Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.hat niemals einen vollständigen Mademiecursus durchgemacht und, wenn er auch Frankreich wird von den meisten deutschen Künstlern als das Musterland Von den alten Meistern, die Lenbach so hoch verehrt und so gut keimt, hat niemals einen vollständigen Mademiecursus durchgemacht und, wenn er auch Frankreich wird von den meisten deutschen Künstlern als das Musterland Von den alten Meistern, die Lenbach so hoch verehrt und so gut keimt, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146445"/> <p xml:id="ID_1505" prev="#ID_1504"> hat niemals einen vollständigen Mademiecursus durchgemacht und, wenn er auch<lb/> einen solchen absolvirt hätte, würde er vielleicht trotzdem ein Verächter der<lb/> Zeichnung geworden sein. Denn an unsern deutschen Akademien steht die Form<lb/> leider nicht in der hohen Achtung, die sie in Paris genießt, nicht minder an<lb/> der Mois ass vsaux arts, nicht minder im Atelier des schulgerechteu Akade¬<lb/> mikers, als in dem des kühnsten Naturalisten. Rücksichtslosigkeiten, wie sie sich<lb/> Lenbach zu Schulden kommen läßt, würden in Paris unter keinen Umstünden<lb/> tolerirt werden und siud auch bei der sorgfältigen künstlerischen Erziehung, an<lb/> welcher Maler und Bildhauer, Kupferstecher und Zeichner in gleichem Maße<lb/> Participiren, undenkbar. Gerade in dieser gründlichen Durchschnittsbildung,<lb/> welche auf den ersten Blick durch ihr massenhaftes Auftreten so imponirend, ja<lb/> verblüffend wirkt, liegt die Hauptstärke der modernen französischen Kunst, die<lb/> hinsichtlich ihres geistigen Gehalts der unsrigen unzweifelhaft nachsteht. Wie<lb/> ein Titane, der sein Haupt bis zu den Wolken erhebt, der mit seinem Scheitel<lb/> die Gestirne rührt, aber auf schwachen, verkrüppelten Füßen steht, — so erscheint<lb/> die deutsche Kunst seit Schongauer und Dürer bis auf den heutigen Tag: stets<lb/> ein erhabenes, idealisches Wollen, welches durch die Unzulänglichkeit des tech¬<lb/> nischen Könnens in seinem noblen Aufschwünge gehemmt wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_1506"> Frankreich wird von den meisten deutschen Künstlern als das Musterland<lb/> der Kunst betrachtet: wir haben gesehen, wie gerade die Münchener Künstler<lb/> diese den Deutschen angeborene Verehrung gelegentlich der internationalen Kunst-<lb/> ausstellung bis zur Jdololatrie steigerten, als sich die Franzosen herabließen,<lb/> durch eine Sendung von Gemälden und Statuen der deutschen Ausstellung die<lb/> Krone aufzusetzen. Aber gerade darin, wo sie unbedingt nachahmungswürdig, in<lb/> dem hohen Respect von dein menschlichen Körper und in der eminenten Kennt¬<lb/> niß desselben, lassen die deutschen Künstler ihr Vorbild am allerwenigsten auf<lb/> sich wirken; nur in ihren Verirrungen folgen sie ihren Wegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1507" next="#ID_1508"> Von den alten Meistern, die Lenbach so hoch verehrt und so gut keimt,<lb/> hat er sicherlich nicht die Geringschätzung gelernt, welche er auf seinen Porträts<lb/> allen Gliedmaßen mit Ausnahme des Kopfes zu Theil werden läßt. Es ist<lb/> bekannt, welch eine bedeutsame Rolle gerade die Hand auf den Porträts eines<lb/> Tizian, eines van Dyck, eines Holbein, eines Velasqnez, eines Rembrandt spielt,<lb/> wie die Hand nicht bloß zur Erzielung malerischer Contraste verwerthet wird,<lb/> sondern wie sie gleichsam das Schlußkapitel der psychologischen Abhandlung<lb/> bildet, welche jene Maler, die alle zugleich große Menschenkenner und Seelen-<lb/> kundiger gewesen sind, auf dem Antlitz niedergeschrieben haben. In der Hand<lb/> klingt das oben angeschlagene Thema gleichsam aus; ihre Formen geben uns<lb/> den Commentar zu manchem Zuge, der uns oben unklar geblieben ist. Die<lb/> feine oder grobe Bildung der Finger, die Stärke oder Feinheit der Knochen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
