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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Oesterreich-Ungarn, so war ein Hinzutritt Frankreichs zu der Coalition nicht
bloß eine Möglichkeit, sondern wahrscheinlich und kaum noch eine Frage der Zeit.
Ob dann aber England zu Deutschland gehalten hätte, war zweifelhaft, da die
brittische Politik nicht leicht Partei für eine Macht ergreift, die nicht als Ueber¬
macht erscheint. Daß es damals in Wien eine russisch gesinnte Partei gab,
war allgemein bekannt. Daß man sich auf der Basis: Rußland bekommt bis
zu einem gewissen Grade freie Hand auf der Balkanhalbinsel und verhilft dafür
den Oesterreichern zur Wiedererriugung ihres Einflusses in Deutschland und
zur Erweiterung und Verstärkung desselben gegen früher, verständigen könne,
war denkbar. Kurz, man hatte Ursache, den politischen Horizont im Südosten
trübe zu finden.

Das Erscheinen Andmssys in Gastein zerstreute diese Wolken vollständig. Nach
der Art und Weise, in der er sich äußerte, war keine der Befürchtungen, die der
Fürst Bismarck in der letzten Zeit in Betreff Oesterreich-Ungarns gehegt hatte,
thatsächlich begründet. Da nahm der Reichskanzler Gelegenheit, mit seinem oben
von uns dargelegten Gedanken herauszukommen, und derselbe wurde von Andrassy
wohl aufgenommen und mit Ausnahme der Öffentlichkeit und Verfassungs¬
mäßigkeit des damit angestrebten Bündnisses durchweg gut geheißen. Gegen die
Verfassungsmäßigkeit scheinen den Oesterreichern verschiedene Bedenken, und viel¬
leicht vor allem die Art und Natur ihres Parlaments, die Parteiverhältnisse und
die Besorgniß vor der Neigung vieler Abgeordneten, ohne genügende Kenntniß der
Umstände zu tadeln und zu mäkeln, gesprochen zu haben. Nichtöffentlichkeit mochte
aus ähnlichen Gründen erwünscht sein. Im Uebrigen war man mit den Vor¬
schlägen des deutschen Reichskanzlers einverstanden, und der Kaiser Franz Josef
erklärte sich gleichfalls ganz entschieden für dessen Antrag und die Modalitäten
desselben.

Nicht so rasch aber, vielmehr sehr laugsam und mit möglichstem Wider¬
streben gab Kaiser Wilhelm seine Einwilligung zu einem Abkommen, das zwar
eine Vorsichtsmaßregel gegen Rußlands Uebelwollen, dessen Anmaßung und dessen
offenkundig gewordene treulose Pläne war, aber zugleich von Mißtrauen gegen
die persönliche Freundschaft eingegeben zu sein schien, die den Kaiser Alexander
mit seinem greisen Oheim verknüpfte. Kaum jemals hat der Kanzler so intensiv
und zugleich so massenhaft arbeiten müssen als in den Gnsteiner und Wiener
Tagen, wo es diesen Widerstand zu überwinden galt. Die Reise nach Alexan-
drowo, wo die Russen ein Seitenstück zu der bekannten Scene während des
Wiener Congresses aufführten, bei welcher Alexander I. den König Friedrich
Wilhelm III. durch empfindsame Betheuerung seiner Freundestreue von England
weg und auf seine Seite zu ziehen versuchte, wurde gegen den Wunsch und
Rath des Fürsten unternommen. Schreiben auf Schreiben - "es müssen viele


Oesterreich-Ungarn, so war ein Hinzutritt Frankreichs zu der Coalition nicht
bloß eine Möglichkeit, sondern wahrscheinlich und kaum noch eine Frage der Zeit.
Ob dann aber England zu Deutschland gehalten hätte, war zweifelhaft, da die
brittische Politik nicht leicht Partei für eine Macht ergreift, die nicht als Ueber¬
macht erscheint. Daß es damals in Wien eine russisch gesinnte Partei gab,
war allgemein bekannt. Daß man sich auf der Basis: Rußland bekommt bis
zu einem gewissen Grade freie Hand auf der Balkanhalbinsel und verhilft dafür
den Oesterreichern zur Wiedererriugung ihres Einflusses in Deutschland und
zur Erweiterung und Verstärkung desselben gegen früher, verständigen könne,
war denkbar. Kurz, man hatte Ursache, den politischen Horizont im Südosten
trübe zu finden.

Das Erscheinen Andmssys in Gastein zerstreute diese Wolken vollständig. Nach
der Art und Weise, in der er sich äußerte, war keine der Befürchtungen, die der
Fürst Bismarck in der letzten Zeit in Betreff Oesterreich-Ungarns gehegt hatte,
thatsächlich begründet. Da nahm der Reichskanzler Gelegenheit, mit seinem oben
von uns dargelegten Gedanken herauszukommen, und derselbe wurde von Andrassy
wohl aufgenommen und mit Ausnahme der Öffentlichkeit und Verfassungs¬
mäßigkeit des damit angestrebten Bündnisses durchweg gut geheißen. Gegen die
Verfassungsmäßigkeit scheinen den Oesterreichern verschiedene Bedenken, und viel¬
leicht vor allem die Art und Natur ihres Parlaments, die Parteiverhältnisse und
die Besorgniß vor der Neigung vieler Abgeordneten, ohne genügende Kenntniß der
Umstände zu tadeln und zu mäkeln, gesprochen zu haben. Nichtöffentlichkeit mochte
aus ähnlichen Gründen erwünscht sein. Im Uebrigen war man mit den Vor¬
schlägen des deutschen Reichskanzlers einverstanden, und der Kaiser Franz Josef
erklärte sich gleichfalls ganz entschieden für dessen Antrag und die Modalitäten
desselben.

