Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

deutung in eine" Schutthaufen verwandelt zu sehen. Dieses strategische Moment
spricht auch gegen eine directe Urheberschaft des Brandes von Seiten Pappen-
Heims, auf den andere Forscher die Schuld zu wälzen suchten. Aber es giebt
noch andere Möglichkeiten, um die Einäscherung Magdeburgs zu erklären, und
die neueste Geschichtsforschung ist nicht ohne Erfolg bemüht, diese Möglichkeiten
auf Grund ausgebreiteter Forschungen als historische Thatsachen nachzuweisen.

Immer deutlicher stellt sich heraus, daß weder Tilly und Pappenheim den
Befehl zur Einäscherung der Stadt gegeben haben, noch daß Gustav Adolf in
Folge der Befehle, die er seinem Obersten Falkenberg gegeben hatte, die Ver¬
antwortung für die Zerstörung der schönen und blühenden Stadt, des Boll¬
werks des Protestantismus, zu tragen hat. Dies nachgewiesen zu haben, ist
Wittichs Verdienst. Er schildert -- meist auf Grund gleichzeitiger Berichte --
das Treiben der verschiedenen Parteien innerhalb der Stadt, den Kampf der
Rathspartei mit der demokratisch gesinnten Hefe des Volks, ferner die Bestre¬
bungen der schwedisch gesinnten Prediger und das rastlose, aber meist vergeb¬
liche Bemühen des seine Soldatenehre über alles schätzenden Obersten Falkenberg.
Das Gebot dieser seiner Soldatenehre habe schließlich Falkenberg dazu getrieben,
die Stadt anzuzünden. Sofern diese Meinung beschränkt wird auf die Ein¬
äscherung des Rathhauses, so liegt dafür ein directer, unzweifelhaft historisch
treuer Bericht als Zeugniß vor. In ihm heißt es: "Weil Falkenberg aber
gesehen, daß Alles voller Verrätherei und solches mit Wissen des Rathes ge¬
schehen sein müsse, läßt er an verschiedenen Orten Feuer in das Rathhaus legen,
so auch in Einem dergestalt überhandgenommenen, daß keiner davon gekommen,
sondern alle Verräther verbrannt." Aber daneben ist die andere Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, daß die Magdeburger seine Schuld theilen. Es ist nach
Wittichs Forschungen als erwiesen anzusehen, daß Tilly ein EinVerständniß mit
der Gegenpartei Falkenbergs in der Stadt unterhalten hat, welches ihm die
Eroberung erleichterte. Nicht minder gut bezeugt ist, daß ein Theil der Bürger,
der bis zuletzt treu an der schwedischen Sache festgehalten hatte, den heroischen
Entschluß gefaßt hatte, "mit Frau und Kindern lieber zu sterben, denn in der
Feinde Hände zu fallen", worauf der gleichzeitige Bericht fortfährt: "Und als
die Bürger gesehen, daß sie sich doch nicht würden retten können, haben sie selber
die Stadt mehr als an zwölf Orten in Brand gesteckt, dadurch diese herrliche
Stadt ganz eingeäschert worden." So ist es ganz undenkbar, nochmals die alte
Meinung aufzufrischen, daß Gustav Adolf, oder auch daß Tilly den Brand der
Stadt veranlaßt habe.

Dennoch sind die Forschungen über die Magdeburger Katastrophe noch
nicht abgeschlossen. Ein anderer genauer Kenner der Zeit des 30 jährigen
Krieges, Professor Opel in Halle, hat -- in seiner Recension des Wittichschen


GmiMen 1. S4

deutung in eine» Schutthaufen verwandelt zu sehen. Dieses strategische Moment
spricht auch gegen eine directe Urheberschaft des Brandes von Seiten Pappen-
Heims, auf den andere Forscher die Schuld zu wälzen suchten. Aber es giebt
noch andere Möglichkeiten, um die Einäscherung Magdeburgs zu erklären, und
die neueste Geschichtsforschung ist nicht ohne Erfolg bemüht, diese Möglichkeiten
auf Grund ausgebreiteter Forschungen als historische Thatsachen nachzuweisen.

