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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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darf dem Erfindungsgeiste nur wenig entgegenkommen, weil er sich durch
Neuerungen überall leicht selbst Concurrenz und Schwierigkeiten schafft; kurz
der Staat entbehrt aller der Mittel, durch welche die Leistungsfähigkeit des
Einzelnen nach Qualität und Quantität mit Leichtigkeit vervielfacht werden kann,
und welche vor allem die Freude an der eigenen Arbeit und am Leben schaffen.

Die Aussicht für eine solche Entwicklung unserer gesammten Eisenindustrie
und mancher anderen kleinen Industrien, wie sie durch einseitige Centralisation
unseres Eisenbahnwesens allmählich hervorgerufen werden könnte, scheint uns
eine sehr trübe, und die "Verstaatlichung" der Eisenbahnen würde unseres Er-
achtens ein höchst unheilvoller Weg sein, welchen die Staatsregierung betritt,
wenn es nicht Mittel gäbe, um die möglichen nachtheiligen Folgen des reinen
Staatsvahnsystems^ abzuwenden, ohne sich ihrer wesentlichen Vortheile zu begeben.

Wie sich der Staat aller der Vortheile versichern möge, welche die Ver¬
waltung der Bahnen durch den Staat dem Lande bringen soll, als: einfache,
klare und zweckmüßige Tarife, zweckmäßige Disposition der Routen, zweckmäßige
Fahrpläne, Erleichterung und Verbesserung der internationalen Verkehre, Ueber¬
leitung ausländischer Transporte auf deutsche Bahnen, prompte Anschlusse für
die Schnellverkehre, möglichste Wahrnehmung aller militärischen Bedürfnisse:c.,
darauf brauchen wir hier nicht einzugehen; mit der Lösung dieser Fragen hat
es keine Noth, und geeignete Maßnahmen in dieser Richtung werden ohne Zweifel
getroffen werden. Wir wollen hier nur nach denjenigen Einrichtungen suchen,
welche bei der zu erwartenden Centralisation das nöthige Gegengewicht abgeben,
die Berücksichtigung der landschaftlichen und localen Bedürfnisse wahren und
die Individualität der einzelnen Landestheile und eines großen Theiles seiner
Bewohner erhalten können. Nach unserer festen Ueberzeugung können nur durch
kräftige Mittel der Decentralisation jene angedeuteten großen Gefahren be¬
schworen werden. Diese Decentralisation wird erreicht, wenn man den Grund¬
satz der Selbstverwaltung kleinerer Abtheilungen, in welche das große Gesammt-
Eisenbahnnetz zu theilen ist, zur Anwendung bringt. Ohne eine Zerlegung
in Theiluetze und specialisirende Verwaltung nach Theilnetzen
dürfte an eine heilsame Lösung der uns beschäftigenden großen Frage kaum zu
denken sei.

Es handelt sich also darum: In welche Unterglieder soll die gesummte
Verwaltung der Eisenbahnen zerfallen? -- Im Anschluß an die politische Ein-
theilung des Staates würde es am nächsten liegen, daß je eine Provinz eine
Eisenbahndirection erhielte, bereu Bezirk, soweit thunlich, mit dem Territorium
der Provinz zusammenfiele. Dieses Verhältniß böte unvergleichliche Vorzüge,
indem den obersten Gliedern der Eisenbahnverwaltung Hauptglieder des Staates
mit der berufenen Vertretung ihrer besonderen Interessen und den Organen der


darf dem Erfindungsgeiste nur wenig entgegenkommen, weil er sich durch
Neuerungen überall leicht selbst Concurrenz und Schwierigkeiten schafft; kurz
der Staat entbehrt aller der Mittel, durch welche die Leistungsfähigkeit des
Einzelnen nach Qualität und Quantität mit Leichtigkeit vervielfacht werden kann,
und welche vor allem die Freude an der eigenen Arbeit und am Leben schaffen.

Die Aussicht für eine solche Entwicklung unserer gesammten Eisenindustrie
und mancher anderen kleinen Industrien, wie sie durch einseitige Centralisation
unseres Eisenbahnwesens allmählich hervorgerufen werden könnte, scheint uns
eine sehr trübe, und die „Verstaatlichung" der Eisenbahnen würde unseres Er-
achtens ein höchst unheilvoller Weg sein, welchen die Staatsregierung betritt,
wenn es nicht Mittel gäbe, um die möglichen nachtheiligen Folgen des reinen
Staatsvahnsystems^ abzuwenden, ohne sich ihrer wesentlichen Vortheile zu begeben.

Wie sich der Staat aller der Vortheile versichern möge, welche die Ver¬
waltung der Bahnen durch den Staat dem Lande bringen soll, als: einfache,
klare und zweckmüßige Tarife, zweckmäßige Disposition der Routen, zweckmäßige
Fahrpläne, Erleichterung und Verbesserung der internationalen Verkehre, Ueber¬
leitung ausländischer Transporte auf deutsche Bahnen, prompte Anschlusse für
die Schnellverkehre, möglichste Wahrnehmung aller militärischen Bedürfnisse:c.,
darauf brauchen wir hier nicht einzugehen; mit der Lösung dieser Fragen hat
es keine Noth, und geeignete Maßnahmen in dieser Richtung werden ohne Zweifel
getroffen werden. Wir wollen hier nur nach denjenigen Einrichtungen suchen,
welche bei der zu erwartenden Centralisation das nöthige Gegengewicht abgeben,
die Berücksichtigung der landschaftlichen und localen Bedürfnisse wahren und
die Individualität der einzelnen Landestheile und eines großen Theiles seiner
Bewohner erhalten können. Nach unserer festen Ueberzeugung können nur durch
kräftige Mittel der Decentralisation jene angedeuteten großen Gefahren be¬
schworen werden. Diese Decentralisation wird erreicht, wenn man den Grund¬
satz der Selbstverwaltung kleinerer Abtheilungen, in welche das große Gesammt-
Eisenbahnnetz zu theilen ist, zur Anwendung bringt. Ohne eine Zerlegung
in Theiluetze und specialisirende Verwaltung nach Theilnetzen
dürfte an eine heilsame Lösung der uns beschäftigenden großen Frage kaum zu
denken sei.

Es handelt sich also darum: In welche Unterglieder soll die gesummte
Verwaltung der Eisenbahnen zerfallen? — Im Anschluß an die politische Ein-
theilung des Staates würde es am nächsten liegen, daß je eine Provinz eine
Eisenbahndirection erhielte, bereu Bezirk, soweit thunlich, mit dem Territorium
der Provinz zusammenfiele. Dieses Verhältniß böte unvergleichliche Vorzüge,
indem den obersten Gliedern der Eisenbahnverwaltung Hauptglieder des Staates
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/405>, abgerufen am 23.07.2024.