hat niemals einen vollständigen Mademiecursus durchgemacht und, wenn er auch
einen solchen absolvirt hätte, würde er vielleicht trotzdem ein Verächter der
Zeichnung geworden sein. Denn an unsern deutschen Akademien steht die Form
leider nicht in der hohen Achtung, die sie in Paris genießt, nicht minder an
der Mois ass vsaux arts, nicht minder im Atelier des schulgerechteu Akade¬
mikers, als in dem des kühnsten Naturalisten. Rücksichtslosigkeiten, wie sie sich
Lenbach zu Schulden kommen läßt, würden in Paris unter keinen Umstünden
tolerirt werden und siud auch bei der sorgfältigen künstlerischen Erziehung, an
welcher Maler und Bildhauer, Kupferstecher und Zeichner in gleichem Maße
Participiren, undenkbar. Gerade in dieser gründlichen Durchschnittsbildung,
welche auf den ersten Blick durch ihr massenhaftes Auftreten so imponirend, ja
verblüffend wirkt, liegt die Hauptstärke der modernen französischen Kunst, die
hinsichtlich ihres geistigen Gehalts der unsrigen unzweifelhaft nachsteht. Wie
ein Titane, der sein Haupt bis zu den Wolken erhebt, der mit seinem Scheitel
die Gestirne rührt, aber auf schwachen, verkrüppelten Füßen steht, — so erscheint
die deutsche Kunst seit Schongauer und Dürer bis auf den heutigen Tag: stets
ein erhabenes, idealisches Wollen, welches durch die Unzulänglichkeit des tech¬
nischen Könnens in seinem noblen Aufschwünge gehemmt wird.
Frankreich wird von den meisten deutschen Künstlern als das Musterland
der Kunst betrachtet: wir haben gesehen, wie gerade die Münchener Künstler
diese den Deutschen angeborene Verehrung gelegentlich der internationalen Kunst-
ausstellung bis zur Jdololatrie steigerten, als sich die Franzosen herabließen,
durch eine Sendung von Gemälden und Statuen der deutschen Ausstellung die
Krone aufzusetzen. Aber gerade darin, wo sie unbedingt nachahmungswürdig, in
dem hohen Respect von dein menschlichen Körper und in der eminenten Kennt¬
niß desselben, lassen die deutschen Künstler ihr Vorbild am allerwenigsten auf
sich wirken; nur in ihren Verirrungen folgen sie ihren Wegen.
Von den alten Meistern, die Lenbach so hoch verehrt und so gut keimt,
hat er sicherlich nicht die Geringschätzung gelernt, welche er auf seinen Porträts
allen Gliedmaßen mit Ausnahme des Kopfes zu Theil werden läßt. Es ist
bekannt, welch eine bedeutsame Rolle gerade die Hand auf den Porträts eines
Tizian, eines van Dyck, eines Holbein, eines Velasqnez, eines Rembrandt spielt,
wie die Hand nicht bloß zur Erzielung malerischer Contraste verwerthet wird,
sondern wie sie gleichsam das Schlußkapitel der psychologischen Abhandlung
bildet, welche jene Maler, die alle zugleich große Menschenkenner und Seelen-
kundiger gewesen sind, auf dem Antlitz niedergeschrieben haben. In der Hand
klingt das oben angeschlagene Thema gleichsam aus; ihre Formen geben uns
den Commentar zu manchem Zuge, der uns oben unklar geblieben ist. Die
feine oder grobe Bildung der Finger, die Stärke oder Feinheit der Knochen,
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