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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Ereigniß aus der schwedischen Periode des 30 jährigen Krieges, an welchem wir
den Entwicklungsgang der verschiedenartigen, einander sich ablösenden Auffas¬
sungen klarer erkennen könnten, als die grausame Plünderung und Zerstörung
Magdeburgs.

Die ältere Meinung, die namentlich durch Schiller Verbreitung fand, be¬
zeichnete Tilly als den Zerstörer Magdeburgs. An die Schilderung, welche
Schiller von dem grausamen Verhalten Tillys entwirft, lehnt sich die Auffassung
Tillys als eines rohen und grausamen Kriegers an, welche seit alter Zeit für diesen
Feldherrn typisch geworden war und auch heute uoch, wie früher, in der Meinung
des Volkes die herrschende ist. Besonders empören jeden Leser des Schillerschen
Geschichtswerks die Worte, die Tilly seinen Offizieren zugerufen haben soll, als
sie ihn erinnerten, er möge dem Blutbad Einhalt thun: "Kommt in einer Stunde
wieder; ich werde dann sehen, was ich thun werde. Der Soldat muß für seine
Gefahr und Arbeit etwas haben." Freilich ist, wenn auch dieser Bericht in
seiner grellen Färbung sich als nicht historisch getreu erwiesen hat, doch andrer¬
seits das Bemühen verschiedener Historiker, Tilly von aller Schuld und von
jeder Grausamkeit freizusprechen, ein ebenso fruchtloses. Schon vor der Ein¬
nahme Magdeburgs lasteten himmelschreiende Gräuelthaten auf Tilly, so bei
seinem Uebergange über die Weser 1625 und bei der Einnahme Mündens 1626.

Vor allem handelt es sich bei der historischen Betrachtung der Zerstörung
Magdeburgs um die Frage, von wem der Befehl zur Einäscherung der Stadt
gegeben worden ist. Zuerst hat Hei sing in einer 1846 erschienenen Monographie
nachzuweisen versucht, daß Tilly von der Schuld, die Zerstörung der Stadt ver¬
anlaßt zu haben, freizusprechen sei. Dagegen erhebt er den Verdacht, als habe
"Falkenberg absichtlich Magdeburg erobern lassen, um die Stadt während der
Verwirrung zu verbrennen". Andere haben ihm beigestimmt und haben
-- zunächst nur leise und nur bedingt -- auch Gustav Adolf selbst für die Zer¬
störung der Stadt mit verantwortlich zu machen gesucht.

Aber man ist nicht auf halbem Wege stehen geblieben. Ouro Klopp spricht
bereits von einem teuflischen Plane Gustav Adolfs, durch die völlige Zerstörung
der Stadt seine Interessen zu heben und zu fördern. Man trat offen mit der
Behauptung auf, Gustav Adolf habe die Stadt durch seinen Abgesandten Falken¬
berg anzünden lassen, um an dem Beispiele dieser Stadt den protestantischen
Fürsten zu zeigen, welches Schicksal auch ihren Ländern drohe, und um sie
dadurch um so sicherer in seine Arme zu treiben.

Nun ist es als erwiesen anzusehen, daß Tilly nicht den directen Befehl
zur Einäscherung der Stadt gegeben hat; wir wissen, daß er bei seinem feier¬
lichen Einzuge in die Stadt erschüttert war durch den Anblick der Verwüstung;
schon als Feldherr mußte er bedauern, einen Waffenplatz von solcher Be-


Ereigniß aus der schwedischen Periode des 30 jährigen Krieges, an welchem wir
den Entwicklungsgang der verschiedenartigen, einander sich ablösenden Auffas¬
sungen klarer erkennen könnten, als die grausame Plünderung und Zerstörung
Magdeburgs.

Die ältere Meinung, die namentlich durch Schiller Verbreitung fand, be¬
zeichnete Tilly als den Zerstörer Magdeburgs. An die Schilderung, welche
Schiller von dem grausamen Verhalten Tillys entwirft, lehnt sich die Auffassung
Tillys als eines rohen und grausamen Kriegers an, welche seit alter Zeit für diesen
Feldherrn typisch geworden war und auch heute uoch, wie früher, in der Meinung
des Volkes die herrschende ist. Besonders empören jeden Leser des Schillerschen
Geschichtswerks die Worte, die Tilly seinen Offizieren zugerufen haben soll, als
sie ihn erinnerten, er möge dem Blutbad Einhalt thun: „Kommt in einer Stunde
wieder; ich werde dann sehen, was ich thun werde. Der Soldat muß für seine
Gefahr und Arbeit etwas haben." Freilich ist, wenn auch dieser Bericht in
seiner grellen Färbung sich als nicht historisch getreu erwiesen hat, doch andrer¬
seits das Bemühen verschiedener Historiker, Tilly von aller Schuld und von
jeder Grausamkeit freizusprechen, ein ebenso fruchtloses. Schon vor der Ein¬
nahme Magdeburgs lasteten himmelschreiende Gräuelthaten auf Tilly, so bei
seinem Uebergange über die Weser 1625 und bei der Einnahme Mündens 1626.

