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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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Mesched aber trägt mit einigen Manufacturen selbständig zum Verkehre des
"Königswegs" bei.

Diese Straße nun ist es, welche der an ihr gelegenen Oasenstadt Herat außer
eommerzieller Bedeutung auch große strategische Wichtigkeit verleiht und sie zu
einem erstrebenswerthen, weil alle erforderlichen Hilfsmittel zur Genüge darbie¬
tenden Etappenorte für ein russisches Heer machen würde, welches die Bestim¬
mung hätte, von Rußlands mittelasiatischen Besitzungen aus gegen den Indus
und Ganges vorzudringen.

Wenn Rußland auch heute und morgen noch nicht an sofortigen Beginn
eines Kampfes mit England um den Besitz Indiens denkt, so ist es doch längst
darauf bedacht gewesen, den Marsch nach dem Indus vorzubereiten. Die Eng¬
länder wissen das sehr wohl, und sie haben diesen Vorbereitungen niemals und
besonders in den letzten Jahren nicht gleichgiltig und unthätig zugesehen. Sie
bemerkten, daß die russische Politik ihnen in Mittelasien fortwährend Verlegen¬
heiten zu bereiten bemüht war, daß sie die dortigen Herrscher und Völker mehr
und mehr in ihr Interesse zog, verschiedene Länder dem Zarenreiche einverleibte
und über andere Staaten zwischen diesem und Indien mit jedem Jahre größeren
Einfluß gewann, und sie reagirten mit allen Kräften dagegen. Diese neben¬
buhlerischen Bestrebungen der beiden Großmächte begannen schon im vorigen
Jahrhundert. Anfangs bildete den Gegenstand der Eifersucht der persische
Handel mit Europa, der seinen Weg großentheils nach Nußland nimmt und
diesen: erhebliche Vortheile bringt, wogegen er mit England und dessen ostindi¬
schen Besitzungen nur über Buschir am persischen Golfe verkehrt. Bald kam
aber auch das politische Moment hinzu. Schon unter Katharina II. tauchten
in Petersburg Pläne zu einer Eroberung Indiens auf. Mit ähnlichen Gedanken
trug sich Kaiser Paul, und man erzählt, daß Jermoloff und Paskiewitsch moti-
virte Gutachten über die Ausführbarkeit derselben abgegeben, von einem Feld¬
zuge aber abgerathen und andere Wege empfohlen hätten. Das würde mit dein
zusammentreffen, was Karamsin von der auswärtigen Politik Rußlands im Allge¬
meinen sagt, wenn er schreibt, dieselbe sei unveränderlich dahin gegangen, "Frieden
mit jedermann zu erstreben und ohne Krieg Eroberungen zu machen, indem mau
sich in der Defensive hielt und kein Vertrauen in die Freundschaft derer setzte,
deren Interessen nicht mit den russischen übereinstimmten". "Es war," setzt er
hinzu, "ferner unsere Politik, keine Gelegenheit zu versäumen, wo wir ihnen
schaden können, ohne deshalb unsere Bündnisse mit ihnen zu brechen."

Nach diesem Recept ist Rußland offenbar auch in Mittelasien England
gegenüber verfahren, und zwar in der letzten Zeit vor allem in seiner Stellung
zu Persien und in Bezug auf Herat und Afghanistan. Herat, ursprünglich ein
halb unabhängiger Tributürstaat des Mongolenreichs, dann von den Usbeken


Mesched aber trägt mit einigen Manufacturen selbständig zum Verkehre des
„Königswegs" bei.

Diese Straße nun ist es, welche der an ihr gelegenen Oasenstadt Herat außer
eommerzieller Bedeutung auch große strategische Wichtigkeit verleiht und sie zu
einem erstrebenswerthen, weil alle erforderlichen Hilfsmittel zur Genüge darbie¬
tenden Etappenorte für ein russisches Heer machen würde, welches die Bestim¬
mung hätte, von Rußlands mittelasiatischen Besitzungen aus gegen den Indus
und Ganges vorzudringen.