Nicht so rasch aber, vielmehr sehr laugsam und mit möglichstem Wider¬
streben gab Kaiser Wilhelm seine Einwilligung zu einem Abkommen, das zwar
eine Vorsichtsmaßregel gegen Rußlands Uebelwollen, dessen Anmaßung und dessen
offenkundig gewordene treulose Pläne war, aber zugleich von Mißtrauen gegen
die persönliche Freundschaft eingegeben zu sein schien, die den Kaiser Alexander
mit seinem greisen Oheim verknüpfte. Kaum jemals hat der Kanzler so intensiv
und zugleich so massenhaft arbeiten müssen als in den Gnsteiner und Wiener
Tagen, wo es diesen Widerstand zu überwinden galt. Die Reise nach Alexan-
drowo, wo die Russen ein Seitenstück zu der bekannten Scene während des
Wiener Congresses aufführten, bei welcher Alexander I. den König Friedrich
Wilhelm III. durch empfindsame Betheuerung seiner Freundestreue von England
weg und auf seine Seite zu ziehen versuchte, wurde gegen den Wunsch und
Rath des Fürsten unternommen. Schreiben auf Schreiben - „es müssen viele


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[0491] Oesterreich-Ungarn, so war ein Hinzutritt Frankreichs zu der Coalition nicht bloß eine Möglichkeit, sondern wahrscheinlich und kaum noch eine Frage der Zeit. Ob dann aber England zu Deutschland gehalten hätte, war zweifelhaft, da die brittische Politik nicht leicht Partei für eine Macht ergreift, die nicht als Ueber¬ macht erscheint. Daß es damals in Wien eine russisch gesinnte Partei gab, war allgemein bekannt. Daß man sich auf der Basis: Rußland bekommt bis zu einem gewissen Grade freie Hand auf der Balkanhalbinsel und verhilft dafür den Oesterreichern zur Wiedererriugung ihres Einflusses in Deutschland und zur Erweiterung und Verstärkung desselben gegen früher, verständigen könne, war denkbar. Kurz, man hatte Ursache, den politischen Horizont im Südosten trübe zu finden. Das Erscheinen Andmssys in Gastein zerstreute diese Wolken vollständig. Nach der Art und Weise, in der er sich äußerte, war keine der Befürchtungen, die der Fürst Bismarck in der letzten Zeit in Betreff Oesterreich-Ungarns gehegt hatte, thatsächlich begründet. Da nahm der Reichskanzler Gelegenheit, mit seinem oben von uns dargelegten Gedanken herauszukommen, und derselbe wurde von Andrassy wohl aufgenommen und mit Ausnahme der Öffentlichkeit und Verfassungs¬ mäßigkeit des damit angestrebten Bündnisses durchweg gut geheißen. Gegen die Verfassungsmäßigkeit scheinen den Oesterreichern verschiedene Bedenken, und viel¬ leicht vor allem die Art und Natur ihres Parlaments, die Parteiverhältnisse und die Besorgniß vor der Neigung vieler Abgeordneten, ohne genügende Kenntniß der Umstände zu tadeln und zu mäkeln, gesprochen zu haben. Nichtöffentlichkeit mochte aus ähnlichen Gründen erwünscht sein. Im Uebrigen war man mit den Vor¬ schlägen des deutschen Reichskanzlers einverstanden, und der Kaiser Franz Josef erklärte sich gleichfalls ganz entschieden für dessen Antrag und die Modalitäten desselben. Nicht so rasch aber, vielmehr sehr laugsam und mit möglichstem Wider¬ streben gab Kaiser Wilhelm seine Einwilligung zu einem Abkommen, das zwar eine Vorsichtsmaßregel gegen Rußlands Uebelwollen, dessen Anmaßung und dessen offenkundig gewordene treulose Pläne war, aber zugleich von Mißtrauen gegen die persönliche Freundschaft eingegeben zu sein schien, die den Kaiser Alexander mit seinem greisen Oheim verknüpfte. Kaum jemals hat der Kanzler so intensiv und zugleich so massenhaft arbeiten müssen als in den Gnsteiner und Wiener Tagen, wo es diesen Widerstand zu überwinden galt. Die Reise nach Alexan- drowo, wo die Russen ein Seitenstück zu der bekannten Scene während des Wiener Congresses aufführten, bei welcher Alexander I. den König Friedrich Wilhelm III. durch empfindsame Betheuerung seiner Freundestreue von England weg und auf seine Seite zu ziehen versuchte, wurde gegen den Wunsch und Rath des Fürsten unternommen. Schreiben auf Schreiben - „es müssen viele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/491>, abgerufen am 23.07.2024.