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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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ihrer alttestamentlichen Denk- und Redeweise als Jsraeliten und ihre Gegner
als Philister, Ammoniter und Moabiter bezeichneten. So ferner in Cöln,
Ravensburg, Ueberliugen und Lindau. So endlich 1450 in Baiern, wo Herzog
Ludwig der Reiche an einem Tage alle Juden des Landes verhaften und ihre
Güter und Beschlag belegen ließ. Den christlichen Schuldnern wurden von:
Staate die ihnen von ihren semitischen Gläubigern auferlegten Wucherzinsen
erlassen, die Eingesteckten gab man nach Verlauf von vier Wochen gegen ein
Lösegeld von 30000 Gulden frei, verbannte sie aber aus den Grenzen. Drei
Jahre später ereignete sich in Schlesien auf Anregung des Frcmzisecmers Capi-
strcmo ungefähr das Gleiche. Sie hatten hier durch Wucher -- Wucher und
kein Ende! -- großen Besitz an sich gebracht. Die meisten Herzöge des Landes
und viele Städte waren ihre Schuldner. Jetzt verwandelten sich in der Er¬
bitterung, die der Mönch in Breslau durch seine Predigten erregte, die Schuld¬
verschreibungen, die der reiche Jude Meier in seinem Geldschranke verwahrte,
in durchstochene und blutige Hostien. Man nahm ihm und andern jüdischen
Finanziers alle Dommente der Art, die einen Werth von 25000 Goldgulden
repräsentirten, weg, zog die Juden von Breslau, dann auch die von Striegau,
Jauer, Schweidnitz, Liegnitz, Löwenberg und Reichenbach ein, sprach ihnen ihr
Vermögen ab und ließ 41 von ihnen, die auf der Folter gestanden, was man
wollte, auf dem Salzring den Scheiterhaufen besteigen. In anderen schlesischen
Städten wurde ähnlich verfahren, desgleichen 1454 in Olmütz und Brünn.

Daß diese Vorgänge den Juden die Wuchergeschäfte nicht verleideten, ist fast
unbegreiflich, aber wahr; denn schon ein paar Jahrzehnte später fand sich der
Bischof von Regensburg abermals bewogen, den dortigen Kindern Israels solche
Geschäfte zu untersagen und ihren christlichen Schuldnern ihre Schulden zu
erlassen, und zwar waren nicht bloß die Geistlichen, sondern auch die Bürger
Veranlassung dazu, indem sie den Juden vorwarfen, die Stadt sei durch sie
heruntergekommen und verarmt, "aller Handel sei in ihre Hände gekommen, sie
hätten Getreide für das Ausland aufgekauft, den Weinhandel von Schwaben
und das Eisengeschäft an sich gerissen, und die Stadt habe durch sie in den
letzten vierzig Jahren 132000 Gulden (damals eine ungeheure Summe) eingebüßt".

Aus Schwaben und den geistlichen Herrschaften waren die Juden zu Ende
des fünfzehnten Jahrhunderts ganz vertrieben. Kaiser Maximilian verjagte sie
aus Steiermark, Kärnthen und Kram, wo sie sich zwar nicht des Mordes christ¬
licher Kinder, der ihnen vorgeworfen wurde, höchst wahrscheinlich aber (vgl.
unsere Quelle S. 308) der Urkundenfälschung schuldig gemacht hatten. Des¬
gleichen erlaubte er deren Verjagung aus Nürnberg, wo sie "schmählichen Wucher
und Betrug getrieben und schlechtem Gesindel Herberge gegeben hatten".

Der Streit, welcher zwischen dem getauften Juden Pfefferkorn und dem


ihrer alttestamentlichen Denk- und Redeweise als Jsraeliten und ihre Gegner
als Philister, Ammoniter und Moabiter bezeichneten. So ferner in Cöln,
Ravensburg, Ueberliugen und Lindau. So endlich 1450 in Baiern, wo Herzog
Ludwig der Reiche an einem Tage alle Juden des Landes verhaften und ihre
Güter und Beschlag belegen ließ. Den christlichen Schuldnern wurden von:
Staate die ihnen von ihren semitischen Gläubigern auferlegten Wucherzinsen
erlassen, die Eingesteckten gab man nach Verlauf von vier Wochen gegen ein
Lösegeld von 30000 Gulden frei, verbannte sie aber aus den Grenzen. Drei
Jahre später ereignete sich in Schlesien auf Anregung des Frcmzisecmers Capi-
strcmo ungefähr das Gleiche. Sie hatten hier durch Wucher — Wucher und
kein Ende! — großen Besitz an sich gebracht. Die meisten Herzöge des Landes
und viele Städte waren ihre Schuldner. Jetzt verwandelten sich in der Er¬
bitterung, die der Mönch in Breslau durch seine Predigten erregte, die Schuld¬
verschreibungen, die der reiche Jude Meier in seinem Geldschranke verwahrte,
in durchstochene und blutige Hostien. Man nahm ihm und andern jüdischen
Finanziers alle Dommente der Art, die einen Werth von 25000 Goldgulden
repräsentirten, weg, zog die Juden von Breslau, dann auch die von Striegau,
Jauer, Schweidnitz, Liegnitz, Löwenberg und Reichenbach ein, sprach ihnen ihr
Vermögen ab und ließ 41 von ihnen, die auf der Folter gestanden, was man
wollte, auf dem Salzring den Scheiterhaufen besteigen. In anderen schlesischen
Städten wurde ähnlich verfahren, desgleichen 1454 in Olmütz und Brünn.