Immer deutlicher stellt sich heraus, daß weder Tilly und Pappenheim den
Befehl zur Einäscherung der Stadt gegeben haben, noch daß Gustav Adolf in
Folge der Befehle, die er seinem Obersten Falkenberg gegeben hatte, die Ver¬
antwortung für die Zerstörung der schönen und blühenden Stadt, des Boll¬
werks des Protestantismus, zu tragen hat. Dies nachgewiesen zu haben, ist
Wittichs Verdienst. Er schildert — meist auf Grund gleichzeitiger Berichte —
das Treiben der verschiedenen Parteien innerhalb der Stadt, den Kampf der
Rathspartei mit der demokratisch gesinnten Hefe des Volks, ferner die Bestre¬
bungen der schwedisch gesinnten Prediger und das rastlose, aber meist vergeb¬
liche Bemühen des seine Soldatenehre über alles schätzenden Obersten Falkenberg.
Das Gebot dieser seiner Soldatenehre habe schließlich Falkenberg dazu getrieben,
die Stadt anzuzünden. Sofern diese Meinung beschränkt wird auf die Ein¬
äscherung des Rathhauses, so liegt dafür ein directer, unzweifelhaft historisch
treuer Bericht als Zeugniß vor. In ihm heißt es: „Weil Falkenberg aber
gesehen, daß Alles voller Verrätherei und solches mit Wissen des Rathes ge¬
schehen sein müsse, läßt er an verschiedenen Orten Feuer in das Rathhaus legen,
so auch in Einem dergestalt überhandgenommenen, daß keiner davon gekommen,
sondern alle Verräther verbrannt." Aber daneben ist die andere Möglichkeit
nicht ausgeschlossen, daß die Magdeburger seine Schuld theilen. Es ist nach
Wittichs Forschungen als erwiesen anzusehen, daß Tilly ein EinVerständniß mit
der Gegenpartei Falkenbergs in der Stadt unterhalten hat, welches ihm die
Eroberung erleichterte. Nicht minder gut bezeugt ist, daß ein Theil der Bürger,
der bis zuletzt treu an der schwedischen Sache festgehalten hatte, den heroischen
Entschluß gefaßt hatte, „mit Frau und Kindern lieber zu sterben, denn in der
Feinde Hände zu fallen", worauf der gleichzeitige Bericht fortfährt: „Und als
die Bürger gesehen, daß sie sich doch nicht würden retten können, haben sie selber
die Stadt mehr als an zwölf Orten in Brand gesteckt, dadurch diese herrliche
Stadt ganz eingeäschert worden." So ist es ganz undenkbar, nochmals die alte
Meinung aufzufrischen, daß Gustav Adolf, oder auch daß Tilly den Brand der
Stadt veranlaßt habe.

Dennoch sind die Forschungen über die Magdeburger Katastrophe noch
nicht abgeschlossen. Ein anderer genauer Kenner der Zeit des 30 jährigen
Krieges, Professor Opel in Halle, hat — in seiner Recension des Wittichschen


