Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Voraussetzung des bisherigen Verfahrens der Oesterreicher eine irrthümliche und
daß Preußen eine ebenbürtige Macht sei, die sich nicht unter allen Umständen
an eine andere Großmacht anlehnen müsse, und die sich mit Gewalt verschaffen
könne, was ihr gebühre und freundschaftlicher Vorstellung vorenthalten werde.
Oesterreich wurde aus dem Bunde, der mit ihm eine Unnatur geworden, ent¬
fernt, und Preußen verständigte sich mit den anderen Bundesgenossen auf billigen
Grundlagen.

Fürst Bismarck aber gab damit seinen alten Gedanken keineswegs auf, nur
mußte derselbe nunmehr bei Bestrebungen zu seiner Verwirklichung selbstver¬
ständlich eine andere Gestalt und Fassung annehmen. Die Combination, die
dem Reichskanzler zuletzt vorschwebte, war nachstehende: er wollte zwischen
Deutschland und Oesterreich-Ungarn ein "öffentliches verfassungs¬
mäßiges Bündniß gegen eine Coalition" herstellen, das, durch Mit¬
wirkung aller constitutionellen Factoren zu Stande gekommen, auch nur durch
solches Zusammenwirken, also nur mit Zustimmung in Deutschland des Kaisers,
des Bundesraths und des Reichstags, in Oesterreich des Monarchen und der
Vertretung von Cis- und Transleithanien, auflösbar sein sollte. Vorbereitende
Schritte nach diesem Ziele hin blieben unter Beust erfolglos. Andrassy schien
geneigter.

So kam der russisch-türkische Krieg heran, der Berliner Congreß, die Aus¬
führung der Stipulationen desselben und in Bezug auf letztere erst nur dringende,
bald aber drohende Mahnungen der Russen, die Regierung des Kaisers Wilhelm
möge die Interessen derselben wahrnehmen und ihre Ansprüche unterstützen -- ^
Ansprüche, die auch unbillige und gefährliche Forderungen einschlossen. Diese
Mahnungen wurden in immer gebieterischerem, anmaßenderem Tone vorgebracht,
sie wurden zuletzt förmlich brutal. Und daneben gingen Intriguen aller Art
her. Die moskowitische Diplomatie suchte nach Bundesgenossen gegen Deutsch¬
land, u. a. in Paris, wo der General Obrutscheff, der Adjutant und Vertraute
des Kriegsministers Milutin, die betreffenden Ränke spann, wo man den Ver¬
sucher aber nicht nur abwies, sondern -- "wie eine tugendhafte Frau es ihrem
Manne sagt, wenn jemand ihr unanständige Anträge macht" -- diese Machi¬
nationen auch deutschen Diplomaten mittheilte.

Als die Drohungen aber fortdauerten, konnte man sich in Berlin dieses
dreiste Auftreten kaum noch anders, als mit der Vermuthung erklären, daß
zwischen Wien und Petersburg ein Einvernehmen entweder schon bestehe oder
im Werke sei. Die Reise Andrassys nach Petersburg und verschiedene andere
Beobachtungen hatten diese Befürchtung nahe gelegt, und mit ernster Besorgnis;
ging der Kanzler im vorigen Sommer von Kissingen nach Gastein; denn kam
es zu einem gegen Deutschland gerichteten Bündnisse zwischen Rußland und


Voraussetzung des bisherigen Verfahrens der Oesterreicher eine irrthümliche und
daß Preußen eine ebenbürtige Macht sei, die sich nicht unter allen Umständen
an eine andere Großmacht anlehnen müsse, und die sich mit Gewalt verschaffen
könne, was ihr gebühre und freundschaftlicher Vorstellung vorenthalten werde.
Oesterreich wurde aus dem Bunde, der mit ihm eine Unnatur geworden, ent¬
fernt, und Preußen verständigte sich mit den anderen Bundesgenossen auf billigen
Grundlagen.

Fürst Bismarck aber gab damit seinen alten Gedanken keineswegs auf, nur
mußte derselbe nunmehr bei Bestrebungen zu seiner Verwirklichung selbstver¬
ständlich eine andere Gestalt und Fassung annehmen. Die Combination, die
dem Reichskanzler zuletzt vorschwebte, war nachstehende: er wollte zwischen
Deutschland und Oesterreich-Ungarn ein „öffentliches verfassungs¬
mäßiges Bündniß gegen eine Coalition" herstellen, das, durch Mit¬
wirkung aller constitutionellen Factoren zu Stande gekommen, auch nur durch
solches Zusammenwirken, also nur mit Zustimmung in Deutschland des Kaisers,
des Bundesraths und des Reichstags, in Oesterreich des Monarchen und der
Vertretung von Cis- und Transleithanien, auflösbar sein sollte. Vorbereitende
Schritte nach diesem Ziele hin blieben unter Beust erfolglos. Andrassy schien
geneigter.

