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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Zur Geschichte des deutsch-österreichischen Bündnisses.

Das Schreiben, mit welchem Kaiser Wilhelm seinem Neffen in Petersburg
zum Mißlingen des letzten Nihilisten-Attentats Glück wünschte, und noch mehr
der Umstand, daß jenes Schreiben die Unterschrift des Fürsten Bismarck trug,
giebt Veranlassung, vor Ueberschätzung dieser Höflichkeit zu warnen, wobei man
nur auf die Natur der Entfremdung der beiden Hofe und Regierungen und auf
die Entwicklung des Bündnisses mit Oesterreich zurückzublicken braucht. Die letz¬
tere ist eine sehr natürliche gewesen, bedarf indeß noch immer einiger Aufklärung.

Wir haben Grund, dieses Bündniß als die Verwirklichung eines alten
Gedankens, als die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches unseres Reichs¬
kanzlers aufzufassen, der bis in das Jahr 1852 zurückreicht, aber Jahrzehnte
hindurch, so oft Versuche zu seiner Ausführung unternommen wurden, an dem
Widerstande scheiterte, den er in den maßgebenden Kreisen in Wien, erst an der
Schwarzenbergschen, dann an der Beustschen Politik fand. Der Gedanke war,
als der deutsche Bund noch bestand, kurz ausgedrückt folgender: Oesterreich
entsage seinem Anspruch, in Deutschland die allein gebietende Macht zu sein, es
gebe sein Bestreben, Preußen bei jeder Gelegenheit zu beschränken und herab¬
zudrücken, auf und lasse dasselbe im Bunde zu einer Stellung gelangen, welche
ihm gestattet, seine gesammte Kraft für gemeinsame Zwecke nach außen hin ein¬
zusetzen. Preußen wird dafür zu einer treuen und festen Verbindung der beiden
Mächte und zur Abwehr von Angriffen, die von Seiten der Nachbarinächte
drohen, bereitwillig die Hand bieten.

In Wien zögerte man, hierauf einzugehen, und setzte die bisherige Politik
fort, indem man der Meinung war, Preußen habe solche Angriffe am meisten
M fürchten, es bedürfe mehr als ein anderer Staat fremder Geneigtheit und
Hilfe, und so müsse es sich gefallen lassen, von Mächten, die ihm solche ge¬
währen konnten, nicht auf gleichem Fuße, ja rücksichtslos behandelt zu werden.
So war man in Berlin 1866, um Gerechtigkeit zu erlangen und um seiner
Selbsterhaltung willen, genöthigt, den praktischen Beweis zu führen, daß die


Grenzboten I. 1880. 61
Zur Geschichte des deutsch-österreichischen Bündnisses.

Das Schreiben, mit welchem Kaiser Wilhelm seinem Neffen in Petersburg
zum Mißlingen des letzten Nihilisten-Attentats Glück wünschte, und noch mehr
der Umstand, daß jenes Schreiben die Unterschrift des Fürsten Bismarck trug,
giebt Veranlassung, vor Ueberschätzung dieser Höflichkeit zu warnen, wobei man
nur auf die Natur der Entfremdung der beiden Hofe und Regierungen und auf
die Entwicklung des Bündnisses mit Oesterreich zurückzublicken braucht. Die letz¬
tere ist eine sehr natürliche gewesen, bedarf indeß noch immer einiger Aufklärung.