GmiMen 1. S4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146442"/>
          <p xml:id="ID_1496" prev="#ID_1495"> deutung in eine» Schutthaufen verwandelt zu sehen. Dieses strategische Moment<lb/>
spricht auch gegen eine directe Urheberschaft des Brandes von Seiten Pappen-<lb/>
Heims, auf den andere Forscher die Schuld zu wälzen suchten. Aber es giebt<lb/>
noch andere Möglichkeiten, um die Einäscherung Magdeburgs zu erklären, und<lb/>
die neueste Geschichtsforschung ist nicht ohne Erfolg bemüht, diese Möglichkeiten<lb/>
auf Grund ausgebreiteter Forschungen als historische Thatsachen nachzuweisen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1497"> Immer deutlicher stellt sich heraus, daß weder Tilly und Pappenheim den<lb/>
Befehl zur Einäscherung der Stadt gegeben haben, noch daß Gustav Adolf in<lb/>
Folge der Befehle, die er seinem Obersten Falkenberg gegeben hatte, die Ver¬<lb/>
antwortung für die Zerstörung der schönen und blühenden Stadt, des Boll¬<lb/>
werks des Protestantismus, zu tragen hat. Dies nachgewiesen zu haben, ist<lb/>
Wittichs Verdienst. Er schildert &#x2014; meist auf Grund gleichzeitiger Berichte &#x2014;<lb/>
das Treiben der verschiedenen Parteien innerhalb der Stadt, den Kampf der<lb/>
Rathspartei mit der demokratisch gesinnten Hefe des Volks, ferner die Bestre¬<lb/>
bungen der schwedisch gesinnten Prediger und das rastlose, aber meist vergeb¬<lb/>
liche Bemühen des seine Soldatenehre über alles schätzenden Obersten Falkenberg.<lb/>
Das Gebot dieser seiner Soldatenehre habe schließlich Falkenberg dazu getrieben,<lb/>
die Stadt anzuzünden. Sofern diese Meinung beschränkt wird auf die Ein¬<lb/>
äscherung des Rathhauses, so liegt dafür ein directer, unzweifelhaft historisch<lb/>
treuer Bericht als Zeugniß vor. In ihm heißt es: &#x201E;Weil Falkenberg aber<lb/>
gesehen, daß Alles voller Verrätherei und solches mit Wissen des Rathes ge¬<lb/>
schehen sein müsse, läßt er an verschiedenen Orten Feuer in das Rathhaus legen,<lb/>
so auch in Einem dergestalt überhandgenommenen, daß keiner davon gekommen,<lb/>
sondern alle Verräther verbrannt." Aber daneben ist die andere Möglichkeit<lb/>
nicht ausgeschlossen, daß die Magdeburger seine Schuld theilen. Es ist nach<lb/>
Wittichs Forschungen als erwiesen anzusehen, daß Tilly ein EinVerständniß mit<lb/>
der Gegenpartei Falkenbergs in der Stadt unterhalten hat, welches ihm die<lb/>
Eroberung erleichterte. Nicht minder gut bezeugt ist, daß ein Theil der Bürger,<lb/>
der bis zuletzt treu an der schwedischen Sache festgehalten hatte, den heroischen<lb/>
Entschluß gefaßt hatte, &#x201E;mit Frau und Kindern lieber zu sterben, denn in der<lb/>
Feinde Hände zu fallen", worauf der gleichzeitige Bericht fortfährt: &#x201E;Und als<lb/>
die Bürger gesehen, daß sie sich doch nicht würden retten können, haben sie selber<lb/>
die Stadt mehr als an zwölf Orten in Brand gesteckt, dadurch diese herrliche<lb/>
Stadt ganz eingeäschert worden." So ist es ganz undenkbar, nochmals die alte<lb/>
Meinung aufzufrischen, daß Gustav Adolf, oder auch daß Tilly den Brand der<lb/>
Stadt veranlaßt habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1498" next="#ID_1499"> Dennoch sind die Forschungen über die Magdeburger Katastrophe noch<lb/>
nicht abgeschlossen. Ein anderer genauer Kenner der Zeit des 30 jährigen<lb/>
Krieges, Professor Opel in Halle, hat &#x2014; in seiner Recension des Wittichschen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> GmiMen 1. S4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] deutung in eine» Schutthaufen verwandelt zu sehen. Dieses strategische Moment spricht auch gegen eine directe Urheberschaft des Brandes von Seiten Pappen- Heims, auf den andere Forscher die Schuld zu wälzen suchten. Aber es giebt noch andere Möglichkeiten, um die Einäscherung Magdeburgs zu erklären, und die neueste Geschichtsforschung ist nicht ohne Erfolg bemüht, diese Möglichkeiten auf Grund ausgebreiteter Forschungen als historische Thatsachen nachzuweisen. Immer deutlicher stellt sich heraus, daß weder Tilly und Pappenheim den Befehl zur Einäscherung der Stadt gegeben haben, noch daß Gustav Adolf in Folge der Befehle, die er seinem Obersten Falkenberg gegeben hatte, die Ver¬ antwortung für die Zerstörung der schönen und blühenden Stadt, des Boll¬ werks des Protestantismus, zu tragen hat. Dies nachgewiesen zu haben, ist Wittichs Verdienst. Er schildert — meist auf Grund gleichzeitiger Berichte — das Treiben der verschiedenen Parteien innerhalb der Stadt, den Kampf der Rathspartei mit der demokratisch gesinnten Hefe des Volks, ferner die Bestre¬ bungen der schwedisch gesinnten Prediger und das rastlose, aber meist vergeb¬ liche Bemühen des seine Soldatenehre über alles schätzenden Obersten Falkenberg. Das Gebot dieser seiner Soldatenehre habe schließlich Falkenberg dazu getrieben, die Stadt anzuzünden. Sofern diese Meinung beschränkt wird auf die Ein¬ äscherung des Rathhauses, so liegt dafür ein directer, unzweifelhaft historisch treuer Bericht als Zeugniß vor. In ihm heißt es: „Weil Falkenberg aber gesehen, daß Alles voller Verrätherei und solches mit Wissen des Rathes ge¬ schehen sein müsse, läßt er an verschiedenen Orten Feuer in das Rathhaus legen, so auch in Einem dergestalt überhandgenommenen, daß keiner davon gekommen, sondern alle Verräther verbrannt." Aber daneben ist die andere Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß die Magdeburger seine Schuld theilen. Es ist nach Wittichs Forschungen als erwiesen anzusehen, daß Tilly ein EinVerständniß mit der Gegenpartei Falkenbergs in der Stadt unterhalten hat, welches ihm die Eroberung erleichterte. Nicht minder gut bezeugt ist, daß ein Theil der Bürger, der bis zuletzt treu an der schwedischen Sache festgehalten hatte, den heroischen Entschluß gefaßt hatte, „mit Frau und Kindern lieber zu sterben, denn in der Feinde Hände zu fallen", worauf der gleichzeitige Bericht fortfährt: „Und als die Bürger gesehen, daß sie sich doch nicht würden retten können, haben sie selber die Stadt mehr als an zwölf Orten in Brand gesteckt, dadurch diese herrliche Stadt ganz eingeäschert worden." So ist es ganz undenkbar, nochmals die alte Meinung aufzufrischen, daß Gustav Adolf, oder auch daß Tilly den Brand der Stadt veranlaßt habe. Dennoch sind die Forschungen über die Magdeburger Katastrophe noch nicht abgeschlossen. Ein anderer genauer Kenner der Zeit des 30 jährigen Krieges, Professor Opel in Halle, hat — in seiner Recension des Wittichschen GmiMen 1. S4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/513>, abgerufen am 23.07.2024.