So kam der russisch-türkische Krieg heran, der Berliner Congreß, die Aus¬
führung der Stipulationen desselben und in Bezug auf letztere erst nur dringende,
bald aber drohende Mahnungen der Russen, die Regierung des Kaisers Wilhelm
möge die Interessen derselben wahrnehmen und ihre Ansprüche unterstützen — ^
Ansprüche, die auch unbillige und gefährliche Forderungen einschlossen. Diese
Mahnungen wurden in immer gebieterischerem, anmaßenderem Tone vorgebracht,
sie wurden zuletzt förmlich brutal. Und daneben gingen Intriguen aller Art
her. Die moskowitische Diplomatie suchte nach Bundesgenossen gegen Deutsch¬
land, u. a. in Paris, wo der General Obrutscheff, der Adjutant und Vertraute
des Kriegsministers Milutin, die betreffenden Ränke spann, wo man den Ver¬
sucher aber nicht nur abwies, sondern — „wie eine tugendhafte Frau es ihrem
Manne sagt, wenn jemand ihr unanständige Anträge macht" — diese Machi¬
nationen auch deutschen Diplomaten mittheilte.

Als die Drohungen aber fortdauerten, konnte man sich in Berlin dieses
dreiste Auftreten kaum noch anders, als mit der Vermuthung erklären, daß
zwischen Wien und Petersburg ein Einvernehmen entweder schon bestehe oder
im Werke sei. Die Reise Andrassys nach Petersburg und verschiedene andere
Beobachtungen hatten diese Befürchtung nahe gelegt, und mit ernster Besorgnis;
ging der Kanzler im vorigen Sommer von Kissingen nach Gastein; denn kam
es zu einem gegen Deutschland gerichteten Bündnisse zwischen Rußland und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146419"/>
          <p xml:id="ID_1430" prev="#ID_1429"> Voraussetzung des bisherigen Verfahrens der Oesterreicher eine irrthümliche und<lb/>
daß Preußen eine ebenbürtige Macht sei, die sich nicht unter allen Umständen<lb/>
an eine andere Großmacht anlehnen müsse, und die sich mit Gewalt verschaffen<lb/>
könne, was ihr gebühre und freundschaftlicher Vorstellung vorenthalten werde.<lb/>
Oesterreich wurde aus dem Bunde, der mit ihm eine Unnatur geworden, ent¬<lb/>
fernt, und Preußen verständigte sich mit den anderen Bundesgenossen auf billigen<lb/>
Grundlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1431"> Fürst Bismarck aber gab damit seinen alten Gedanken keineswegs auf, nur<lb/>
mußte derselbe nunmehr bei Bestrebungen zu seiner Verwirklichung selbstver¬<lb/>
ständlich eine andere Gestalt und Fassung annehmen. Die Combination, die<lb/>
dem Reichskanzler zuletzt vorschwebte, war nachstehende: er wollte zwischen<lb/>
Deutschland und Oesterreich-Ungarn ein &#x201E;öffentliches verfassungs¬<lb/>
mäßiges Bündniß gegen eine Coalition" herstellen, das, durch Mit¬<lb/>
wirkung aller constitutionellen Factoren zu Stande gekommen, auch nur durch<lb/>
solches Zusammenwirken, also nur mit Zustimmung in Deutschland des Kaisers,<lb/>
des Bundesraths und des Reichstags, in Oesterreich des Monarchen und der<lb/>
Vertretung von Cis- und Transleithanien, auflösbar sein sollte. Vorbereitende<lb/>
Schritte nach diesem Ziele hin blieben unter Beust erfolglos. Andrassy schien<lb/>
geneigter.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1432"> So kam der russisch-türkische Krieg heran, der Berliner Congreß, die Aus¬<lb/>
führung der Stipulationen desselben und in Bezug auf letztere erst nur dringende,<lb/>
bald aber drohende Mahnungen der Russen, die Regierung des Kaisers Wilhelm<lb/>
möge die Interessen derselben wahrnehmen und ihre Ansprüche unterstützen &#x2014; ^<lb/>
Ansprüche, die auch unbillige und gefährliche Forderungen einschlossen. Diese<lb/>
Mahnungen wurden in immer gebieterischerem, anmaßenderem Tone vorgebracht,<lb/>
sie wurden zuletzt förmlich brutal. Und daneben gingen Intriguen aller Art<lb/>
her. Die moskowitische Diplomatie suchte nach Bundesgenossen gegen Deutsch¬<lb/>
land, u. a. in Paris, wo der General Obrutscheff, der Adjutant und Vertraute<lb/>
