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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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die Textur der Haut, das Geflecht der Adern -- alles wirkt einzeln und wirkt
zusammen, um das Charakterbild zu vervollständigen. Es ist ein großer Genuß,
diesem Zusammenhange auf den Porträts unserer classischen Meister nachzu¬
spüren und die entsprechenden Parallelen zwischen den Formen der Hand und
des Angesichts zu ziehen. Lenbach hat sich bis zu dieser Höhe niemals empor¬
geschwungen, und schon darum kann er trotz seiner großen Erfolge, die wir ihm
nicht schmälern wollen, nicht darauf Anspruch erheben, als Porträtmaler mit
Rembrandt, Rubens, van Dyck in einem Athem genannt zu werden.

Von den Copien, die er in Italien für den Freiherrn v. Schack anfertigte,
dürfte "Die himmlische und irdische Liebe" nach dem Gemälde Tizians in der
Galerie Borghese die beste und nach den meisten Seiten hin vollendete sein.
Nach seiner Rückkehr verwerthete er die gemachten Erfahrungen auch in einem
Bildniß, dem des Malers L. v. Hagn, welches seine künstlerischen Tendenzen
noch deutlicher aussprach als seine ersten Versuche im Porträtfach, die haupt¬
sächlich um ihrer Unsicherheit willen so viele Bedenken erregten. Indem er
einen vollen Lichtstrom auf den Kopf ergoß, tauchte er alles übrige, Schultern,
Brust, Hand, Kleidung, Beiwerk, in ein ausgleichendes Helldunkel, wodurch das
Bild allerdings einen Vorzug gewann: Harmonie und Geschlossenheit des Tons.

Dann unternahm er noch einmal eine längere Reise nach Italien und
Spanien, wo er sich besonders in Madrid aufhielt und sich in die Schätze der
dortigen Galerie vertiefte. Mehrere vortreffliche Copien für die Schacksche
Sammlung, so namentlich das lebensgroße Reiterporträt Karls V. nach Tizian,
waren die Frucht auch dieser Reise, die dazu beitrug, Lenbachs künstlerische
Principien zu festigen und zu läutern. Er fand in Madrid Gelegenheit, sie
auch in einigen Porträts hervorragender Persönlichkeiten zur Ausführung zu
bringen.

Als er sich wieder in München heimisch niederließ, begann er eine sehr
umfangreiche Thätigkeit zu entfalten. Vielleicht hat gerade seine originelle, eigen¬
sinnige, schrulleuhafte Manier, die absonderliche, von dem Hergebrachten so voll¬
ständig abweichende Art der Auffassung viele seiner berühmten Münchener Zeit¬
genossen veranlaßt, sich von ihm S, 1a Rembrandt malen zu lassen, und nachdem
einmal erst das Eis gebrochen war, nachdem auch Damen den kühnen Schritt
gewagt hatten, einmal auf allen Glanz der Äußerlichkeiten zu verzichten und
nur ihre "Seele" dem Maler fitzen zu lassen, strömten ihm zahlreiche Aufträge
von allen Seiten zu, deren er sich um so leichter entledigen konnte, als er
eigentlich nur den Kopf malte und alles übrige flüchtig andeutete. Sein Ruf
wuchs von Jahr zu Jahr, und heute hat er bereits eine Porträtgalerie ge¬
schaffen, in welcher kaum ein berühmter Zeitgenosse fehlt. Während eines zwei¬
jährigen Aufenthaltes in Wien, wo er sich einer besonders großen Beliebtheit


die Textur der Haut, das Geflecht der Adern — alles wirkt einzeln und wirkt
zusammen, um das Charakterbild zu vervollständigen. Es ist ein großer Genuß,
diesem Zusammenhange auf den Porträts unserer classischen Meister nachzu¬
spüren und die entsprechenden Parallelen zwischen den Formen der Hand und
des Angesichts zu ziehen. Lenbach hat sich bis zu dieser Höhe niemals empor¬
geschwungen, und schon darum kann er trotz seiner großen Erfolge, die wir ihm
nicht schmälern wollen, nicht darauf Anspruch erheben, als Porträtmaler mit
Rembrandt, Rubens, van Dyck in einem Athem genannt zu werden.

Von den Copien, die er in Italien für den Freiherrn v. Schack anfertigte,
dürfte „Die himmlische und irdische Liebe" nach dem Gemälde Tizians in der
Galerie Borghese die beste und nach den meisten Seiten hin vollendete sein.
Nach seiner Rückkehr verwerthete er die gemachten Erfahrungen auch in einem
Bildniß, dem des Malers L. v. Hagn, welches seine künstlerischen Tendenzen
noch deutlicher aussprach als seine ersten Versuche im Porträtfach, die haupt¬
sächlich um ihrer Unsicherheit willen so viele Bedenken erregten. Indem er
einen vollen Lichtstrom auf den Kopf ergoß, tauchte er alles übrige, Schultern,
Brust, Hand, Kleidung, Beiwerk, in ein ausgleichendes Helldunkel, wodurch das
Bild allerdings einen Vorzug gewann: Harmonie und Geschlossenheit des Tons.