Vor allem handelt es sich bei der historischen Betrachtung der Zerstörung
Magdeburgs um die Frage, von wem der Befehl zur Einäscherung der Stadt
gegeben worden ist. Zuerst hat Hei sing in einer 1846 erschienenen Monographie
nachzuweisen versucht, daß Tilly von der Schuld, die Zerstörung der Stadt ver¬
anlaßt zu haben, freizusprechen sei. Dagegen erhebt er den Verdacht, als habe
„Falkenberg absichtlich Magdeburg erobern lassen, um die Stadt während der
Verwirrung zu verbrennen". Andere haben ihm beigestimmt und haben
— zunächst nur leise und nur bedingt — auch Gustav Adolf selbst für die Zer¬
störung der Stadt mit verantwortlich zu machen gesucht.

Aber man ist nicht auf halbem Wege stehen geblieben. Ouro Klopp spricht
bereits von einem teuflischen Plane Gustav Adolfs, durch die völlige Zerstörung
der Stadt seine Interessen zu heben und zu fördern. Man trat offen mit der
Behauptung auf, Gustav Adolf habe die Stadt durch seinen Abgesandten Falken¬
berg anzünden lassen, um an dem Beispiele dieser Stadt den protestantischen
Fürsten zu zeigen, welches Schicksal auch ihren Ländern drohe, und um sie
dadurch um so sicherer in seine Arme zu treiben.

Nun ist es als erwiesen anzusehen, daß Tilly nicht den directen Befehl
zur Einäscherung der Stadt gegeben hat; wir wissen, daß er bei seinem feier¬
lichen Einzuge in die Stadt erschüttert war durch den Anblick der Verwüstung;
schon als Feldherr mußte er bedauern, einen Waffenplatz von solcher Be-


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[0512] Ereigniß aus der schwedischen Periode des 30 jährigen Krieges, an welchem wir den Entwicklungsgang der verschiedenartigen, einander sich ablösenden Auffas¬ sungen klarer erkennen könnten, als die grausame Plünderung und Zerstörung Magdeburgs. Die ältere Meinung, die namentlich durch Schiller Verbreitung fand, be¬ zeichnete Tilly als den Zerstörer Magdeburgs. An die Schilderung, welche Schiller von dem grausamen Verhalten Tillys entwirft, lehnt sich die Auffassung Tillys als eines rohen und grausamen Kriegers an, welche seit alter Zeit für diesen Feldherrn typisch geworden war und auch heute uoch, wie früher, in der Meinung des Volkes die herrschende ist. Besonders empören jeden Leser des Schillerschen Geschichtswerks die Worte, die Tilly seinen Offizieren zugerufen haben soll, als sie ihn erinnerten, er möge dem Blutbad Einhalt thun: „Kommt in einer Stunde wieder; ich werde dann sehen, was ich thun werde. Der Soldat muß für seine Gefahr und Arbeit etwas haben." Freilich ist, wenn auch dieser Bericht in seiner grellen Färbung sich als nicht historisch getreu erwiesen hat, doch andrer¬ seits das Bemühen verschiedener Historiker, Tilly von aller Schuld und von jeder Grausamkeit freizusprechen, ein ebenso fruchtloses. Schon vor der Ein¬ nahme Magdeburgs lasteten himmelschreiende Gräuelthaten auf Tilly, so bei seinem Uebergange über die Weser 1625 und bei der Einnahme Mündens 1626. Vor allem handelt es sich bei der historischen Betrachtung der Zerstörung Magdeburgs um die Frage, von wem der Befehl zur Einäscherung der Stadt gegeben worden ist. Zuerst hat Hei sing in einer 1846 erschienenen Monographie nachzuweisen versucht, daß Tilly von der Schuld, die Zerstörung der Stadt ver¬ anlaßt zu haben, freizusprechen sei. Dagegen erhebt er den Verdacht, als habe „Falkenberg absichtlich Magdeburg erobern lassen, um die Stadt während der Verwirrung zu verbrennen". Andere haben ihm beigestimmt und haben — zunächst nur leise und nur bedingt — auch Gustav Adolf selbst für die Zer¬ störung der Stadt mit verantwortlich zu machen gesucht. Aber man ist nicht auf halbem Wege stehen geblieben. Ouro Klopp spricht bereits von einem teuflischen Plane Gustav Adolfs, durch die völlige Zerstörung der Stadt seine Interessen zu heben und zu fördern. Man trat offen mit der Behauptung auf, Gustav Adolf habe die Stadt durch seinen Abgesandten Falken¬ berg anzünden lassen, um an dem Beispiele dieser Stadt den protestantischen Fürsten zu zeigen, welches Schicksal auch ihren Ländern drohe, und um sie dadurch um so sicherer in seine Arme zu treiben. Nun ist es als erwiesen anzusehen, daß Tilly nicht den directen Befehl zur Einäscherung der Stadt gegeben hat; wir wissen, daß er bei seinem feier¬ lichen Einzuge in die Stadt erschüttert war durch den Anblick der Verwüstung; schon als Feldherr mußte er bedauern, einen Waffenplatz von solcher Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/512>, abgerufen am 23.07.2024.