des Kriegsministers Milutin, die betreffenden Ränke spann, wo man den Ver¬<lb/>
sucher aber nicht nur abwies, sondern &#x2014; &#x201E;wie eine tugendhafte Frau es ihrem<lb/>
Manne sagt, wenn jemand ihr unanständige Anträge macht" &#x2014; diese Machi¬<lb/>
nationen auch deutschen Diplomaten mittheilte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1433" next="#ID_1434"> Als die Drohungen aber fortdauerten, konnte man sich in Berlin dieses<lb/>
dreiste Auftreten kaum noch anders, als mit der Vermuthung erklären, daß<lb/>
zwischen Wien und Petersburg ein Einvernehmen entweder schon bestehe oder<lb/>
im Werke sei. Die Reise Andrassys nach Petersburg und verschiedene andere<lb/>
Beobachtungen hatten diese Befürchtung nahe gelegt, und mit ernster Besorgnis;<lb/>
ging der Kanzler im vorigen Sommer von Kissingen nach Gastein; denn kam<lb/>
es zu einem gegen Deutschland gerichteten Bündnisse zwischen Rußland und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] Voraussetzung des bisherigen Verfahrens der Oesterreicher eine irrthümliche und daß Preußen eine ebenbürtige Macht sei, die sich nicht unter allen Umständen an eine andere Großmacht anlehnen müsse, und die sich mit Gewalt verschaffen könne, was ihr gebühre und freundschaftlicher Vorstellung vorenthalten werde. Oesterreich wurde aus dem Bunde, der mit ihm eine Unnatur geworden, ent¬ fernt, und Preußen verständigte sich mit den anderen Bundesgenossen auf billigen Grundlagen. Fürst Bismarck aber gab damit seinen alten Gedanken keineswegs auf, nur mußte derselbe nunmehr bei Bestrebungen zu seiner Verwirklichung selbstver¬ ständlich eine andere Gestalt und Fassung annehmen. Die Combination, die dem Reichskanzler zuletzt vorschwebte, war nachstehende: er wollte zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn ein „öffentliches verfassungs¬ mäßiges Bündniß gegen eine Coalition" herstellen, das, durch Mit¬ wirkung aller constitutionellen Factoren zu Stande gekommen, auch nur durch solches Zusammenwirken, also nur mit Zustimmung in Deutschland des Kaisers, des Bundesraths und des Reichstags, in Oesterreich des Monarchen und der Vertretung von Cis- und Transleithanien, auflösbar sein sollte. Vorbereitende Schritte nach diesem Ziele hin blieben unter Beust erfolglos. Andrassy schien geneigter. So kam der russisch-türkische Krieg heran, der Berliner Congreß, die Aus¬ führung der Stipulationen desselben und in Bezug auf letztere erst nur dringende, bald aber drohende Mahnungen der Russen, die Regierung des Kaisers Wilhelm möge die Interessen derselben wahrnehmen und ihre Ansprüche unterstützen — ^ Ansprüche, die auch unbillige und gefährliche Forderungen einschlossen. Diese Mahnungen wurden in immer gebieterischerem, anmaßenderem Tone vorgebracht, sie wurden zuletzt förmlich brutal. Und daneben gingen Intriguen aller Art her. Die moskowitische Diplomatie suchte nach Bundesgenossen gegen Deutsch¬ land, u. a. in Paris, wo der General Obrutscheff, der Adjutant und Vertraute des Kriegsministers Milutin, die betreffenden Ränke spann, wo man den Ver¬ sucher aber nicht nur abwies, sondern — „wie eine tugendhafte Frau es ihrem Manne sagt, wenn jemand ihr unanständige Anträge macht" — diese Machi¬ nationen auch deutschen Diplomaten mittheilte. Als die Drohungen aber fortdauerten, konnte man sich in Berlin dieses dreiste Auftreten kaum noch anders, als mit der Vermuthung erklären, daß zwischen Wien und Petersburg ein Einvernehmen entweder schon bestehe oder im Werke sei. Die Reise Andrassys nach Petersburg und verschiedene andere Beobachtungen hatten diese Befürchtung nahe gelegt, und mit ernster Besorgnis; ging der Kanzler im vorigen Sommer von Kissingen nach Gastein; denn kam es zu einem gegen Deutschland gerichteten Bündnisse zwischen Rußland und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/490>, abgerufen am 23.07.2024.