Daß diese Vorgänge den Juden die Wuchergeschäfte nicht verleideten, ist fast
unbegreiflich, aber wahr; denn schon ein paar Jahrzehnte später fand sich der
Bischof von Regensburg abermals bewogen, den dortigen Kindern Israels solche
Geschäfte zu untersagen und ihren christlichen Schuldnern ihre Schulden zu
erlassen, und zwar waren nicht bloß die Geistlichen, sondern auch die Bürger
Veranlassung dazu, indem sie den Juden vorwarfen, die Stadt sei durch sie
heruntergekommen und verarmt, „aller Handel sei in ihre Hände gekommen, sie
hätten Getreide für das Ausland aufgekauft, den Weinhandel von Schwaben
und das Eisengeschäft an sich gerissen, und die Stadt habe durch sie in den
letzten vierzig Jahren 132000 Gulden (damals eine ungeheure Summe) eingebüßt".

Aus Schwaben und den geistlichen Herrschaften waren die Juden zu Ende
des fünfzehnten Jahrhunderts ganz vertrieben. Kaiser Maximilian verjagte sie
aus Steiermark, Kärnthen und Kram, wo sie sich zwar nicht des Mordes christ¬
licher Kinder, der ihnen vorgeworfen wurde, höchst wahrscheinlich aber (vgl.
unsere Quelle S. 308) der Urkundenfälschung schuldig gemacht hatten. Des¬
gleichen erlaubte er deren Verjagung aus Nürnberg, wo sie „schmählichen Wucher
und Betrug getrieben und schlechtem Gesindel Herberge gegeben hatten".

Der Streit, welcher zwischen dem getauften Juden Pfefferkorn und dem


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[0437] ihrer alttestamentlichen Denk- und Redeweise als Jsraeliten und ihre Gegner als Philister, Ammoniter und Moabiter bezeichneten. So ferner in Cöln, Ravensburg, Ueberliugen und Lindau. So endlich 1450 in Baiern, wo Herzog Ludwig der Reiche an einem Tage alle Juden des Landes verhaften und ihre Güter und Beschlag belegen ließ. Den christlichen Schuldnern wurden von: Staate die ihnen von ihren semitischen Gläubigern auferlegten Wucherzinsen erlassen, die Eingesteckten gab man nach Verlauf von vier Wochen gegen ein Lösegeld von 30000 Gulden frei, verbannte sie aber aus den Grenzen. Drei Jahre später ereignete sich in Schlesien auf Anregung des Frcmzisecmers Capi- strcmo ungefähr das Gleiche. Sie hatten hier durch Wucher — Wucher und kein Ende! — großen Besitz an sich gebracht. Die meisten Herzöge des Landes und viele Städte waren ihre Schuldner. Jetzt verwandelten sich in der Er¬ bitterung, die der Mönch in Breslau durch seine Predigten erregte, die Schuld¬ verschreibungen, die der reiche Jude Meier in seinem Geldschranke verwahrte, in durchstochene und blutige Hostien. Man nahm ihm und andern jüdischen Finanziers alle Dommente der Art, die einen Werth von 25000 Goldgulden repräsentirten, weg, zog die Juden von Breslau, dann auch die von Striegau, Jauer, Schweidnitz, Liegnitz, Löwenberg und Reichenbach ein, sprach ihnen ihr Vermögen ab und ließ 41 von ihnen, die auf der Folter gestanden, was man wollte, auf dem Salzring den Scheiterhaufen besteigen. In anderen schlesischen Städten wurde ähnlich verfahren, desgleichen 1454 in Olmütz und Brünn. Daß diese Vorgänge den Juden die Wuchergeschäfte nicht verleideten, ist fast unbegreiflich, aber wahr; denn schon ein paar Jahrzehnte später fand sich der Bischof von Regensburg abermals bewogen, den dortigen Kindern Israels solche Geschäfte zu untersagen und ihren christlichen Schuldnern ihre Schulden zu erlassen, und zwar waren nicht bloß die Geistlichen, sondern auch die Bürger Veranlassung dazu, indem sie den Juden vorwarfen, die Stadt sei durch sie heruntergekommen und verarmt, „aller Handel sei in ihre Hände gekommen, sie hätten Getreide für das Ausland aufgekauft, den Weinhandel von Schwaben und das Eisengeschäft an sich gerissen, und die Stadt habe durch sie in den letzten vierzig Jahren 132000 Gulden (damals eine ungeheure Summe) eingebüßt". Aus Schwaben und den geistlichen Herrschaften waren die Juden zu Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ganz vertrieben. Kaiser Maximilian verjagte sie aus Steiermark, Kärnthen und Kram, wo sie sich zwar nicht des Mordes christ¬ licher Kinder, der ihnen vorgeworfen wurde, höchst wahrscheinlich aber (vgl. unsere Quelle S. 308) der Urkundenfälschung schuldig gemacht hatten. Des¬ gleichen erlaubte er deren Verjagung aus Nürnberg, wo sie „schmählichen Wucher und Betrug getrieben und schlechtem Gesindel Herberge gegeben hatten". Der Streit, welcher zwischen dem getauften Juden Pfefferkorn und dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/437>, abgerufen am 23.07.2024.