Wir haben Grund, dieses Bündniß als die Verwirklichung eines alten
Gedankens, als die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches unseres Reichs¬
kanzlers aufzufassen, der bis in das Jahr 1852 zurückreicht, aber Jahrzehnte
hindurch, so oft Versuche zu seiner Ausführung unternommen wurden, an dem
Widerstande scheiterte, den er in den maßgebenden Kreisen in Wien, erst an der
Schwarzenbergschen, dann an der Beustschen Politik fand. Der Gedanke war,
als der deutsche Bund noch bestand, kurz ausgedrückt folgender: Oesterreich
entsage seinem Anspruch, in Deutschland die allein gebietende Macht zu sein, es
gebe sein Bestreben, Preußen bei jeder Gelegenheit zu beschränken und herab¬
zudrücken, auf und lasse dasselbe im Bunde zu einer Stellung gelangen, welche
ihm gestattet, seine gesammte Kraft für gemeinsame Zwecke nach außen hin ein¬
zusetzen. Preußen wird dafür zu einer treuen und festen Verbindung der beiden
Mächte und zur Abwehr von Angriffen, die von Seiten der Nachbarinächte
drohen, bereitwillig die Hand bieten.

In Wien zögerte man, hierauf einzugehen, und setzte die bisherige Politik
fort, indem man der Meinung war, Preußen habe solche Angriffe am meisten
M fürchten, es bedürfe mehr als ein anderer Staat fremder Geneigtheit und
Hilfe, und so müsse es sich gefallen lassen, von Mächten, die ihm solche ge¬
währen konnten, nicht auf gleichem Fuße, ja rücksichtslos behandelt zu werden.
So war man in Berlin 1866, um Gerechtigkeit zu erlangen und um seiner
Selbsterhaltung willen, genöthigt, den praktischen Beweis zu führen, daß die


Grenzboten I. 1880. 61
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[0489] Zur Geschichte des deutsch-österreichischen Bündnisses. Das Schreiben, mit welchem Kaiser Wilhelm seinem Neffen in Petersburg zum Mißlingen des letzten Nihilisten-Attentats Glück wünschte, und noch mehr der Umstand, daß jenes Schreiben die Unterschrift des Fürsten Bismarck trug, giebt Veranlassung, vor Ueberschätzung dieser Höflichkeit zu warnen, wobei man nur auf die Natur der Entfremdung der beiden Hofe und Regierungen und auf die Entwicklung des Bündnisses mit Oesterreich zurückzublicken braucht. Die letz¬ tere ist eine sehr natürliche gewesen, bedarf indeß noch immer einiger Aufklärung. Wir haben Grund, dieses Bündniß als die Verwirklichung eines alten Gedankens, als die Erfüllung eines lange gehegten Wunsches unseres Reichs¬ kanzlers aufzufassen, der bis in das Jahr 1852 zurückreicht, aber Jahrzehnte hindurch, so oft Versuche zu seiner Ausführung unternommen wurden, an dem Widerstande scheiterte, den er in den maßgebenden Kreisen in Wien, erst an der Schwarzenbergschen, dann an der Beustschen Politik fand. Der Gedanke war, als der deutsche Bund noch bestand, kurz ausgedrückt folgender: Oesterreich entsage seinem Anspruch, in Deutschland die allein gebietende Macht zu sein, es gebe sein Bestreben, Preußen bei jeder Gelegenheit zu beschränken und herab¬ zudrücken, auf und lasse dasselbe im Bunde zu einer Stellung gelangen, welche ihm gestattet, seine gesammte Kraft für gemeinsame Zwecke nach außen hin ein¬ zusetzen. Preußen wird dafür zu einer treuen und festen Verbindung der beiden Mächte und zur Abwehr von Angriffen, die von Seiten der Nachbarinächte drohen, bereitwillig die Hand bieten. In Wien zögerte man, hierauf einzugehen, und setzte die bisherige Politik fort, indem man der Meinung war, Preußen habe solche Angriffe am meisten M fürchten, es bedürfe mehr als ein anderer Staat fremder Geneigtheit und Hilfe, und so müsse es sich gefallen lassen, von Mächten, die ihm solche ge¬ währen konnten, nicht auf gleichem Fuße, ja rücksichtslos behandelt zu werden. So war man in Berlin 1866, um Gerechtigkeit zu erlangen und um seiner Selbsterhaltung willen, genöthigt, den praktischen Beweis zu führen, daß die Grenzboten I. 1880. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/489>, abgerufen am 22.07.2024.