Wenn Rußland auch heute und morgen noch nicht an sofortigen Beginn
eines Kampfes mit England um den Besitz Indiens denkt, so ist es doch längst
darauf bedacht gewesen, den Marsch nach dem Indus vorzubereiten. Die Eng¬
länder wissen das sehr wohl, und sie haben diesen Vorbereitungen niemals und
besonders in den letzten Jahren nicht gleichgiltig und unthätig zugesehen. Sie
bemerkten, daß die russische Politik ihnen in Mittelasien fortwährend Verlegen¬
heiten zu bereiten bemüht war, daß sie die dortigen Herrscher und Völker mehr
und mehr in ihr Interesse zog, verschiedene Länder dem Zarenreiche einverleibte
und über andere Staaten zwischen diesem und Indien mit jedem Jahre größeren
Einfluß gewann, und sie reagirten mit allen Kräften dagegen. Diese neben¬
buhlerischen Bestrebungen der beiden Großmächte begannen schon im vorigen
Jahrhundert. Anfangs bildete den Gegenstand der Eifersucht der persische
Handel mit Europa, der seinen Weg großentheils nach Nußland nimmt und
diesen: erhebliche Vortheile bringt, wogegen er mit England und dessen ostindi¬
schen Besitzungen nur über Buschir am persischen Golfe verkehrt. Bald kam
aber auch das politische Moment hinzu. Schon unter Katharina II. tauchten
in Petersburg Pläne zu einer Eroberung Indiens auf. Mit ähnlichen Gedanken
trug sich Kaiser Paul, und man erzählt, daß Jermoloff und Paskiewitsch moti-
virte Gutachten über die Ausführbarkeit derselben abgegeben, von einem Feld¬
zuge aber abgerathen und andere Wege empfohlen hätten. Das würde mit dein
zusammentreffen, was Karamsin von der auswärtigen Politik Rußlands im Allge¬
meinen sagt, wenn er schreibt, dieselbe sei unveränderlich dahin gegangen, „Frieden
mit jedermann zu erstreben und ohne Krieg Eroberungen zu machen, indem mau
sich in der Defensive hielt und kein Vertrauen in die Freundschaft derer setzte,
deren Interessen nicht mit den russischen übereinstimmten". „Es war," setzt er
hinzu, „ferner unsere Politik, keine Gelegenheit zu versäumen, wo wir ihnen
schaden können, ohne deshalb unsere Bündnisse mit ihnen zu brechen."

Nach diesem Recept ist Rußland offenbar auch in Mittelasien England
gegenüber verfahren, und zwar in der letzten Zeit vor allem in seiner Stellung
zu Persien und in Bezug auf Herat und Afghanistan. Herat, ursprünglich ein
halb unabhängiger Tributürstaat des Mongolenreichs, dann von den Usbeken


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[0453] Mesched aber trägt mit einigen Manufacturen selbständig zum Verkehre des „Königswegs" bei. Diese Straße nun ist es, welche der an ihr gelegenen Oasenstadt Herat außer eommerzieller Bedeutung auch große strategische Wichtigkeit verleiht und sie zu einem erstrebenswerthen, weil alle erforderlichen Hilfsmittel zur Genüge darbie¬ tenden Etappenorte für ein russisches Heer machen würde, welches die Bestim¬ mung hätte, von Rußlands mittelasiatischen Besitzungen aus gegen den Indus und Ganges vorzudringen. Wenn Rußland auch heute und morgen noch nicht an sofortigen Beginn eines Kampfes mit England um den Besitz Indiens denkt, so ist es doch längst darauf bedacht gewesen, den Marsch nach dem Indus vorzubereiten. Die Eng¬ länder wissen das sehr wohl, und sie haben diesen Vorbereitungen niemals und besonders in den letzten Jahren nicht gleichgiltig und unthätig zugesehen. Sie bemerkten, daß die russische Politik ihnen in Mittelasien fortwährend Verlegen¬ heiten zu bereiten bemüht war, daß sie die dortigen Herrscher und Völker mehr und mehr in ihr Interesse zog, verschiedene Länder dem Zarenreiche einverleibte und über andere Staaten zwischen diesem und Indien mit jedem Jahre größeren Einfluß gewann, und sie reagirten mit allen Kräften dagegen. Diese neben¬ buhlerischen Bestrebungen der beiden Großmächte begannen schon im vorigen Jahrhundert. Anfangs bildete den Gegenstand der Eifersucht der persische Handel mit Europa, der seinen Weg großentheils nach Nußland nimmt und diesen: erhebliche Vortheile bringt, wogegen er mit England und dessen ostindi¬ schen Besitzungen nur über Buschir am persischen Golfe verkehrt. Bald kam aber auch das politische Moment hinzu. Schon unter Katharina II. tauchten in Petersburg Pläne zu einer Eroberung Indiens auf. Mit ähnlichen Gedanken trug sich Kaiser Paul, und man erzählt, daß Jermoloff und Paskiewitsch moti- virte Gutachten über die Ausführbarkeit derselben abgegeben, von einem Feld¬ zuge aber abgerathen und andere Wege empfohlen hätten. Das würde mit dein zusammentreffen, was Karamsin von der auswärtigen Politik Rußlands im Allge¬ meinen sagt, wenn er schreibt, dieselbe sei unveränderlich dahin gegangen, „Frieden mit jedermann zu erstreben und ohne Krieg Eroberungen zu machen, indem mau sich in der Defensive hielt und kein Vertrauen in die Freundschaft derer setzte, deren Interessen nicht mit den russischen übereinstimmten". „Es war," setzt er hinzu, „ferner unsere Politik, keine Gelegenheit zu versäumen, wo wir ihnen schaden können, ohne deshalb unsere Bündnisse mit ihnen zu brechen." Nach diesem Recept ist Rußland offenbar auch in Mittelasien England gegenüber verfahren, und zwar in der letzten Zeit vor allem in seiner Stellung zu Persien und in Bezug auf Herat und Afghanistan. Herat, ursprünglich ein halb unabhängiger Tributürstaat des Mongolenreichs, dann von den Usbeken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/453>, abgerufen am 23.07.2024.