Dann unternahm er noch einmal eine längere Reise nach Italien und
Spanien, wo er sich besonders in Madrid aufhielt und sich in die Schätze der
dortigen Galerie vertiefte. Mehrere vortreffliche Copien für die Schacksche
Sammlung, so namentlich das lebensgroße Reiterporträt Karls V. nach Tizian,
waren die Frucht auch dieser Reise, die dazu beitrug, Lenbachs künstlerische
Principien zu festigen und zu läutern. Er fand in Madrid Gelegenheit, sie
auch in einigen Porträts hervorragender Persönlichkeiten zur Ausführung zu
bringen.

Als er sich wieder in München heimisch niederließ, begann er eine sehr
umfangreiche Thätigkeit zu entfalten. Vielleicht hat gerade seine originelle, eigen¬
sinnige, schrulleuhafte Manier, die absonderliche, von dem Hergebrachten so voll¬
ständig abweichende Art der Auffassung viele seiner berühmten Münchener Zeit¬
genossen veranlaßt, sich von ihm S, 1a Rembrandt malen zu lassen, und nachdem
einmal erst das Eis gebrochen war, nachdem auch Damen den kühnen Schritt
gewagt hatten, einmal auf allen Glanz der Äußerlichkeiten zu verzichten und
nur ihre „Seele" dem Maler fitzen zu lassen, strömten ihm zahlreiche Aufträge
von allen Seiten zu, deren er sich um so leichter entledigen konnte, als er
eigentlich nur den Kopf malte und alles übrige flüchtig andeutete. Sein Ruf
wuchs von Jahr zu Jahr, und heute hat er bereits eine Porträtgalerie ge¬
schaffen, in welcher kaum ein berühmter Zeitgenosse fehlt. Während eines zwei¬
jährigen Aufenthaltes in Wien, wo er sich einer besonders großen Beliebtheit


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[0517] die Textur der Haut, das Geflecht der Adern — alles wirkt einzeln und wirkt zusammen, um das Charakterbild zu vervollständigen. Es ist ein großer Genuß, diesem Zusammenhange auf den Porträts unserer classischen Meister nachzu¬ spüren und die entsprechenden Parallelen zwischen den Formen der Hand und des Angesichts zu ziehen. Lenbach hat sich bis zu dieser Höhe niemals empor¬ geschwungen, und schon darum kann er trotz seiner großen Erfolge, die wir ihm nicht schmälern wollen, nicht darauf Anspruch erheben, als Porträtmaler mit Rembrandt, Rubens, van Dyck in einem Athem genannt zu werden. Von den Copien, die er in Italien für den Freiherrn v. Schack anfertigte, dürfte „Die himmlische und irdische Liebe" nach dem Gemälde Tizians in der Galerie Borghese die beste und nach den meisten Seiten hin vollendete sein. Nach seiner Rückkehr verwerthete er die gemachten Erfahrungen auch in einem Bildniß, dem des Malers L. v. Hagn, welches seine künstlerischen Tendenzen noch deutlicher aussprach als seine ersten Versuche im Porträtfach, die haupt¬ sächlich um ihrer Unsicherheit willen so viele Bedenken erregten. Indem er einen vollen Lichtstrom auf den Kopf ergoß, tauchte er alles übrige, Schultern, Brust, Hand, Kleidung, Beiwerk, in ein ausgleichendes Helldunkel, wodurch das Bild allerdings einen Vorzug gewann: Harmonie und Geschlossenheit des Tons. Dann unternahm er noch einmal eine längere Reise nach Italien und Spanien, wo er sich besonders in Madrid aufhielt und sich in die Schätze der dortigen Galerie vertiefte. Mehrere vortreffliche Copien für die Schacksche Sammlung, so namentlich das lebensgroße Reiterporträt Karls V. nach Tizian, waren die Frucht auch dieser Reise, die dazu beitrug, Lenbachs künstlerische Principien zu festigen und zu läutern. Er fand in Madrid Gelegenheit, sie auch in einigen Porträts hervorragender Persönlichkeiten zur Ausführung zu bringen. Als er sich wieder in München heimisch niederließ, begann er eine sehr umfangreiche Thätigkeit zu entfalten. Vielleicht hat gerade seine originelle, eigen¬ sinnige, schrulleuhafte Manier, die absonderliche, von dem Hergebrachten so voll¬ ständig abweichende Art der Auffassung viele seiner berühmten Münchener Zeit¬ genossen veranlaßt, sich von ihm S, 1a Rembrandt malen zu lassen, und nachdem einmal erst das Eis gebrochen war, nachdem auch Damen den kühnen Schritt gewagt hatten, einmal auf allen Glanz der Äußerlichkeiten zu verzichten und nur ihre „Seele" dem Maler fitzen zu lassen, strömten ihm zahlreiche Aufträge von allen Seiten zu, deren er sich um so leichter entledigen konnte, als er eigentlich nur den Kopf malte und alles übrige flüchtig andeutete. Sein Ruf wuchs von Jahr zu Jahr, und heute hat er bereits eine Porträtgalerie ge¬ schaffen, in welcher kaum ein berühmter Zeitgenosse fehlt. Während eines zwei¬ jährigen Aufenthaltes in Wien, wo er sich einer besonders großen Beliebtheit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/517>, abgerufen am 23.07.2024.