den Augen verloren. So ist sein Porträt
zwar ein Meisterwerk hinsichtlich der rein photographischen Aehnlichkeit gewordeir,
man wird auch eine Anzahl charakteristischer und wahrer Züge darin finden;
aber dem Ganzen fehlt jene geistige Hoheit, jene imponirende Ueberlegenheit,
jene absolute Sicherheit in der Berechnung, jenes Bewußtsein von der Größe
der ihm übertragenen Mission, also jene Summe von sittlichen und geistigen
Eigenschaften, welche den Fürsten Bismarck in den gefährlichsten Momenten
seines Lebens gestählt und ihn zu einer jener seltenen Persönlichkeiten gemacht
haben, zu welchen bereits die Mitwelt entweder mit begeisterter Bewunderung
oder mit scheuer Furcht emporblickt. Wie aus dem oben geschilderten Bilde des
Kaisers fehlt es wiederum an Adel der Auffassung und an Vornehmheit der
Haltung. Der eiserne Kanzler im bequemen Civilrock ist schon an und für sich
eine befremdliche Erscheinung, und nun diese saloppe Haltung, diese schlaffen
Züge mit dem Ausdruck der Müdigkeit, die ja wohl vorübergehend den Fürsten
ebenso sehr überkommen mag wie jeden anderen Menschen! Aber solche Momente
hält tuam nicht fest, und am allerwenigsten, wenn man über eine so hervor¬
ragende Kraft in der Wiedergabe des Lebens, die in ihrer allgemeinen Wahrheit
sich beinahe zum Unheimlichen steigert, verfügt, wie es Lenbach kann- Ein gutes
Porträt bleibt das Bildniß des Reichskanzlers trotzdem, wenn es auch das ganze
Wesen seiner Persönlichkeit nicht erschöpft und vornehmlich Hoheit und Adel
der Erscheinung vermissen läßt. Das Beste daran ist jedenfalls das Auge,
dessen Wirkung freilich wiederum durch die wenig edel behandelte Umgebung,
besonders der unteren Lider, geschmälert wird. Im Auge spricht sich die gei¬
stige Größe des Mannes am deutlichsten aus, die Weitsichtigkeit des Politikers,
der vermöge seines eminenten Scharfblicks stets der Herr der Situation ist.

Das Bildniß Moltkes wird der geistigen Bedeutung des Dargestellten in
erheblich höherem Grade gerecht. Das Auge spricht auch hier das erste Wort,
aber die feingeschnittene Nase, die hohe Stirn, die energisch zusammengekniffenen
Lippen sind ebenso sehr beredte Zeugen für die Gedankenarbeit des Mannes.
Wenn man etwas vermißt, so wäre es höchstens der elegisch-melancholische Zug,
welcher als Erinnerung an trübe Lebenserfahrungen bisweilen die Augen und
Mundwinkel des Feldmarschalls umspielt. Aber der Maler hat wohl in erster


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[0520] Augenzwinkern eine Welt zittert, so denkt man sich die Jncarncition deutscher Energie, deutscher Zähigkeit und deutscher Genialität, die seit Luthers Tode zum ersten Male wieder unter uns wandelt. Aber wie viel von dieser genialen Inspiration des Künstlers, die ihm unter einem glücklichen Sterne kam, ist auf dem Wege bis zur Ausführung verloren gegangen! In der Absicht, alle Zu¬ fälligkeiten der Haut und der Musculatur wiederzugeben, hat der Künstler die großen, charakterisirenden Linien aus den Augen verloren. So ist sein Porträt zwar ein Meisterwerk hinsichtlich der rein photographischen Aehnlichkeit gewordeir, man wird auch eine Anzahl charakteristischer und wahrer Züge darin finden; aber dem Ganzen fehlt jene geistige Hoheit, jene imponirende Ueberlegenheit, jene absolute Sicherheit in der Berechnung, jenes Bewußtsein von der Größe der ihm übertragenen Mission, also jene Summe von sittlichen und geistigen Eigenschaften, welche den Fürsten Bismarck in den gefährlichsten Momenten seines Lebens gestählt und ihn zu einer jener seltenen Persönlichkeiten gemacht haben, zu welchen bereits die Mitwelt entweder mit begeisterter Bewunderung oder mit scheuer Furcht emporblickt. Wie aus dem oben geschilderten Bilde des Kaisers fehlt es wiederum an Adel der Auffassung und an Vornehmheit der Haltung. Der eiserne Kanzler im bequemen Civilrock ist schon an und für sich eine befremdliche Erscheinung, und nun diese saloppe Haltung, diese schlaffen Züge mit dem Ausdruck der Müdigkeit, die ja wohl vorübergehend den Fürsten ebenso sehr überkommen mag wie jeden anderen Menschen! Aber solche Momente hält tuam nicht fest, und am allerwenigsten, wenn man über eine so hervor¬ ragende Kraft in der Wiedergabe des Lebens, die in ihrer allgemeinen Wahrheit sich beinahe zum Unheimlichen steigert, verfügt, wie es Lenbach kann- Ein gutes Porträt bleibt das Bildniß des Reichskanzlers trotzdem, wenn es auch das ganze Wesen seiner Persönlichkeit nicht erschöpft und vornehmlich Hoheit und Adel der Erscheinung vermissen läßt. Das Beste daran ist jedenfalls das Auge, dessen Wirkung freilich wiederum durch die wenig edel behandelte Umgebung, besonders der unteren Lider, geschmälert wird. Im Auge spricht sich die gei¬ stige Größe des Mannes am deutlichsten aus, die Weitsichtigkeit des Politikers, der vermöge seines eminenten Scharfblicks stets der Herr der Situation ist. Das Bildniß Moltkes wird der geistigen Bedeutung des Dargestellten in erheblich höherem Grade gerecht. Das Auge spricht auch hier das erste Wort, aber die feingeschnittene Nase, die hohe Stirn, die energisch zusammengekniffenen Lippen sind ebenso sehr beredte Zeugen für die Gedankenarbeit des Mannes. Wenn man etwas vermißt, so wäre es höchstens der elegisch-melancholische Zug, welcher als Erinnerung an trübe Lebenserfahrungen bisweilen die Augen und Mundwinkel des Feldmarschalls umspielt. Aber der Maler hat wohl in erster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/520>, abgerufen am 23.07.2024.